Verärgerter Wildunger bremst Schlepper aus - Auffahrunfall

500 Euro Geldstrafe verhängte das Fritzlarer Amtsgericht über einen Wildunger, der aus Ärger einen Auffahrunfall mit einem Trecker provoziert hatte.
Bad Wildungen/Fritzlar – Der Mann nahm den Spruch der Richterin an. Das Urteil wegen Nötigung ist damit rechtskräftig. Während der Verhandlung wurde ein keineswegs alltägliches Geschehen offenbar, das in seinen verkehrsrechtlichen Details auch für die erfahrene Richterin Corinna Eichler eine Überraschung bereit hielt. Der Hergang: Auf der Bundesstraße 485 zwischen Bad Zwesten und Braunau fand sich der Angeklagte in seinem Auto hinter einem Gudensberger Traktor wieder. An dessen Frontlader war ein Düngetank montiert, am Heck eine zusammengeklappte Rübenlegemaschine.
Laut Anklageschrift überholte der Wildunger in Höhe des Abzweigs zur Hardtwaldklinik den Schlepper, setzte sich vor ihn und stieg „voll in die Eisen“, wie es umgangssprachlich heißt. Einziger Grund für die Vollbremsung gemäß Angaben der Staatsanwaltschaft: Der Pkw hatte beim Überholen den Schlepper touchiert, so dass der Spiegel des Autos auf der Beifahrerseite einklappte. Aus Ärger darüber habe der Wildunger den Schlepper abrupt ausgebremst.
Schaden von 4000 Euro am Schlepper verursacht durch provozierten Auffahrunfall
Den Fahrer der Landmaschine nötigte der Angeklagte damit ebenfalls zur Vollbremsung. Den Auffahrunfall konnte der Gudensberger trotzdem nicht verhindern. An seinem Traktor entstand ein Schaden von geschätzten 4000 Euro, hieß es in der Anklage.
Zusätzlich zu dieser Nötigung hielt die Staatsanwaltschaft dem Wildunger eine Straßenverkehrsgefährdung vor, weil er trotz durchgezogener Linie beim Überholen auf die Gegenfahrspur ausgeschert sei. Der Strafrahmen für die Gefährdung des Verkehrs reicht von einer Geldstrafe bis zu fünf Jahren Gefängnis.
Überholmanöver selbst gefährdete laut Gericht den Straßenverkehr nicht
Als Straßenverkehrsgefährdung wertete Richterin Eichler das Überholen jedoch nicht, weil die Straße an dieser Stelle breit und gut einzusehen ist: „Es gab keine Gefährdung von Leib und Leben.“ Und abgesehen vom Einklappen des rechten Rückspiegels am Pkw sei beim Überholvorgang selbst nichts passiert. Erst der Ausraster mit der Vollbremsung – und damit die Nötigung – verursachte den Unfall.
Allerdings: Das Überfahren einer durchgezogenen Linie beim Überholen stellt eigentlich eine Ordnungswidrigkeit dar, für die eine zusätzliche Geldbuße fällig gewesen wäre. An diesem Punkt wartete die Überraschung. Denn bei einem genauen Blick auf die Bilder der Polizei von der Unfallstelle registrierte das Gericht:
Krasser Justiz-Unterschied zwischen durchgezogener Linie und schraffierter Verkehrsfläche
Der Wildunger überfuhr beim Überholen keine durchgezogene Linie, sondern eine schraffierte Fläche als Bestandteil der Linksabbiegespur Richtung Hardtwaldkliniken. „Das Überfahren solcher "Sperrflächen" ist laut eines Urteils des Bundesgerichtshof aber nicht grundsätzlich verboten“, erklärte Corinna Eichler. Ein Umstand, der auch die Richterin verwundert: „Vielleicht urteilte der Bundesgerichtshof damals in einem Fall mit besonderen Umständen.“
Der Bundesgerichtshof fällte sein Urteil zu „Sperrflächen“, also schraffierten Verkehrsflächen, 1986. Deren Überfahren sei nicht grundsätzlich verboten. Wer darauf überhole, den treffe aber die Schuld an einem etwaigen Unfall, weil der Überholte wegen der schraffierten Fläche nicht mit einem überholenden Fahrzeug rechnen müsse. Durchgezogene Linien haben im Vergleich dazu dieselbe verkehrsrechtliche Aussagekraft wie ein Überholverbotsschild. (Manfred Schaake)