Literarischer Frühling: Wolf Biermann sang und erzählte in Frankenberg

Der bekannte Liedermacher Wolf Biermann ist am Sonntagabend im Philipp-Soldan-Forum in Frankenberg aufgetreten. Es ist einer der Höhepunkte des zehntägigen Literatur-Festivals „Literarischer Frühling 2023“ in Waldeck-Frankenberg.
Frankenberg – Vier Abende zuvor hatte er noch in Paris im Maison von Heinrich Heine „ein neues Lied, ein bessres Lied“ angestimmt. Und nun stand Wolf Biermann nach langer Reise in Nordhessen auf der Bühne des hellen, weiträumigen Philipp-Soldan-Forums Frankenberg, „am Ende der Welt“, wie er etwas spontan meinte, um dann ausdrücklich hinterherzuschicken: „Aber Provinz ist keine Frage des Ortes, sondern des Kopfes.“
Etwa 500 Konzertbesucher begrüßten, wie Festival-Leiterin Christiane Kohl ankündigte, „Deutschlands bekanntesten und erfolgreichsten noch lebenden Poeten“ beim Literarischen Frühling mit großer Herzlichkeit und erlebten einen mit der deutschen Ost-West-Geschichte eng verwobenen, ungemein politisch engagierten Sänger – aber auch, was nur wenige bis dahin wussten, einen großen Meister an der Konzertgitarre.

Für das frisch eröffnete Philipp-Soldan-Forum mit seiner bisher noch wenig erprobten neuen Akustik war auch das wieder eine Premiere: ein Solist mit einer Gitarre im großen, hohen Raum mit gestaffelten Holzdecken. Noch dazu ein kritischer, der den Anspruch erhebt, für sich vor Jahrzehnten die Bezeichnung „Liedermacher“ erfunden zu haben, „weil sich Bertolt Brecht ja immer auch nur Stückeschreiber genannt hat“. Aber, bedauerte er gleich, so nenne sich ja inzwischen jeder, „der ein bisschen Gitarre kann und schlechte Gedichte schreibt“.
„Wenn ich besser Gitarre spiele als alle diese Stümper, dann ist das ein Gottesbeweis“, scherzte er an anderer Stelle kokett. Ernsthaft, er spielt wirklich genial gut: 1967 nahm Wolf Biermann in der DDR bei dem Gitarristen und Musikpädagogen Willi Schlinske (1904-1969) Unterricht an der Konzertgitarre. Von Anfang an bezog er seine Gitarren aus der für ihren Instrumentenbau bekannten sächsischen Stadt Markneukirchen (Adolf Meinel), aber auch von Richard Jacob „Weißgerber“ und Curt Claus Voigt.
Von Letzterem hatte er nach Frankenberg seine geliebte Zweiloch-Gitarre mitgebracht. Vor 30 Jahren, als Biermann noch einen schwarzen Bart trug, fertigte er von sich und seiner Zweiloch-Gitarre „Caprice“ eine Selbstportrait an, das er für uns augenzwinkernd hinter der Bühne aus der Tasche zog.

Die Gitarre übernimmt an diesem Abend unter dem Motto „Warte nicht auf bessre Zeiten“ zwischen Biermanns Erinnerungen aus der kommunistischen Diktatur, zwischen Krieg und Pazifismus, Liebe und Schmerz, ihre ganz eigene Rolle. Beim Lied „Soldat, Soldat“ klopft er im Marschrhythmus auf den Gitarrenkorpus, die Saiten schwingen leise mit. Und wenn er „auf den Grund der Weltgeschichte“ rutscht, lässt er seine Fingernägel metallisch über die Saiten rasseln.

Er singt zwischendurch auf Französisch, ehrt seine Vorbilder Heinrich Heine und François Villon, und empfiehlt, dass Heines Ballade „Enfant perdu“ von den Jüngeren eigentlich auswendig gelernt werden müsste. Und der in Hamburg lebende Gitarrenpoet zeigt zur Decke und versichert, dass er sein neuestes Lied für das Philipp-Soldan-Forum „in der Elbphilharmonie eingeübt“ hat. Es gibt am Ende vom begeisterten Publikum für Wolf Biermann und seinen Moderator Andreas Öhler langen, stehenden Applaus.