Der Wald als magischer Ort fasziniert die Menschen seit Jahrhunderten. Warum das nicht nur zu Zeiten der großen Dichter und Denker, sondern auch heute noch so ist, erklärte uns Musikwissenschaftlerin Ute Jung-Kaiser im Interview.
Die Professorin ist eine Autorin und Musikwissenschaftlerin. Die 75-Jährige forschte unter anderem zum Wald als einem romantischen Topos. Sie lebt mit ihrem Ehemann in Frankfurt. Zum Thema auch: Ein Ort der Sehnsucht und Ort der Angst.
Der Wald ist naturpoetisch aufgeladen. In Märchen beispielsweise wird häufig von Prinzen gesprochen, die aus dem fernen Land „hinter dem Wald“ kommen. Er ist also ein Verwandlungsraum, durch den man erst hindurch muss, um seine Sehnsüchte und Wünsche zu erfüllen. Für viele gilt er aber zunächst als dunkel und fremd – vor allem, weil er nicht zivilisiert ist.
Die Romantik als Epoche ist klar definiert: Sie beginnt im späten 18. Jahrhundert und endet im frühen 20. Jahrhundert. Aber das ist eigentlich zu begrenzt. „Die Romantik“ als solche ist kaum zu definieren. Der Begriff ist uralt, kommt aus dem Französischen und steht für etwas Abenteuerliches, Wunderbares, Spannendes und Sehnsüchtiges.
Eine typisch romantische Darstellung des Waldes findet man zum Beispiel in der Oper „Der Freischütz“ des deutschen Komponisten Carl Maria von Weber aus dem frühen 19. Jahrhundert. Dort lässt er die Tag- und Nachtseite des Waldes anklingen. Auch Dämonen und böse Zauberkugeln spielen eine Rolle.
Warum das so ist, ist schwierig zu beantworten. Im 19. Jahrhundert gab es in Deutschland einfach noch unglaublich viel Wald. Er war also so präsent, dass die Menschen ihn nicht nur als Nutzwald gesehen, sondern eine Liebe zu ihm entwickelt haben.
Gerade deutsche Dichter und Märchenerzähler haben sich mit dem Wald und seinen Bäumen viel beschäftigt. Goethe zum Beispiel spricht in seinen Werken von dem „Baum Gottes“ oder vom Wald als „gotischem Dom“. Außerdem erzählt er von seinen Wanderungen durch den Wald, um sich selbst zu finden. Bäume waren damals nicht nur in Deutschland religiös behaftet – selbst Buddha wird unter einer Eiche erleuchtet.
Der Wald ist das weite Land der Seele. Wir empfinden ihn sowohl als etwas Lebendes als auch als einen Ort, an dem wir die ewige Ruhe finden wollen. Das zeigen die boomenden Ruheforste und Friedwälder, die es mittlerweile überall gibt. Der Wald erweckt offenbar den Eindruck: Wenn ich mich mit ihm vereine, dann hat meine Seele die Chance, weiterzuleben.
Ja, heute lernen wir, mit dem Wald und seinen Bäumen wieder unsere Herzen zu erweitern. Das ist im Kern eine romantische Vorstellung. Wir fühlen uns von ihm mitgenommen. Die Menschen sollten die Stöpsel aus den Ohren nehmen. Dann erleben sie den Wald zwar als Ort der Stille – aber einer ganz besonderen, in der die Natur zu uns spricht.