Medizinerin in Sorge vor Long-Covid-Flut durch Omikron - „Millionen betroffen“
Bei der Corona-Variante Omikron ist von milderen Verläufen die Rede. Allerdings könnte die Masse an Infizierten zu unzähligen Long-Covid-Fällen führen.
Kassel – Die Chefärztin Jördis Frommhold von der Median-Klinik Heiligendamm gilt als Expertin für die Spätfolgen einer Erkrankung mit Corona. Zu den unmittelbaren Folgen einer langen Behandlung auf der Intensivstation wird Post-Covid gezählt. Unter sogenannten Long-Covid-Symptomen leiden wiederum diejenigen, die sich mit milden Symptomen oder ganz ohne Symptome mit Corona infiziert haben.
Nach zwei Jahren Pandemie sei bei ihr die Erkenntnis gereift, dass mögliche Spätfolgen durch das Coronavirus noch immer viel zu wenig ernst genommen werden, sagt Frommhold im Interview mit dem Focus. „Ich bin jung, ich bin gesund – wenn es mich trifft, wird es ein milder Verlauf und danach geht das Leben weiter. Noch immer scheinen viele so zu denken.“
Zusätzlich beschreibt die Ärztin das andere Extrem: Menschen, die sich ihrem Schicksal fügen, nach dem Motto: „Vielleicht trifft es mich auch richtig schlimm und ich sterbe, aber das kann ich dann eben nicht ändern.“ Frommhold vermisst in der Debatte eine Zwischenposition: Auch und gerade nach einem milden Verlauf könnten Menschen langfristig leiden.
Long-Covid-Flut durch Omikron? Virus könnte persistent sein – bislang nicht eindeutig festzustellen
Frommhold warnt im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) (15.01.2022) indes davor, Long-Covid im Zusammenhang mit Omikron nicht zu unterschätzen. Die Virusvariante könnte wegen der stärkeren Ausbreitung die Intensivstationen stark belasten. Noch sei dies jedoch nicht eindeutig festzustellen. „Frühestens im Frühjahr wird klar werden, was es mit den Spätfolgen (von Omikron) auf sich hat“, sagt die Ärztin.
Hoffnung mache allenfalls, dass Omikron statt der Lunge eher die oberen Atemwege treffen könnte. Es sei jedoch auch denkbar, dass das Virus persistent ist. Dann könnte es über den Mund-Nasen-Raum in den Körper übergehen. „Womöglich reicht das für Long Covid aus“, so Jördis Frommhold in dem Interview. So entwickelten ihr zufolge wahrscheinlich auch bisher diejenigen mit asymptomatischem oder mildem Verlauf Long-Covid-typische Symptome.
Frommhold nennt im RND-Interview eine neuere Studie aus Mainz, wonach bis zu 40 Prozent der Corona-Infizierten an Long Covid erkranken könnten. „Mehrere Hunderttausend bis zu Millionen Menschen werden Spätfolgen haben – und das allein in Deutschland“, fasst sie zusammen. Nicht jeden treffe Long Covid in der Intensität, sodass derjenige monatelang arbeitsunfähig werde. „Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir es mit einer chronischen Erkrankung zu tun haben“, bekräftigt Frommhold.

Hoffnung für Geimpfte: Impfen schützt vor schwerem Verlauf und mindert Risiko für Post Covid
Aufmunternde Neuigkeiten kämen derweil aus England und den USA, so Jördis Frommhold. „Kollegen und Kolleginnen dort sehen Hinweise darauf, dass das Risiko für Long Covid nach einer Durchbruchsinfektion geringer ist.“ Das könne sie so auch aus klinischer Erfahrung berichten. Im Moment beobachteten die Ärzte nur sehr wenige geimpfte und erneut infizierte Patienten und Patientinnen, die anschließend eine ausgeprägte Long-Covid-Symptomatik haben. Dennoch lasse sich nicht sagen, wie hoch die Schutzwirkung genau ist. „Die Studienlage ist noch knapp“, so Frommhold.
Dadurch, dass Impfen vor einem schweren Covid-19-Verlauf schützt, sinke auch das Risiko für Post-Covid, also schwerwiegende Folgen nach einer Behandlung auf der Intensivstation, sagt die Long-Covid-Expertin im Gespräch mit dem RND. „Impfen senkt aber auch das Risiko, sich überhaupt mit dem Coronavirus anzustecken“. Damit sinke auch das Risiko, an Long Covid nach einem asymptomatischen oder milden Verlauf zu erkranken. (Paul Bröker)