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Antike trifft Klimaprotest am Kasseler Staatstheater

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Von: Bettina Fraschke

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Vor den Toren Thebens: Emilia Reichenbach als Ismene (links) und Lisa Natalie Arnold (Antigone). Im Hintergrund wird der Thron König Kreons enthüllt.
Vor den Toren Thebens: Emilia Reichenbach als Ismene (links) und Lisa Natalie Arnold (Antigone). Im Hintergrund wird der Thron König Kreons enthüllt. © Katrin Ribbe

„Anthropos Antigone“ ist eine Neufassung der antiken Tragödie am Kasseler Staatstheater. Alexandr Eisenach hat einen dichten, mit Gags gespickten Text geschrieben, der sich auf das Original ebenso bezieht, wie er aktuelle Fragen zur Legitimität von Klimaprotesten aufgreift.

Kassel – Wenn der Staat nach meiner Einschätzung nicht mehr zum Wohle des großen Ganzen handelt – muss ich dann Widerstand leisten? Oder funktioniert ein Gemeinwesen nur, wenn sich jeder an das Regelwerk hält – unabhängig vom persönlichen Unrechtsempfinden? Das ist der Grundkonflikt in Sophokles’ Tragödie „Antigone“.

Eine Neufassung des Stoffes ist jetzt am Kasseler Staatstheater zu sehen. Die Überschreibung des antiken Originals mit vielen erhellenden und lustigen Einfällen hat Alexander Eisenach verfasst, der den Abend auch selbst inszeniert. Die Uraufführung am Samstag im fast ausverkauften Schauspielhaus wurde mit langem Applaus gewürdigt.

Die Traditionen des antiken Dramas treffen auf einen mit Gags gespickten Text und eindrucksvolle Live-Videos, die die Darstellergesichter auf einem Gazevorhang überlebensgroß heranholen können. So zum Beispiel in einem zentralen Dialog zwischen König Kreon (Hagen Oechel) und der widerstandleistenden Antigone (Lisa Natalie Arnold).

Relevant und überzeugend ist der zweistündige Abend immer dann, wenn er auf Ambivalenz setzt und sich nicht auf eine Seite schlägt. Dass der letzte Teil überdeutlich belehrend vom vermüllten Ozean und der verheerenden wirtschaftlichen Ausbeutung noch der tiefsten Tiefsee erzählt und die Darsteller in einem Meer aus Plastikverpackungen schwimmen lässt, ist unnötig und ärgerlich.

Dabei birgt die kurzweilige Inszenierung da, wo sie ohne erhobenen Zeigefinger auskommt, jede Menge Aha-Momente. Sogar eine Vorlesung des Kasseler Chemieprofessors Rüdiger Faust über die Mineralisierung von Kohlendioxid als Mittel im Kampf gegen den Klimawandel, die per Video eingespielt wird, wirkt im Bühnengeschehen nicht wie ein Fremdkörper. Das Theater arbeitet für das ambitionierte Großprojekt unter anderem mit der Organisation Scientists for Future zusammen. Der Fokus auf das Anthropozän, jenes geologische Zeitalter, in dem der Einfluss des Menschen dominant geworden ist, wird bereits im Titel deutlich.

Zu Beginn werden die Masken des antiken Theaters getragen, weiße Togen, dazu Plateausandalen, die wie eine Mischung aus dem antiken Bühnenschuh Kothurn und der Girlie-Mode der Generation Instagram wirken (Kostüme: Lena Schmid).

Lisa Natalie Arnold stellt gestisch die Geschichte der Menschheit dar – man haut einander auf die Zwölf, sticht sich nieder, baut Städte, erschafft die erhabene Kunstform der Oper – doch im Moment, wo der Arm theatralisch emporgereckt ist, blickt sie in die Handfläche wie auf ein Display und sackt mit dem typisch gekrümmten Rücken der Generation Smartphone zusammen, wischt, wischt, wischt darauf herum und landet in einer Servicehotline, wo sie durch ein Sprachmenü geleitet wird: „Eins, eins, nein, nein.“

Wenn sich Lisa Natalie Arnold, Emilia Reichenbach, Sarah Franke und Sandro Sutalo zur Widerstandszelle zusammenschließen, tragen sie eine Art Schutzkleidung in blütenweiß. Sie trinken bunte Power-Smoothies und debattieren wie die Umstürzler in Monty Pythons Sandalenfilmparodie „Das Leben des Brian“ – herrlich am Rand der Albernheit balancierend, mit dicht geschriebenen Texten.

Kreon macht in dem Konflikt ebenfalls Punkte. Er spricht über die Notwendigkeit, den digitalen Raum in die Politik einzubeziehen und hält den Gesetzbrechern ihre Wissenschaftsfeindlichkeit vor, ihre Fixierung auf sich selbst. Nur um die Optimierung ihrer Darmflora gehe es denen.

Mit Akkuschrauber und Fugendicht-Spritztube befördern der Herrscher und der Bote/Wächter (Clemens Dönicke im herrlich bizarren Kaktus-Kostüm) die Widerständler, die hier in Anlehnung an das Geschlecht der Bewohner Thebens „Letzte Generation der Labdakiden“ heißen, in den Kerker (Bühne: Daniel Wollenzin).

Ein gelungener Coup ist auch die Eröffnung des Theaterabends mit einer Projektion auf dem eisernen Vorhang: Walter Jens ist in einem historischen Fernsehfilm aus den 60er-Jahren zu sehen. Er doziert darüber, inwieweit modernisierte Fassungen des Dramas „Antigone“ bewirken können, dass die Zuschauer sich selbst über ihren persönlichen Standpunkt klarwerden können. Viel später dreht Videodesigner Oliver Rossol mit Sarah Franke diesen Film nach und weiter: Die Schauspielerin lässt den Altphilologen wieder auferstehen und beendet das Experiment Antigone.

Wieder am 9., 25. Februar, Kartentelefon 0561-1094-222 staatstheater-kassel.de

Von Bettina Fraschke

Widerstandszelle: Sarah Franke (von links), Emilia Reichenbach, Sandro Sutalo und Lisa Natalie Arnold.
Widerstandszelle: Sarah Franke (von links), Emilia Reichenbach, Sandro Sutalo und Lisa Natalie Arnold. © Privat

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