Verständlich also, dass die Anwohner in den betroffenen Straßen gar nicht gut auf diese Leute zu sprechen waren. „Von denen ist es anscheinend zu viel verlangt, über die Bundesstraße auf die neue Industriestraße zu fahren“, schimpfte Ende September 1997 eine Frau in der Bachstraße im Gespräch mit unserer Zeitung. Und ein Mann in der Lohwiese ergänzte: „Auch wenn es vielleicht etwas weiter ist zu der neuen Ampel an der Bundesstraße, kommt man doch sicherer zur Arbeit oder wieder nach Hause, und man gefährdet keine Fußgänger.“
Der Viessmann-Geschäftsleitung war dieses Problem bekannt. Personalchef Karl-Heinz Debus betonte seinerzeit auf HNA-Anfrage aber: „Wir können unseren Leuten nicht verbieten, durch den Ort zu fahren. Schließlich sind es öffentliche Straßen.“ Allerdings habe die Firmenleitung bereits mit Öffnung der Industriestraße II am 5. September 1997 in einem Aushang am „Schwarzen Brett“ an die Mitarbeiter appelliert, den Weg über die Bundesstraße 253, neue Ampelanlage und Industriestraße II zu wählen. Besonders angesprochen wurden seinerzeit die Mitarbeiter, die aus der Richtung Dodenau/Battenfeld und Bromskirchen kamen – auch wenn die neue Abfahrt nur knapp 500 Meter weiter entfernt liegt als die frühere an der Bundesstraßenbrücke bei Rennertehausen (alte Industriestraße I).
Viele von ihnen schien dies aber nicht zu interessieren, sie fuhren den vermeintlich einfacheren Weg – den übrigens auch heute noch Kinder benutzen, die zur Grund- und Hauptschule marschieren.
Das ignorante Verhalten zahlreicher Viessmann-Mitarbeiter stand laut Personalchef Debus während einer Betriebsversammlung auf der Tagesordnung, die bei dem Heiztechnik-Hersteller am 30. September 1997 stattfand.
Hindernisse sollten Durchfahrt verleiden
Der Gemeinde Allendorf/Eder als Bauherr der neuen Industriestraße II (Viessmannstraße) schmeckte diese Verkehrsentwicklung vor 25 Jahren logischerweise auch nicht. Wenn man schon satte 7,5 Millionen Mark für 1,8 Kilometer Straße habe hinblättern müssen, dann musste sich das auch „lohnen“, hieß es. Der damalige Erste Beigeordnete Wolfgang Kramer als Vertreter von Bürgermeister Amend kündigte seinerzeit auf HNA-Anfrage eine Verkehrszählung in den betroffenen Wohngebieten an.
Diese Verkehrszählung förderte Mitte Oktober 1997 mit 2133 Fahrzeugen innerhalb 24 Stunden allein in der Bachstraße ähnliche Ergebnisse zu Tage wie vier Wochen zuvor, als an selber Stelle 2359 Fahrzeuge gezählt wurden.
In Bachstraße und Goldberg verlegten Gemeindearbeiter insgesamt acht künstliche Verkehrsinseln, abwechselnd rechts und links am Fahrbahnrand. Die vom Straßenbauamt leihweise zur Verfügung gestellten Inseln waren trapezförmig angeordnet und hatten am Fahrbahnrand eine Länge von sechs Metern. Zur Fahrbahnmitte verkürzten sie sich auf zwei Meter. Die Höhe der leuchtend gelben Barrieren betrug acht Zentimeter.
Nach Aussage des damaligen Bürgermeisters Robert Amend war dies ein weiterer Versuch, den Werksverkehr zum Viessmann-Werk I dazu zu bewegen, die Umgehungsstraßen und die neue Industriestraße II zu benutzen, nachdem Appelle seitens der Gemeinde und Viessmann-Geschäftsleitung kaum Gehör gefunden hatten. Auch Polizeikontrollen und damit verbundene Verwarnungsgelder an den Parkplatzausfahrten, wo Rechtsabbiegen vorgeschrieben ist, hätten nicht den gewünschten Erfolg gebracht, sagte der Allendorfer Verwaltungschef. Seitens der Gemeindeverwaltung hoffte man, dass den motorisierten Verkehrsteilnehmern durch den zu erwartenden Stop-and-go-Verkehr die Ortsdurchfahrt verleidet wurde.
Bürgermeister Amend wollte abwarten, in welchem Zeitraum der Rück- und Neubau des Goldberges realisiert werden konnte. Die Schließung der Zufahrt vom Holzweg in die Industriestraße II (Viessmannstraße) könne nur das letzte Mittel sein, um den Verkehr aus dem Ortskern von Allendorf herauszuhalten, betonte er damals. Denn davon wären auch die Allendorfer selbst betroffen.
Allerdings, so Amend gegenüber unserer Zeitung, würde sich diese Maßnahme verkehrsentlastend nicht nur auf Goldberg und Bachstraße auswirken, sondern gleichermaßen auf den Riedweg, die Bahnhofstraße und die Edertalstraße in Battenfeld. Denn viele Viessmann-Arbeitnehmer aus dem Raum Battenberg wählten seinerzeit die Route Edertalstraße, Riedweg, Bachstraße, Goldberg.
Heutiger Bürgermeister Junghenn: Sperrung wäre wirksame Maßnahme
„Gemeindestraßen dürfen von allen Verkehrsteilnehmern genutzt werden. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass ein Unternehmen vor Ort mit ca. 4500 Beschäftigten auch ein erhöhtes Verkehrsaufkommen zur Folge hat.“ Dies betont der heutige Bürgermeister von Allendorf/Eder, Claus Junghenn, grundsätzlich. Verkehrsbeschränkungen könnten von der Gemeinde als örtliche Straßenverkehrsbehörde angeordnet werden: „Diese gelten für alle Verkehrsteilnehmer und können nicht differenziert werden.“ Aber: Ein Verbot für Lkw in der Ortsmitte (Bachstraße, Goldberg) gebe es schon lange. Junghenn: „Da jedoch ortsfremde Fahrer oftmals dem Navi folgen, um zum Ziel zu kommen, wird dieses Verbot missachtet.“
Die Nutzung des kürzesten Weges zum Arbeitsort führe zu erhöhtem Verkehrsaufkommen im Bereich Freiherr-von-Rotsmann-Straße, Lohwiese, Sudetenstraße, insbesondere durch den Zielverkehr aus Richtung Nordrhein-Westfalen. Einzig wirksame Maßnahme dagegen wäre die Sperrung der Einmündung Holzweg/Viessmannstraße, was andererseits wegen des fehlenden direkten Weges Richtung B 253 eine Belastung der Ortslage durch den „ortseigenen“ Verkehr zur Folge hätte.
Aktuell seien seitens der Gemeinde keinerlei Verkehrsanordnungen geplant. Der Bürgermeister: „Ich kann den Appell an diejenigen, die nicht zwingend durch die Ortsmitte fahren müssen, nur noch einmal wiederholen: Nutzen Sie bitte die Bundesstraße und die Viessmannstraße, um zur Arbeit zu fahren.“