Virtuelle Realität: Datenbrillen machen's möglich

München - Eine Technik-Revolution deutet sich an: Neuartige Datenbrillen sollen die Grenze zwischen Realität und virtuellem Raum verschwimmen lassen. Wir erklären, wie wir in Zukunft spielen werden.
Die Idee ist nicht neu. Computer-Nutzer setzen sich eine Datenbrille auf die Nase und tauchen ab in die virtuelle Welt. Schon in den 90er Jahren - der ersten großen Blütezeit von Gameboy und Co. - experimentierte der japanische Spielekonsolen-Riese Nintendo mit dem Traum von der virtuellen Realität (englisch Virtual Reality, kurz VR). Das Ergebnis: Der "Virtual Boy" - ein klobiger Plastik-Helm mit zwei unkomfortablen Gucklöchern. Ein kommerzieller Flop. Die Zeit - und die technischen Möglichkeiten - waren noch nicht reif für diese digitalen Ausflüge.
Datenbrillen in den 90er Jahren ein Flop
Dann wurde es lange Zeit still um Virtual Reality. Die Elektronikkonzerne konzentrierten sich lieber auf die Entwicklung immer leistungsfähigerer Konsolen und grafisch aufwendigerer Spiele - aufgepeppt mit jeder Menge Online- und Heimkinofunktionen. Der letzte Schrei bei Spielefans ist aktuell die Bewegungs- und Sprachsteuerung über Kameras. Wieder sind Realität und virtueller Raum ein Stückchen näher zusammengerückt.
Und dennoch: Trotz immer größerer Fernseher, besserer Soundanlagen und sogar echter 3D-Effekte - die Distanz zwischen Spieler und Spiel blieb bestehen. Jetzt - fast 20 Jahre nach Nintendos "Virtual Boy" - sieht aber alles danach aus, als würde eine weitere Grenze zwischen der echten Welt und der hinter dem Bildschirm fallen. Die VR-Brille erlebt eine Renaissance - und was für eine! Facebook hat das Kickstarter-Projekt Oculus Rift gekauft. Eine von Experten und Testern bereits hoch gelobte VR-Brille.
Facebook kauft Oculus Rift, Sony arbeitet an eigener Lösung
Vor kurzem ließ Sony dann die nächste Bombe platzen: Der japanische Elektronik-Konzern arbeitet an einer eigenen Datenbrille. Codename: Project Morpheus. Und das nicht nur auf dem Papier. Bereits auf der E3-Expo in Los Angeles - die größte Videospiel-Messe der Welt - will Sony Anfang Juni einen spielbaren Prototypen der VR-Brille für seine aktuelle Konsole Playstation 4 präsentieren. Die Markteinführung könnte Gerüchten zufolge schon Ende des Jahres erfolgen!
Doch was macht diese Brillen so besonders? Die wichtigste Nachricht zuerst: Wer sie noch nicht ausprobiert hat, kann sich nur ansatzweise vorstellen, welch großer Schritt in die virtuelle Realität sich mit den "überdimensionierten digitalen Taucherbrillen" andeutet. Das wäre auch die passende Beschreibung für das optische Erscheinungsbild der futuristischen Geräte.
Ein Display - zwei Bilder
Technisch gesehen arbeiten die Brillen - vereinfacht ausgedrückt - mit einem großen Display, das über zwei Linsen für jedes Auge ein eigenes Bild liefert. Durch die verhältnismäßig hohe Auflösung (1280 x 800 Pixel bei Oculus Rift) sind die Ränder des Bildschirms für den Betrachter nicht mehr wahrnehmbar. Ein entscheidender Faktor für das "Abtauchen" in den virtuellen Raum.
Bewegungssensoren für die fast perfekte Illusion
Der entscheidende zweite Schritt erfolgt dann über den Einsatz von Bewegungssensoren im Korpus der Brille - mit folgendem Effekt: Bewegt der Nutzer seinen Kopf, verändert sich auch der Betrachtungswinkel im Spiel. Am besten stellt man sich folgende Szene vor: Das virtuelle Ich sitzt in einer Achterbahn, links und rechts lauert ein tiefer Abgrund. Langsam zuckelt der Zug auf die erste Steilkurve zu. Über die Datenbrille hat der Spieler das Gefühl, selbst in der Achterbahn zu sitzen. Man bewegt seinen Kopf, schaut vorsichtig nach unten. Und tatsächlich: Das Bild verändert sich, die virtuelle Schlucht taucht auf!
Richtig imposant wird es dann, wenn die wilde Fahrt beginnt. Wer sich jetzt nicht automatisch mit in die Kurve legt, hat heimlich die Augen zugekniffen. Auch das Rattern der Schienen dringt über die integrierten Lautsprecher direkt ins Ohr des Spielers. Auf Youtube gibt es schon zahlreiche Videos zur Achterbahnfahrt mit Oculus Rift.
Aber wird einem da nicht schlecht? Nicht mehr, könnte man antworten. Denn in der Tat war das eines der häufigsten Probleme der noch unausgereiften Datenbrillen. Bedingt durch geringe Verzögerungen im Display wurde vielen Testpersonen übel. Das ist aber jetzt Geschichte - die seriennahen VR-Brillen erreichen eine beeindruckende Spieltiefe.
Spiele-Angebot noch begrenzt
Trotzdem: Wie schnell sich die Brillen wirklich auf dem Massenmarkt etablieren können, hängt vor allem von einem Faktor ab: Dem Angebot an Anwendungsmöglichkeiten. Denn bis auf ein paar Demo-Spiele ist noch nicht klar, wieviel Software bis zum Start angeboten werden kann. Die ersten Spiele lassen aber auf Großes hofffen: Vor allem vom Weltraum-Spiel "Eve Valkyrie" zeigten sich die Tester sehr beeindruckt. Und wenn man an die Möglichkeiten von Konzernen wie Facebook und Sony denkt, sind der virtuellen Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Sogar über den Einsatz in Museen, bei Konferenzen und im Operationssaal wird schon spekuliert.
Doch auch Skeptiker melden sich zu Wort: Wie wird sich unsere Gesellschaft verändern, wenn die Menschen immer tiefer in den virtuellen Raum abtauchen? Gibt es nicht schon genug Online- und Computer-Süchtige? Um diese Fragen beantworten zu können, müssen die Datenbrillen aber zuerst einmal auf den Markt kommen und vor allem von den Nutzern angenommen werden.
Weitere Details auf der E3-Expo
Dass so ein Prozess durchaus dauern kann, zeigt aktuell die Kritik an Googles Hightech-Brille "Glass". Mit 1500 Dollar zu teuer und eigentlich überflüssig, sagen viele Nutzer. Auch über die Preise von Oculus Rift und Project Morpheus kann momentan nur spekuliert werden. Denkbar wäre aber, dass die Geräte nicht mehr als 500 Euro kosten, um auch wirklich den Massenmarkt zu erreichen. Sonst würden die VR-Brillen Gefahr laufen, ein ähnliches Schicksal zu erleiden wie Nintendos "Virtual Boy" anno 1995. Einen ersten Vorgeschmack gibt es aller Voraussicht nach vom 10. bis 12. Juni. Dann öffnet die E3-Expo ihre Türen.