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Stress mit dem Wolf: Mehr Tiere und Konflikte in Hessen erwartet

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Von: Achim Rosdorff

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Für den Artenschutz war die Rückkehr der Wölfe eine gute Nachricht. Nach und nach erobern sie sich ihre ehemaligen Lebensräume zurück. Doch es gibt auch Probleme.

Bad Arolsen – Die Wolfswelt ist jetzt in Gegner und Freunde gespalten. Viele Jahre galt Waldeck-Frankenberg nur als Durchgangsland für Wölfe. Gesehen wurden sie nie, und niemand fand ihre Spuren. Das änderte sich am 10. Januar dieses Jahres. Gleich zweimal konnte rund um Korbach ein Wolf gefilmt werden. Seit Beginn des offiziellen Wolfsmonitoring in Hessen im Jahr 2006 ist dies nach einer Sichtung am 27. April 2017 in Twistetal die zweite amtlich bestätigte Sichtung eines Wolfs im Landkreis. Und am 8. Februar dokumentierte ein Video erneut einen Wolf an der Kreisgrenze bei Wolfhagen.

Zwei Tage später fand ein Landwirt in Helsen ein gerissenes Schaf, und die Ergebnisse der Genproben bestätigten den Wolf als Verursacher. (Stand 24. Februar 2023). Ob es sich bei den Sichtungen und dem einzelnen Nachweis um einen Wolf handelt, der die Gegend erforscht oder zufällig mehrere Wölfe das Land durchstreifen, kann noch nicht festgestellt werden.

Der Wolf ist ein Ausdauerläufer und schafft 80 Kilometer am Tag.
Der Wolf ist ein Ausdauerläufer und schafft 80 Kilometer am Tag. © Kathleen Gerber

Er kommt bei möglichen Wolfsrissen: Die Arbeit des Wolfsberaters

Bisher sind in Hessen vier Wolfsterritorien mit drei Rudeln und einem Einzeltier nachgewiesen, gemeinsam mit den dazugehörigen Jungtieren leben im Augenblick 19 Tiere in Hessen (Stand 22. Februar 2023). Wird ein gerissenes Tier gefunden, beginnt die Arbeit des für den Landkreis zuständigen Wolfsberaters Hakola Dippel. „Ich werde vom Wolfszentrum über einen möglichen Wolfsriss informiert, manchmal auch direkt vom Tierhalter und mache dann so schnell wie möglich einen Termin aus. Zwischen dem Ereignis und der Meldung beim Wolfszentrum sollten nicht mehr als 24 Stunden liegen. Sonst wird es immer schwieriger, verwertbare DNA-Proben zu nehmen.“

Wolfsberater Hakola Dippel, zuständig im Landkreis für das Forstamt Frankenberg-Vöhl.
Wolfsberater Hakola Dippel, zuständig im Landkreis für das Forstamt Frankenberg-Vöhl. © Barbara Liese

Dippel ist für die meist aufgeregten oder auch verärgerten Tierhalter der erste Ansprechpartner. Es kann dabei hin und wieder zu heftigen Diskussionen führen, doch mit Zeit und Geduld kann er seine Aufgabe und Zuständigkeit erklären.

Wolfsberater muss bei Spurensuche aufmerksam sein: „Ich fotografiere und notiere alles“

Schon auf dem Weg zu dem betroffenen Tier schaut er sich die Umgebung an. Liegen zum Beispiel die Überreste eines Tieres leicht zugänglich auf einer Weide, besteht die Gefahr der Kontamination durch andere Tiere wie Hunde oder Füchse. Wird Hunde-DNA an einem Wolfsriss festgestellt, dann ist es aber durchaus möglich, dass das tote Tier auch von einem Hund gerissen wurde. Auch der Zaun gibt Hinweise auf das Geschehen.

„Ich fotografiere und notiere alles, was in einem Zusammenhang mit dem Riss stehen könnte. Ist die Kehle des Tieres zerbissen, ist das schon ein deutlicher Hinweis, nicht nur auf einen Wolf, sondern allgemein auf einen großen Beutegreifer, möglich wäre auch Hund oder Luchs. Am Tier selbst werden dann Proben genommen. Ich schicke sie mit einem Protokoll so schnell wie möglich an das Wolfszentrum. Die Dokumentation wird im WZH ausgewertet und nur die DNA-Probe wird an das Senckenberg-Zentrum für Wildtiergenetik in Gelnhausen geschickt. Die DNA-Analyse dauert in der Regel zwei bis drei Wochen, sobald das genetische Ergebnis vorliegt, kann das WZH den amtlichen Feststellungsbescheid anfertigen.“

Mehr Wölfe in Hessen erwartet

Das hessische Wolfszentrum im Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (hlnug) geht davon aus, dass sich die Wolfpopulation in Hessen und damit auch im Kreis deutlich erhöhen könnte. In allen hessischen Wolfsterritorien mit einem Paar oder Rudel werden bis Mai vermutlich Welpen zur Welt kommen. Man rechnet zudem weiter mit durchziehenden Wölfen und Tieren, die sich auf der Suche nach einem geeigneten Lebensraum in Hessen ansiedeln, die Territorien werden kleiner. Menschenleere Rückzugsgebiete gibt es auch im, der Fläche nach, größten Landkreis Hessens nicht mehr. Konflikte sind vorprogrammiert. Vor allem Nutz- und Weidetierhalter sind betroffen.

Der intelligente Wolf gehört zu den streng geschützten Tierarten und hat längst verstanden, dass die Nähe des Menschen nicht gefährlich ist. Als Opportunist bedient er sich, wenn möglich, an den Beutetieren, die am einfachsten zugänglich sind. Diese für ihn gute Erfahrung gibt er an seine Nachkommen weiter. Hat ein Jungtier einmal erlebt, wie leicht auf einer Schafsweide Beute zu machen ist oder sogar Rinder auf dem Speiseplan stehen können, wird es das nachahmen.

Diese Erkenntnis, von allen Wolfsexperten anerkannt, hat sich im hessischen Landtag bis heute nicht herumgesprochen. Noch immer wird im Gegensatz zu anderen Bundesländern effektiver ein Herdenschutz erst dann genehmigt, wenn ein amtlich bestätigter Übergriff von ansässigen Wölfen auf die entsprechende Tierart in einem Wolfspräventionsgebiet vorgekommen ist.

Schäfer Jan Pieper macht sich nach dem Wolsriss in Helsen Sorgen um seine Tiere.
Schäfer Jan Pieper macht sich nach dem Wolsriss in Helsen Sorgen um seine Tiere. © Barbara Liese

Angstfaktor Wolf: Schafsbesitzer in Hessen machen sich Sorgen

Jan Pieper aus Diemelstadt, der mit seinen rund 600 Schafen durch das Waldecker Land zieht, kann diese politische Zurückhaltung nicht verstehen. „Wenn ich hier mit den Schafen über die Grenze nach Westfalen wandere, hätte ich sofort 100 Prozent Herdenschutz und nicht erst dann, wenn schon ein Tier gerissen wurde. Muss der Wolf wirklich erst lernen, einen Weidezaun zu überspringen, bis meine Schafe geschützt werden? Das Ministerium, das mir bestätigt, wie wichtig meine Arbeit für den Naturschutz und die Landschaft ist, will erst gerissene Tiere sehen, bis der Herdenschutz in Anspruch genommen werden kann. Bis heute habe ich nicht gehört, dass der in Helsen bestätigte Wolf dazu geführt hat, dass hier ein Wolfspräventionsgebiet bestätigt wird.

Mir ist unterwegs noch kein Wolf begegnet, aber ich mache mir große Sorgen, denn natürlich ist Waldeck kein weißer Fleck. Wenn ich nachts noch einigermaßen gut schlafen möchte, muss ich wohl auf eigene Faust meine Netze aufrüsten. Wie ich damit umgehe, wenn ich das erste gerissene Tier finde, kann ich mir jetzt noch gar nicht vorstellen.“

Hessen: Schutzmaßnahmen gegen den Wolf kosten Zeit und Geld

Für viele Tierhaltungsbetriebe bedeuten die Schutzmaßnahmen einen hohen finanziellen und zeitlichen Aufwand. Ob Zaun, Hund oder Esel, die für den Herdenschutz sehr gut geeignet sind, alles muss gepflegt und unterhalten werden. Doch nur, wenn möglichst viele Nutztierherden durch effektive Präventionsmaßnahmen vor Wölfen geschützt werden, lernt der Wolf, dass die Weidetiere grundsätzlich keine leichte Beute sind.

Nicht nur Schafhalter sorgen sich um ihr Tiere. Kleine Wiederkäuer, Kälber und Fohlen passen ebenfalls in das Beuteschema des Wolfes. Hier gilt wie bei Schafen eine Förderung, wenn ein amtlich bestätigter Wolfsübergriff auf die entsprechende Tierart in einem Wolfspräventionsgebiet vorgekommen ist.

Möglich ist die Förderung von Tieren bis zu einem Lebensalter von einem Jahr oder bei kleinwüchsigen Rassen. Der beste Schutz wäre das Aufstallen der Weidetiere während der Nacht. Das ist in vielen Betrieben aber nicht vorgesehen und organisatorisch schwierig. Beides bedeutet zudem mehr Kosten und Aufwand.

Kuhbauer aus Nieder-Waroldern: Wir müssen mit dem Wolf leben

Auf seinem rund 200 Hektar großen Bioland-Hof in Nieder-Waroldern hält Reinhard Nagel 60 Milchkühe mit Nachzucht. Seine Tiere weiden Tag und Nacht auf etwa 20 Hektar Fläche. „Um diese Weiden kann ich keinen Herdenschutzzaun bauen. Wie sollte der auch bei Rindern aussehen? Noch bin ich relativ entspannt und will mich nicht an Panikmache beteiligen. Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als mit dem Wolf zu leben und damit umzugehen.“

Reinhard Nagel bereitet sich auf einen Herdenschutz mit Hund und Eseln vor.
Reinhard Nagel bereitet sich auf einen Herdenschutz mit Hund und Eseln vor. © Barbara Liese

Reinhard Nagel: „Ich informiere mich über den Herdenschutz gemeinsam mit Hunden und Eseln, das habe mir schon bei einer Züchterin in Niedersachsen angeschaut. Ich hoffe, dass ich im Ernstfall dann schnell handeln kann. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es ist, ein oder gar mehrere gerissene Tiere auf der Weide zu finden. Man muss aber auch ehrlich sein: Wenn man nur den finanziellen Schaden betrachtet, dann sind jährlichen Schäden durch Wildschweine höher.“

Ist der Wolf eine Gefahr für Menschen?

Seit der Rückkehr der Wölfe vor inzwischen mehr als zwanzig Jahren wurde, so das hlnug, noch kein Mensch von einem Wolf angegriffen. Wölfe sind von Natur aus vorsichtige Tiere und scheuen die direkte Begegnung mit Menschen und erkennen sie nicht als Beutetiere.

Sollte es zu dennoch zu einem Treffen kommen, gelten die gleichen Regeln, die auch bei Fuchs oder Wildschwein beachtet werden sollten: Ruhe bewahren und den Wölfen die Möglichkeit geben, sich zurückzuziehen. Man kann sich groß machen, klatschen, die Wölfe bestimmt ansprechen, rufen, sich langsam zurückziehen oder zu einer Trillerpfeife greifen.

Auf keinen Fall sollte man auf einen Wolf zugehen oder gar versuchen ihn zu streicheln oder zu füttern. Zieht er sich zurück, sollte man ihm nicht nachlaufen, sondern stehen bleiben oder selbst langsam rückwärts gehen. Wölfe stehen an der Spitze der Nahrungskette. Sie halten den Wildtierbestand mobil und die Population niedrig. Sie erjagen meist alte und kranke Tiere, so dass sich nur die kräftigen und gesunden Tiere fortpflanzen. Die Huftiere in Wolfsgebieten sind mobiler und wandern, so verringert sich der Verbiss an jungen Pflanzen und der Wald hat mehr Zeit sich zu erholen. Rehe und Co werden gleichzeitig scheuer und insgesamt noch vorsichtiger und machen so den Jägern das jagdliche Leben schwerer. Aber Wölfe und Jäger, das ist eine andere Geschichte. (Barbara Liese)

Info

Eine Wolfssichtung oder einen Riss kann man melden bei wolf@hlnug.hessen.de oder unter der HLNUG-Wolfshotline Tel.: 0641-200095 22.

Aktuelle Hinweise auf gemeldete Wolfssichtungen oder Risse und allgemeine Hinweise gibt das Wolfszentrum in Gelnhausen unter https://www.hlnug.de/themen/naturschutz/tiere-und-pflanzen/arten-melden/wolfszentrum

Fragen zu Fördermöglichkeiten für den Herdenschutz beantwortet die Förderbank Hessen. https://www.wibank.de/wibank/weidetierschutz/weidetierschutz-570874

Hessen berät Weidetierhalter zum Herdenschutz. In enger Zusammenarbeit mit den Betrieben werden individuelle Konzepte zur Gefahrenabwehr erstellt. https://llh.hessen.de/tier/herdenschutz/

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