NVV bewertet 9-Euro-Ticket positiv – Aber: Mehr für Verkehrswende tun

Das 9-Euro-Ticket ist im Gebiet des Nordhessischen Verkehrs-Verbunds gut angenommen worden.
Waldeck-Frankenberg – Insgesamt sind im NVV-Gebiet rund 300 000 9-Euro-Tickets für die Monate Juni, Juli und August verkauft worden. Hinzu kommen 130 000 Zeitkarten-Kunden, deren Fahrkarten ebenfalls wie das 9-Euro-Ticket genutzt werden konnten: für Fahrten im öffentlichen Nahverkehr in ganz Deutschland. Dies teilte der Nordhessische Verkehrs-Verbund auf Anfrage unserer Zeitung mit. Zahlen für Waldeck-Frankenberg konnte der Verbund allerdings nicht nennen.
Nach einer groben, vorläufigen Schätzung geht der NVV im Busbereich von einem Zuwachs bei den Fahrgastzahlen von ca. 20 bis 30 Prozent und im Zugverkehr von 30 bis 50 Prozent aus. Dadurch sei im NVV-Gebiet das Vor-Corona-Niveau mit rund 220 000 Fahrgästen am Tag erreicht und zum Teil sogar übertroffen worden.
„Wir freuen uns darüber, dass im 9-Euro-Ticket-Zeitraum so viele Menschen unser Angebot genutzt haben. Unsere Einschätzung ist aber, dass niedrige Fahrpreise allein die Menschen nicht dauerhaft überzeugen können, mit Bus und Bahn zu fahren“, sagt NVV-Geschäftsführer Steffen Müller. „Vielmehr braucht es dazu vor allem gute und verlässliche Verbindungen. Der NVV setzt sich schon seit langem dafür ein, die Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs gerade auch im ländlichen Raum attraktiv zu machen. Dafür steht zum Beispiel unser Ziel, jedes Dorf mindestens einmal pro Stunde mit Bus oder Bahn anzubinden.“
Ohne einen weiteren Ausbau des Angebots, der Infrastruktur und der Digitalisierung bei gleichzeitiger auskömmlicher Finanzierung aller damit verbundenen Maßnahmen werde die Verkehrswende nicht gelingen, unterstreicht Müller. Daher setze sich der NVV bei Bund und Land dafür ein, „die Höhe der Finanzmittel in den nächsten Jahren verlässlich und deutlich zu erhöhen. Nur wenn der Einnahmeausfall bei gewünschten günstigen Tickets ausgeglichen wird, ist eine Umsetzung überhaupt denkbar. Wenn dies gewährleistet ist, steht der NVV auch möglichen Nachfolge-Angeboten, die aktuell diskutiert werden, offen gegenüber“.

Insbesondere an Wochenenden, Feiertagen und Brückentagen gab es eine hohe Nachfrage beim 9-Euro-Ticket: „In den Zügen stieg die Anzahl an Fahrgästen teilweise um das Drei- bis Vierfache an. Aber auch an Werktagen war ein Anstieg der Fahrgastzahlen zu bemerken“, schildert der Geschäftsführer des Nordhessischen Verkehrs-Verbunds (NVV), Steffen Müller.
Große Fahrgastmengen verzeichnete der NVV auf den Linien Kassel-Göttingen, Kassel-Frankfurt, Kassel-Hagen, Kassel-Düsseldorf und Kassel-Bebra-Fulda. Auffällig war insgesamt, dass vor allem Verbindungen stark frequentiert waren, die über längere Strecken ein gutes Angebot darstellten – wie Richtung Rhein-Main, Ruhrgebiet, Niedersachsen und Thüringen.
Im Busbereich betraf der Fahrgastzuwachs alle Linien, vor allem aber die Linien, die zu den nordhessischen touristischen Zielen wie der Linie 500 Richtung Bad Wildungen, Linie 510 Richtung Edersee, Linie 180 Richtung Bad Karlshafen, Linie 190/192 Richtung Sababurg, Linie 290 Richtung Meißner und Linie 490 Richtung Frielendorf/Silbersee führten.
Um der erhöhten Nachfrage gerecht zu werden, habe der NVV bei den Verkehrsunternehmen zusätzliches Personal beauftragt, um es an viel frequentierten Bahnhöfen in der Region einzusetzen. Steffen Müller: „So konnten die Fahrgäste geleitet und informiert werden. Zudem hat der NVV die Kapazitäten auf Zug- und Regio-Tram-Strecken verstärkt, wann und wo es ging. Das war jedoch nicht immer möglich, da den Verkehrsunternehmen nur eine begrenzte Zahl an Fahrzeugen zur Verfügung stehen. Der Einsatz wurde so geplant, dass die höchstmögliche Kapazität insbesondere an den Wochenenden zur Verfügung gestellt wurde.“
Dennoch sei es auf den besonders stark frequentierten Bahnstrecken an Wochenenden teilweise zu Überlastungen der Züge gekommen. Insbesondere sei die Strecke Kassel - Göttingen als Verbindungsglied zwischen den Linien Hannover - Göttingen und Kassel - Frankfurt davon betroffen gewesen.
Es sei vorgekommen, dass Fahrgäste nicht in den gewünschten Zug einsteigen konnten, insbesondere die Mitnahme von Fahrrädern gestaltete sich laut NVV-Geschäftsführer schwierig. „Auch auf den Rollstuhl angewiesene Fahrgäste konnten in Einzelfällen nicht mitgenommen werden. Teilweise mussten Züge von der Polizei geräumt werden, da das zulässige Höchstgewicht überschritten wurde. Die Überlastung trat unter anderem auch deshalb auf, weil durch einen hohen Krankenstand beim Fahrpersonal teilweise Züge ausfallen mussten“, erinnert Steffen Müller.
Der NVV verzeichnete nach seinen Angaben indes keinen Anstieg der Kundenbeschwerden: „Die Fahrgäste haben überwiegend verständnisvoll auf diese Situation reagiert.“ Der NVV-Geschäftsführer: „Unser Dank gilt vor allem den Mitarbeitenden der Verkehrsunternehmen – für sie waren diese drei Monate eine erhebliche Belastungsprobe.“
Erste Marktforschungsergebnisse zeigen laut Steffen Müller einerseits, dass das 9-Euro-Ticket häufig für Fahrten genutzt wurde, die ohne das Angebot gar nicht stattgefunden hätten, „andererseits, dass der günstige Preis viele Menschen dazu bewegt hat, vom Auto auf Bus und Bahn umzusteigen“.
Studie soll Ende September vorliegen
Der NVV hat zusammen mit der Kasseler Verkehrs-Gesellschaft eine eigene Studie zu den Auswirkungen des 9-Euro-Tickets in Auftrag gegeben. NVV-Geschäftsführer Steffen Müller: „Sobald erste Ergebnisse voraussichtlich Ende September vorliegen, wird der NVV diese vorstellen. Eine weitere Befragung im Laufe des Jahres soll zeigen, ob die Wirkung des 9-Euro-Tickets auch langfristig bestehen bleibt – sprich, ob Fahrgäste während des Angebotszeitraums die Vorzüge des Öffentlichen Personennahverkehrs so schätzen gelernt haben, dass sie weiterhin vermehrt Bus und Bahn fahren.“
Seit dem 1. September gelten im Nordhessischen Verkehrs-Verbund wieder die regulären Ticketpreise. Derzeit wird im NVV eine Tarifreform vorbereitet, die aber schon vor der Diskussion zum 9-Euro-Ticket angestoßen wurde, schildert Müller. Darin wird unter anderem das Tarifsystem und auch der Zuschnitt bei Ticketsorten auf den Prüfstand gestellt.
Dazu kommen zwei aktuelle Projekte, die der NVV so schnell wie möglich für seine Kunden einführen will.
Zum einen plant er die Einführung einer Nahverkehrs-Bahncard im NVV. Sie soll sich dadurch auszeichnen, dass der Kunde monatlich einen Grundpreis, der noch festgelegt werden soll, zahlt und dann Fahrkarten für Gelegenheitsfahrten, wie zum Beispiel Einzel- oder Tageskarten, rabattiert erhält.
Zum anderen soll es über eine weitere App möglich sein, besonders einfach den Öffentlichen Personennahverkehr zu nutzen. Hier handelt es sich um eine Best-Price-Abrechnung für Gelegenheitskunden: Egal wie häufig man fährt, man zahlt nie mehr, als eine Tageskarte in der jeweiligen Preisstufe kostet. Müller: „Die Handhabung ist sehr einfach, da sich der Fahrgast beim Ein- und Ausstieg über das Handy an- bzw. abmeldet. Das Zahlen erfolgt problemlos in der App der Firma Fairtiq aus der Schweiz über die vom Kunden hinterlegte Zahlungsart. Jedoch wird es voraussichtlich noch bis Anfang 2023 dauern, bis unsere Kunden von den genannten aktuellen Projekten profitieren können.“
Der NVV-Geschäftsführer: „Unabhängig von möglichen Nachfolge-Angeboten zum 9-Euro-Ticket will der NVV auch künftig attraktive Bus- und Bahnverbindungen zu fairen Preisen bieten – und so Stammkunden halten, aber auch neue Fahrgäste gewinnen.“
Bundesweit 52 Millionen 9-Euro-Tickets verkauft
Seit dem Verkaufsstart Ende Mai wurden bis Ende August bundesweit rund 52 Millionen 9-Euro-Tickets verkauft. Das ergab eine Auswertung des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Dazu kommen etwa zehn Millionen Abonnentinnen und Abonnenten, die das vergünstigte Ticket jeweils monatlich über den Aktionszeitraum automatisch erhalten haben, heißt es.