Wie mild ist ein milder Omikron-Verlauf wirklich? Das sagen Mediziner
Häufig hört man in Verbindung mit der Omikron-Variante von einem milderen Verlauf. Doch was bedeutet das eigentlich? Das sagen Corona-Expertinnen und -Experten.
Kassel – Die Omikron-Mutante gilt als milde Corona-Variante. Dies ergaben mittlerweile mehrere Studien, die die Krankheitsverläufe mit Delta-Infektionen verglichen und analysierten. „Mild ist was anderes“ twitterte allerdings Christian Karagiannidis, wissenschaftlicher Leiter des DIVI-Intensivregisters und Leiter des ECMO-Zentrums der Lungenklinik Köln-Merheim, am vergangenen Freitag (14.01.2022).
In seinem Tweet bezog sich Karagiannidis auf die dramatisch steigenden Hospitalisierungszahlen in den USA. Dort dominiert die Omikron-Variante bereits seit Ende Dezember 2021, US-Kliniken zählen inzwischen mehr als 150.000 Corona-Patientinnen und -Patienten. Inwiefern ist diese Variante also noch mild?
Corona-Variante Omikron: So definiert das RKI und die WHO die Krankheitsverläufe
Das Robert Koch-Institut (RKI) orientiert sich bei seiner Einstufung an den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Grundsätzlich wird zwischen einer symptomfreien Corona-Infektion, leichten beziehungsweise moderaten, schweren und kritischen Erkrankungen unterschieden:
- Asymptomatische Infektion: Obwohl der PCR-Test positiv ist, entwickelt die infizierte Person keine Symptome.
- Milde/moderate Erkrankung: Die infizierte Person entwickelt Erkältungssymptome wie Husten, Schnupfen, Fieber und/oder Halsschmerzen. Störung des Geruchs- und/oder Geschmackssinns, aber unter anderem auch Atemnot, Kopf- und Gliederschmerzen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen oder Durchfall können dazukommen.
- Schwere Erkrankung: Als schwer an Covid-19 erkrankt gilt eine infizierte Person erst, wenn eine schwere Pneumonie, also Lungenentzündung, entwickelt wird.
- Kritische Erkrankung: Eine kritische Corona-Erkrankung liegt laut dem RKI vor, wenn die Patientin oder der Patient mechanisch beatmet werden muss oder eine „andere Art von Organunterstützung“ benötigt, um zu überleben. Akutes Lungenversagen, Blutvergiftung, Kreislaufschock und Organversagen können mögliche Ursachen sein.
Corona-Pandemie: Omikron-Verläufe nur im Vergleich zur Delta-Variante mild
„Liegt ein Patient im Krankenhaus, dann ist das kein milder Verlauf mehr“, sagte Karagiannidis gegenüber dem Tagesspiegel mit Blick auf die Omikron-Variante. Eine simple Unterscheidung zwischen hospitalisierten und nicht-hospitalisierten Erkrankten mache jedoch nicht immer Sinn, erklärte Sebastian Dolff, Leitender Oberarzt an der Klinik für Infektiologie der Universitätsmedizin Essen, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Demnach lägen auch in deutschen Krankenhäusern Corona-Patientinnen und -Patienten mit einem milden Verlauf.
„Ich spreche daher lieber von unkomplizierten, komplizierten und kritischen Verläufen“, sagte Dolff. Doch auch DIVI-Experte Karagiannidis betonte, dass die Verwendung der Begriffe „milder und milderer Verlauf“ in der Öffentlichkeit inzwischen „komplett durcheinandergeraten“ sei. Die bisherigen Studiendaten würden lediglich zeigen, dass eine Omikron-Infektion nur im Vergleich zur Delta-Variante milder verlaufe.

Südafrikanische Forschende fanden indes heraus, dass Personen, die mit der Omikron-Variante infiziert waren, mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit seltener hospitalisiert wurden. Zudem entwickelten die Menschen, die mit Omikron in ein Krankenhaus eingeliefert wurden, der Studie zufolge in 70 Prozent der Fälle leichtere Krankheitsverläufe als bei den Delta-Infektionen. Eine Studie der Universität Berkeley in Kalifornien erbrachte ähnliche Ergebnisse. Demnach sei das Sterberisiko bei Omikron im Vergleich zu Delta um 91 Prozent reduziert. Die Daten müssen allerdings noch unabhängig geprüft werden.
Omikron: Corona-Daten aus anderen Ländern laut Lauterbach nicht unbedingt übertragbar
Geht es nach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), könne man die Daten jedoch nicht einfach auf Deutschland übertragen. Die Bevölkerung sei im Gegensatz zu Südafrika, wo die Omikron-Variante erstmals auftrat, weitaus älter, sagte der SPD-Politiker im Interview mit dem Nachrichtenportal The Pioneer. Zudem seien in der Bundesrepublik viele Personen noch nicht geboostert, man habe zu spät mit den Auffrischungsimpfungen begonnen. Unter anderem deshalb kündigte der Gesundheitsminister bereits einen möglichen Startzeitraum für die allgemeine Corona-Impfpflicht an.
„Was die Omikron-Welle betrifft, sehe ich einen entscheidenden Unterschied gegenüber der Delta-Welle“, sagte der Essener Oberarzt Sebastian Dolff. In den vergangenen Wellen seien viele Patienten noch nicht geboostert gewesen, ein dreifacher Impfschutz schütze aber vor schweren Verläufen.
Trotz „mildem“ Corona-Verlauf: Mehrere Omikron-Studien beunruhigen
Während viele Menschen bei den Worten „milder Verlauf“ womöglich an eine laufende Nase, Halsschmerzen und ein wenig Husten denken, trifft dies also nicht unbedingt zu. „Ein milder Verlauf klingt für uns alle immer etwas zu harmlos“, sagte Mediziner Karagiannidis. Er habe genug Patientinnen und Patienten gesehen, „deren Lungen-CT selbst Monate nach überstandener Covid-Erkrankung deutliche Veränderungen aufgewiesen hat.“ Deshalb sei der Begriff „milder Verlauf“ weiterhin schwer zu definieren.
Karagiannidis verwies auf weitere internationale Studien. Etwa eine Studie aus Japan, die bei vermeintlich milden Infektionen später schwerwiegende Schäden im Gehirn festgestellt hätte. Oder eine Studie des Uniklinikums Eppendorf, die auf Schäden an Herz, Lunge und Nieren hinwiesen – trotz einem vergleichsweise milden Covid-19-Verlauf. „Die Erkenntnis, dass selbst ein milder Krankheitsverlauf mittelfristig zur Schädigung diverser Organe führen kann, hat höchste Bedeutsamkeit gerade auch im Hinblick auf die aktuelle Omikron-Variante, die mehrheitlich mit milderen Symptomen einherzugehen scheint“, schrieb das Autorenteam der Studie. (Nail Akkoyun)