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Kreiskrankenhaus Frankenberg: Chefärzte schildern Dauerbelastung durch Corona

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Von: Martina Biedenbach

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Es geht nur im Team: Das sagt Dr. Elisabeth Pryss (links), Chefärztin der Klinik für Innere Medizin am Kreiskrankenhaus Frankenberg, die hier mit Stationsmanagerin Martina Holderith (Mitte) und Krankenschwester Raffaela Meyer-Rühl vorm abgetrennten Covid-Bereich in ihrer Abteilung steht.
Es geht nur im Team: Das sagt Dr. Elisabeth Pryss (links), Chefärztin der Klinik für Innere Medizin am Kreiskrankenhaus Frankenberg, die hier mit Stationsmanagerin Martina Holderith (Mitte) und Krankenschwester Raffaela Meyer-Rühl vorm abgetrennten Covid-Bereich in ihrer Abteilung steht. © Martina Biedenbach

Seit fast zwei Jahren grassiert das Coronavirus - und ist eine enorme Belastung für das Krankenhaus-Personal. Dr. Elisabeth Pryss und Dr. Hannes Gabriel, Chefärzte im Kreiskrankenhaus Frankenberg, schildern ihre Erfahrungen.

Frankenberg – Dr. Elisabeth Pryss (63) betreut als Chefärztin der Klinik für Innere Medizin mit ihrem Team seit Beginn der Pandemie Corona-Patienten im Frankenberger Kreiskrankenhaus. Die Station 3 wurde zur Covid-Station. Schwerst-Erkrankte werden interdisziplinär auf der Intensivstation von Chefarzt Dr. Hannes Gabriel behandelt (siehe unten). Dr. Pryss berichtet im Interview über die Coronazeit.

Frau Dr. Pryss, wie fühlen Sie sich nach so langer Zeit im Corona-Dauereinsatz?

Ich fühle mich prinzipiell gut, bin aber doch im Rückblick froh, dass die Pandemie mich erst in einem Alter erreicht hat, in dem ich auf eine große Berufserfahrung zurückblicken kann. Wir stellen uns den täglichen Anforderungen und sind guter Hoffnung, dass diese Pandemie, wie jede andere auch, enden wird.

Ich hatte erwartet, dass Sie sagen, wir sind alle erschöpft.

Ja, wir sind erschöpft. Aber wir kennen diesen Alltag jetzt seit zwei Jahren. Es gibt Herausforderungen, mit denen wir nicht gerechnet haben. Diesen Herausforderungen stellen wir uns. Wir hätten es oft gerne anders, aber die Realität ist halt die Realität. Es ist unserer Beruf, den wir gewählt haben.

Porträtfoto von Dr. med. Elisabeth Pryss, Chefärztin der Klinik für Innere Medizin, Schwerpunkt Kardiologie am Kreiskrankenhaus Frankenberg.
Dr. med. Elisabeth Pryss, Chefärztin der Klinik für Innere Medizin, Schwerpunkt Kardiologie am Kreiskrankenhaus Frankenberg. © Kreiskrankenhaus Frankenberg

Was waren in dieser langen Zeit die schwierigsten Situationen für Sie?

Die schwierigste Zeit war die Anfangszeit, wo wir quasi überrollt wurden von einem komplett neuen Krankheitsbild. Am Anfang waren wir noch nicht vernetzt, wir waren zunächst auf uns alleine gestellt. Extrem schwierig war die Rationierung von Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln. Mich persönlich hat extrem belastet, dass trotz dieser Knappheit Patienten und Angehörige Desinfektionsmittel und Schutzmaterial aus der Klinik entwendet haben. Material, das zum Schutz des Personals so nötig war.

Wie sind Sie mit der hohen Ansteckungsgefahr fürs Personal umgegangen?

Als sich die ersten Mitarbeiter infiziert hatten, bin ich ein bisschen nervös geworden, muss ich gestehen. Wir haben dann ganz scharf nachgearbeitet und fanden so die Gründe für die Infektionen heraus. Damit konnten wir gut weitermachen. Ich habe schon sehr früh begonnen, FFP-2-Masken zu tragen. Damit habe ich wohl auch eine eigene Ansteckung verhindert.

Wie sind Sie weiter vorgegangen?

Wir haben am Teamgedanken gearbeitet und Teams gebildet. Ohne Teamwork kann man eine solche Pandemie nicht stemmen. Wenn nur ein Mitglied – sei es der Arzt, die Krankenschwester oder die Reinigungskraft – sich falsch verhalten hätte, hätte sich das ganze Team anstecken können, mit erheblichen Folgen für alle. Diese berufsübergreifende Teambildung hat extrem gut geklappt. In mehrmals wöchentlichen Treffen mit Geschäftsführung, Hygiene und den wichtigsten Beteiligten der einzelnen Stationen und Abteilungen – bei uns trägt sie den Namen Corona Task Force – haben wir anfangs beraten, wie wir beispielsweise die wenige Schutzkleidung effizient einsetzen. In Auffrischungsschulungen wurde jedem Mitarbeiter nochmal detailliert erläutert, wie die Schutzkleidung exakt anzulegen ist, da dies bis dato nur bei vereinzelten Patienten nötig war.

Und dann gab es ja gerade am Anfang der Pandemie sehr viele Todesfälle.

Das war sehr belastend! Am Anfang ist fast jeder über 80-jährige Coronapatient, der auf die Intensivstation kam, gestorben. Zugelassenen Impfstoff gab es ja erst Ende 2020.

Was hat Ihnen bei der Behandlung dieses neuen Krankheitsbilds geholfen?

Geholfen hat die weltweite Vernetzung, dass Ärzte auf der ganzen Welt in digitalen Konferenzen ihre Erfahrungen mit Covid-19 geschildert und sich ausgetauscht haben. Durch den Austausch – ich erinnere mich noch besonders an Konferenzen mit Kardiologen aus Bergamo, Wuhan und New York – habe ich persönlich auch mehr Sicherheit gewonnen. Sehr hilfreich war dann auch, dass Hessen in Versorgungsgebiete aufgeteilt wurde. Wir gehören zum Versorgungsgebiet I mit dem Zentrum in Kassel. Es entstand eine enge intensivmedizinische Zusammenarbeit der nordhessischen Kliniken. Von Kassel aus erfolgt auch die Verteilung des Schutzmaterials.

Wie ging es dann weiter?

Der nächste große Knick war, als Anfang 2021 die britische Variante auftrat, die noch ansteckender war und es zu dem Zeitpunkt noch an Impfstoff mangelte. Da merkte man beim Personal, dass die mentale Belastung sehr groß wurde. Wir wussten nicht, wie tödlich die neue Variante ist. Eine Entspannung kam mit dem Impffortschritt. Allerdings kennen wir ja mittlerweile auch Impfdurchbrüche. Die Versorgung von Covid-Patienten erfolgt weiterhin in kompletter Schutzmontur, was sehr anstrengend für die Pflegenden ist. Zudem tragen wir seit fast zwei Jahren den ganzen Tag über in allen Bereichen FFP-2-Masken. Auch das ist anstrengend.

Ein wieder aktuelles Thema ist ja auch das Besuchsverbot für Angehörige.

Ja, das Besuchsverbot ist für Patienten und Angehörige eine Katastrophe, aber auch für uns. Wir müssen alles telefonisch bereden statt im direkten Gespräch. Am Anfang der Pandemie waren die schwererkrankten Patienten, meist alte Menschen, ganz alleine. Das belastete auch uns stark.

Was brauchten Sie beziehungsweise das Krankenhaus an Unterstützung?

Unglaublich hilfreich war am Anfang der Pandemie, dass Firmen aus der Region uns Schutzmasken besorgt haben. Uns allen tut die Unterstützung und Wertschätzung aus der Bevölkerung gut. Da wurde Pizza für die Notaufnahme oder Kuchen für die Pflegekräfte vorbeigebracht. Es gibt Präsentkörbe oder auch viele Geldspenden, unter anderen von Privatpersonen. Das ist eine Art Solidarität. So merken wir, es wird draußen gesehen, was wir machen und das ist enorm wohltuend. Wir wünschen natürlich, dass die Personaldecke erhalten oder noch vergrößert werden kann. Personal ist das Wichtigste. Bei der finanziellen Unterstützung des Hauses ist immer Luft nach oben. Und ein Riesenwunsch ist, dass sich alle impfen lassen. Das wäre eine Entlastung für uns.

Gibt es auch positive Erfahrungen, die Sie aus der Pandemiezeit mitnehmen?

Ich habe heute eine Pflegekraft getroffen, die infiziert war und lange mit den Folgewirkungen, mit Post-Covid, zu kämpfen hatte. Sie ist jetzt wieder vollkommen gesund. Es sieht so aus, dass sich die meisten Post-Covid-Patienten nach einem halben oder einem Jahr doch wieder erholen. Ich bin dankbar dafür, dass alle Kräfte, vom Hausmeister über die Reinigungskräfte bis zu Ärzten und Pflegenden, mitziehen im Team. Sonst hätten wir es nicht geschafft. Es ist der Vorteil eines kleinen Krankenhauses, wie dem unseren, dass sich alle kennen. Alle wollten, dass wir da durchkommen. Und jetzt wollen alle, dass es vorbeigeht.

Chefärztin Dr. Pryss : „Wir sind vorbereitet auf Omikron“

Frau Dr. Pryss, wie ist die Situation in der Klinik im Hinblick auf Omikron-Variante?

Seit Anfang Januar ist es etwas ruhiger bei uns. Aber Omikron steht vor der Tür. In meiner Abteilung sind alle dreifach geimpft und wir streichen uns zusätzlich zweimal die Woche ab. Wir arbeiten unter maximalen Schutzbedingungen. Allerdings könnte das Virus von außen reingetragen werden, durch Privatkontakte. Die größte Ansteckungsgefahr geht von den Ungeimpften aus. Das Personal muss diesen anstrengenden Job derzeit vor allem für die Ungeimpften machen. Das ist belastend.

Wie bereiten Sie sich auf die Omikron-Welle vor?

Wir sind optimal vorbereitet nach derzeitigem Wissenstand. Sollte es tatsächlich zu Personalausfällen aufgrund von Infektionen kommen, organisieren wir um. Das machen wir übrigens bisher schon. Wir belegen dann zum Beispiel Stationen nicht maximal, sondern mit weniger Patienten oder wir begrenzen die Zahl der Covid-Patienten, die wir behandeln. Das Land gibt da ja Vorgaben.

Wurde die Behandlung der Patienten im Laufe der Zeit vielleicht etwas leichter, weil die Medizin mehr Kenntnisse dazu gewann?

Ja, es ist einfacher. Es gibt Leitlinien, die setzen wir sofort um. Man muss sich natürlich ständig neu informieren und am Ball bleiben. Man darf nicht nachlassen, um Ausbrüche zu verhindern. Da machen wir viel Gutes durch die Teambildung: Alle ziehen beim Infektionsschutz mit. Dafür bin ich dankbar.

Es gibt ja mittlerweile Medikamente für Covid-Erkrankte. Was erwarten Sie von diesen?

Die beiden neuen Medikamente können eine weitere Hilfe sein, sie sind aber noch nicht in Deutschland zugelassen. Allerdings wird mit ihrem Einsatz nicht einfach alles gut. Auch diese Medikamente haben Nebenwirkungen. Wir alle müssen weiterhin vorsichtig sein. Wir träumen davon, dass sich das Virus mit der Omikron-Variante zu einer Art Schnupfenvirus abschwächt. Aber da sind wir noch nicht. Gerade ist von einer neuen, französischen Variante die Rede, die aus Afrika eingeschleppt wurde. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen weltweit die Möglichkeit erhalten, sich impfen zu lassen.

Befürchten Sie, dass viele Pflegekräfte wegen der Anstrengung dem Beruf den Rücken kehren?

Sollte die Pandemie noch lange weitergehen, weiß man nicht, ob generell in Krankenhäusern ein Exodus an Angehörigen von Pflegeberufen stattfindet. Wir sind alle erschöpft, wir möchten gerne, dass die Pandemie endet, aber wir sind nicht am Maximallimit angelangt.

Zur Person

Dr. Elisabeth Pryss (63), Fachärztin für Innere Medizin mit Zusatzbezeichnung Kardiologie und Master of Health Business Administration, leitet seit 2013 die Fachklinik für Inneres am Kreiskrankenhaus Frankenberg. Zuvor lebte sie 30 Jahre in Berlin, wo sie Studium und Ausbildung absolvierte. Nach leitender Tätigkeit in Brandenburg kam sie nach Frankenberg. Gebürtig stammt sie aus Medebach.

Dr. Gabriel, Chefarzt Intensivstation: Alle Coronapatienten auf intensiv ungimpft

Auf der Covid-Isolierstation des Kreiskrankenhauses Frankenberg: Stellvertretend für ein 21-köpfiges Pflegeteam berichten (von links): Assistenzärztin Juana Martinez Zarama, Denise Harbecke, Linda Voege, Katja Hormel, Antje Friedrich, Melina Isenberg und Laura Diener.
Auf der Covid-Isolierstation des Kreiskrankenhauses Frankenberg im Dezember 2020: Stellvertretend für ein 21-köpfiges Pflegeteam (von links): Assistenzärztin Juana Martinez Zarama, Denise Harbecke, Linda Voege, Katja Hormel, Antje Friedrich, Melina Isenberg und Laura Diener. © Kreiskrankenhaus Frankenberg

Dr. Hannes Gabriel (53) ist Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Kreiskrankenhaus Frankenberg. Auf seiner Intensivstation werden auch schwer erkrankte Covid-Patienten versorgt. Sie werden zum Beispiel in künstliches Koma versetzt und invasiv beatmet. „Das bedeutet einen hohen Aufwand“, sagt der Chefarzt. Die Pflegekräfte müssen eine extrem anstrengende Arbeit leisten, zum Beispiel die Patienten mehrfach am Tag umlagern. Und dabei tragen sie immer die komplette Schutzmontur, was die Anstrengung noch verstärkt.

Porträtfoto von Dr. Hannes Gabriel, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Kreiskrankenhaus Frankenberg.
Dr. Hannes Gabriel ist Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Kreiskrankenhaus Frankenberg. © Kreiskrankenhaus Frankenberg

„Unser Pflegepersonal ist erschöpft. Aber die derzeitige Situation ist nicht zu vergleichen mit der am Anfang der Pandemie“, sagt er. „Wir haben aus dem ersten Jahr der Pandemie gelernt und Personal aus dem OP-Bereich umverteilt, damit auf der Intensivstation mehr Personal zur Verfügung steht und auch eine Rufbereitschaft in der Nacht möglich ist. Das alles hat aber auch seinen Preis. Dafür haben wir unseren Operationsbetrieb von drei auf zwei Säle runtergefahren. Somit müssen wir planbare Operationen verschieben. Allerdings hat dies nicht allein nur mit der Pandemie zu tun. Das allgemein hohe Patientenaufkommen erforderte diesen Schritt.“

Stolz ist Dr. Gabriel auf das Management und die Teamarbeit der beiden Station, die hauptsächlich mit den Corona-Patienten zu tun haben. Bereichsleiter Mario Müller (Intensivstation) und Stationsmanagerin Martina Holderith (Station 3) leisteten, neben allen anderen Pflegekräften auch, Unvorstellbares und gingen über ihre Grenzen hinaus, sagt er.

Auch Dr. Gabriel betont die „emotionale Belastung durch die Nichtgeimpften“ für Ärzte und Pflegekräfte. „Alle Covid-Patienten, die in den letzten Wochen bei uns auf der Intensivstation waren, waren ungeimpft. Es sind leider auch zwei ungeimpfte Patienten verstorben“, schildert der Mediziner.

Sehr hilfreich bei der Versorgung der Covid-Patienten auf der Intensivstation ist seinen Angaben die Kooperation der nordhessischen Kliniken, die im Versorgungsgebiet I zusammengefasst sind. Zum einen tauschen sich die Ärzte in regelmäßigen Videokonferenzen aus, zum anderen ist ein Netz der Teamarbeit entstanden mit festen Strukturen, zum Beispiel beim Verlegen von Patienten, die an die Herz-Lungen-Maschine (ECMO) angeschlossen werden müssen.

„Diese Art von Zusammenarbeit hat es vorher nicht gegeben. Als Einzelkämpfer kämen wir nicht weit“, sagt Dr. Gabriel. (Martina Biedenbach)

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