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Neue Informationen über jüdische Familie Kratzenstein aus Vöhl-Marienhagen

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Von: Stefanie Rösner

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Eine Postkarte aus dem Jahr 1943 von Hilde, einer Cousine von Walter, aus dem Durchgangslager Westerbork.
Eine Postkarte aus dem Jahr 1943 von Hilde, einer Cousine von Walter, aus dem Durchgangslager Westerbork. © Familie Kratzenstein

Es sind die alten Fotos der in Auschwitz umgebrachten Cousinen, es ist die Postkarte von Hilde, der einzigen in ihrer Familie, die den Holocaust überlebte, und es ist der letzte Brief der Mutter, die 1943 in Sobibor starb: Zeugnisse, die die bewegte Familiengeschichte der Kratzensteins aus Marienhagen dokumentieren.

Vöhl-Marienhagen – „Durch Zufall sind wir im Internet auf eine Seite gestoßen, auf der ein Mann die Familienchronik seines Vaters, der aus Marienhagen stammte, veröffentlicht hat“, sagt Karl-Heinz Stadtler vom Förderkreis Synagoge Vöhl, der seit Jahren mühsam die Stammbäume früherer Vöhler Juden zusammenstellt. Der Mann, der die Chronik veröffentlichte, ist Walter Ernst Kratzenstein, der Sohn von Julius Kratzenstein, über den und dessen Familie es nun „unheimlich viele neue Informationen“ gibt.

Sohn Walter Ernst Kratzenstein hielt die Familiengeschichte fest. Er starb 1999.
Sohn Walter Ernst Kratzenstein hielt die Familiengeschichte fest. Er starb 1999. © Familie Kratzenstein

Julius Kratzenstein wurde 1904 als das jüngste von vier Kindern des jüdischen Gastwirts Selig Kratzenstein und seiner Frau Dina geboren. Die Eltern bewohnten das in der Dorfmitte von Marienhagen gelegene alte Landschulheim. Julius genoss eine gute Schulbildung, er studierte in Berlin Geschichte, Philosophie und Pädagogik. Er wurde Rabbiner.

Die Lebensläufe seiner drei Geschwister waren dem Förderkreis Synagoge Vöhl bereits bekannt. Zwei von ihnen sowie deren Kinder wurden deportiert und starben in Konzentrations- und Arbeitslagern. „Über Julius wussten wir nichts, außer dass es ihn gibt und dass er irgendwann weggegangen war“, so Stadtler. Dass Julius Kratzenstein nicht in Deutschland blieb, rettete ihm wohl das Leben.

Der junge Julius Kratzenstein.
Der junge Julius Kratzenstein. © Familie Kratzenstein

„Julius wechselte zunächst zwischen Deutschland und der Schweiz und blieb schließlich in der Schweiz. Die Schweiz begrenzte zeitweise den Zuzug von deutschen Juden aus Angst, auch sie könne Angriffsziel der Deutschen werden.“ Julius leitete in der zweiten Kriegshälfte eine Einrichtung des Schweizerischen Roten Kreuzes, die sich um jüdische Flüchtlinge kümmerte.

Nach dem Krieg wollte er Israel im Unabhängigkeitskrieg helfen, folgte aber bald seiner Familie – seiner Frau Rosa Rachel und seinem Sohn Walter Ernst – in die USA. Im Alter von 80 Jahren besuchte Julius Kratzenstein mit seinem Sohn Walter und dessen Frau Michelle Marienhagen und Vöhl. Er starb 1990 in Michigan, USA.

Die letzten Zeilen der Mutter

In altdeutscher Schrift schreibt Dina Kratzenstein am 6. Juli 1942 aus Enschede in Holland ihren letzten Brief an ihren Sohn in der Schweiz. „... Wir sind jetzt in ein Stadium gekommen, wo es nicht so schön ist, aber alles das soll uns nicht verhindern vertrauens voll in die Zukunft zu sehen, einmal muß es wieder Ruh in der Welt geben. ...“

Ihr Sohn Julius Kratzenstein, der in die USA auswanderte, und später der Enkelsohn Walter hoben den Brief ihr Leben lang auf.

Lebensläufe und Stammbäume von Vöhler Juden: synagoge-voehl.de

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