Wolf und Weidetierhaltung: Ist Koexistenz in Waldeck-Frankenberg möglich?

In der letzten Märzwoche gibt es in Waldeck-Frankenberg zwei Info-Abende zum Thema: Wie geht es weiter mit der Weidetierhaltung, wenn im Landkreis ein Wolfsrudel entstehen sollte?
Waldeck-Frankenberg – Nach Ansicht von Nationalparkleiter Manuel Schweiger ist die Frage nicht ob, sondern wann das passiert. Über kurz oder lang liefen sich ein durchziehender Jungwolf und eine durchziehende Jungwölfin hier über den Weg und gründeten ein Rudel, erwartet er: „Der Landkreis weist eigentlich ideale Lebensbedingungen für Wölfe auf“, sagt Schweiger. Die Region und ihr Umfeld zeichneten sich aus durch Wildreichtum. Der Nationalpark allein wäre zwar als Revier zu klein, biete aber Beutegreifern wie Wolf oder Luchs ein ruhiges Rückzugsgebiet innerhalb eines Reviers.
Die heimischen Weidetierhalter erfüllt diese Aussicht mit großer Sorge, verdeutlicht Matthias Eckel, Geschäftsführer des Kreisbauernverbandes Frankenberg: „In kaum einem Thema stecken so viele Emotionen.“ Das bestätigt Landrat Jürgen van der Horst. Gerade vor dem Hintergrund dieser Gefühle streben Landkreis, Kreisbauernverband und Nationalpark eine sachliche Diskussion darüber an, wie sich die Region mit ihren Weidetierherden auf den Wolf vorbereitet.
Info-Abende mit je drei Vorträgen am 29. und 30. März
Die drei Institutionen laden für Mittwoch, 29. März, 19.30 Uhr, ins Waldecker Bürgerhaus und einen Tag später, Donnerstag, 30. März, 19.30 Uhr, in die Kellerwaldhalle Frankenau zu Informationsveranstaltungen ein. Einlass ist jeweils ab 19 Uhr. Drei Vorträge stehen auf dem Programm. „Wir holen schwerpunktmäßig Expertise aus der Sicht der Landwirtschaft ein“, fügt Eckel hinzu.
Elke Steinbach von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen liefert einen Erfahrungsbericht zum Umgang und zu Regelungen mit dem Wolf in ihrem Bundesland. Sie ist Beraterin und Koordinatorin für Herdenschutz und Fachberaterin des Verbandes niedersächsischer Ziegenzüchter. Arnd Ritter vom Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen stellt Möglichkeiten zum Schutz von Weidetieren vor, Fördermöglichkeiten für einen solchen Herdenschutz und den Ablauf im Schadensfall. Ritter gehört dem Beratungsteam Tierzucht des Landesbetriebes an.
Austausch und Diskussion im Anschluss an die Vorträge
Über die Ökologie des Wolfes spricht Richard Rust. Er ist beim Regierungspräsidium Kassel unter anderem zuständig fürs Wolfsmanagement.
Im Anschluss an die Vorträge sind Austausch und Diskussion vorgesehen, konzentriert aufs Thema Weidetierhaltung. Bei einer begleitenden Exkursion können sich die Fachleute ein Bild von den speziellen Rahmenbedingungen im Landkreis machen. Denn die Rückkehr des Wolfes birgt auch ein mögliches Dilemma für den Naturschutz.
Schutz des Wolfes konkurriert mit Schutz artenreicher Kulturlandschaft, die durch Weidetiere entstand
Hier konkurrieren zwei Naturschutzaspekte miteinander: der Wolf als geschützte Art einerseits und der Schutz der Artenvielfalt in einer über Jahrhunderte gewachsenen Kulturlandschaft andererseits – geprägt durch das Beweiden mit Schafen, Ziegen Rindern.
Heute betreiben in erster Linie Halter im Nebenerwerb und aus Passion diese Landschaftspflege, unverzichtbar für Lebensräume wie die Quernst als Teil des Naturschutz-Großprojektes im Naturpark. In der „Arche-Region“ bewahren Ziegen- oder Schafzüchter und Mutterkuh-Halter damit zugleich seltene Haustierrassen.
Wer pflegt die Landschaft, wenn Wolfsangriffe die Weidetierhalter zur Aufgabe bringen?
„Wenn der Wolf einfällt, besteht ein hohes Risiko, dass die Halter aufgeben, weil sie die Herde mit ihren Mitteln nicht schützen können“, warnt Matthias Eckel. Es gehe nicht nur um finanzielle Aspekte, „sondern auch darum, dass speziell Züchter aus Leidenschaft und Überzeugung eine persönliche Bindung zu ihren Tieren aufbauen“, weiß Eckel aus eigener Erfahrung.
Gerissene Tiere zu finden, sei für jemanden mit Leidenschaft für die Haltung schwer zu verkraften, sagt Eckel: „Das kann man nicht vergleichen mit dem Halten großer Herden in großem Maßstab, wie es beispielsweise in Sachsen erfolgt.“ Wer aber solle die artenreichen, geschützten Landschaften und Lebensräume in Waldeck-Frankenberg pflegen und ihr Verbuschen verhindern, wenn der Wolf die Halter zum Aufgeben bringe?
Idealfall: ein von Weidetieren vergrämtes heimisches Rudel als Basis für Koexistenz
„Der Wolf gehört hierher, in unser heimisches Öko-System“, sagt Nationalparkchef Manuel Schweiger zwar, „doch wir brauchen auch die Weidetierhalter und ihre Arbeit im Umfeld des Nationalparkes und für die Offenlandbereiche im Schutzgebiet“, unterstreicht er. Denn die Lebensraum-Verbünde mit der Nachbarschaft stellten eine wichtige Voraussetzung dafür dar, dass der Nationalpark seine Schutzziele wirksam verfolgen könne.
Den Idealfall für eine Koexistenz des Menschen mit einem Wolfsrudel, das sich etabliert, beschreibt der Nationalparkleiter so: „Es gelingt, diese Wölfe beim ersten Kontakt mit Weidetieren durch eine bleibende, schlechte Erfahrung so zu vergrämen, dass sie sich von ihnen fernhalten.“ Weil sie ihr Revier gegen andere Wölfe verteidigten, sinke deutlich das Risiko von Rissen durch fremde Wölfe, erwartet Schweiger im Erfolgsfall.
Abschuss als letztes Mittel bei „Problemwölfen“ sollte erlaubt sein - ist es bisher aber nicht
Schlagen alle Mühen einer Vorbeugung fehl, spricht er sich aber auch dafür aus, den Abschuss eines Wolfes zu erlauben, der die Jagd auf Weidetiere zu seiner Strategie macht. Allerdings verdeutlicht Schweiger gemeinsam mit Matthias Eckel und Jürgen van der Horst: Die Grundsatzentscheidung darüber, ob ein Wolf in solchen Fällen „entnommen“ werden darf, liegt auf höherer Ebene der Politik; beim Bund und beim Land. Aktuell ist der Wolf streng geschützt als bedrohte Wildtierart. Die Info-Veranstaltungen zielen deshalb zentral auf die Frage: welche Handlungsmöglichkeiten bestehen unter dem Dach der aktuellen Gesetzeslage?
„Wir bereiten die Info-Veranstaltungen seit Längerem vor, aber haben die Emotionalität des Themas unterschätzt“, gesteht Matthias Eckel. Nachgewiesenermaßen gesichtete Jungwölfe und der inzwischen amtlicherseits bestätigte Riss eines Schafes durch einen Wolf in Bad Arolsen aus der ersten Februarwoche haben die Sorgen in der Bevölkerung verstärkt. Eckel spricht von einem „festen Meinungsbild“. Hakola Dippel vom Forstamt Vöhl, einer der Wolfsberater für Waldeck-Frankenberg, entnahm in Bad Arolsen die Probe. Das auf Wildtier-Genetik spezialisierte Senckenberg-Institut Gelnhausen untersuchte sie.
Wolfsriss eines Schafes in Bad Arolsen nachgewiesen, in Netze nur Hunde-DNA gefunden
Die Wolfsberater holen sich von jedem gerissenen Tier per Tupfer zwei bis drei Proben zwecks Erbgut-Bestimmung. Die Experten wählen dafür Stellen aus, an denen sich Speichel des Angreifers am Fell der Beute vermuten lässt: bevorzugt an der Kehle des toten Tieres oder an den Wundrändern. „Rund 400 Proben pro Woche gehen beim Institut ein. Darum dauert es etwas bis zu den Ergebnissen“, erläutert Dippel. 14 Tage waren es für Arolsen.
Am selben Tag, als er dorthin gerufen wurde, erreichte ihn eine weitere Meldung aus Netze. Eine Halterin präsentierte Dippel Überreste mehrerer Schafe, die sie in einer Kiste gesammelt hatte, darunter einen fast kahl gefressenen Schädel. In den entnommenen Proben wurde ausschließlich Hunde-DNA nachgewiesen. Allerdings könne es sein, dass Hunde von Spaziergängern nur an den Kadavern gefressen hätten und Speichelspuren eines etwaigen Angriffs durch einen Wolf aus den Tagen zuvor nicht mehr bestanden.
„Wolfsberater und Senckenberg-Institut arbeiten gründlich“
„Das bleibt aber alles Spekulation“, sagt Dippel. Die Situation bei der Entnahme der Proben sei keine klassische gewesen wie in Bad Arolsen. Angriffe von Hunden gebe es durchaus. Dippel erinnert an einen Vorfall im unteren Edertal vor zehn Jahren, als Luchse in Verdacht gerieten, sechs Schafe gerissen zu haben. Später habe sich herausgestellt, dass Hunde einer Göttinger Spaziergängerin die Tiere getötet hatten.
Im Internet kursieren Aufforderungen, offiziellen Stellen und dem Senckenberg-Institut zu misstrauen und selbst Proben an gerissenen Tieren zu nehmen. Gerichtsmedizinische Institute müssten eingeschaltet werden. Hakola Dippel hält die Idee „für Quatsch“. Die Wolfsberater und das Senckenberg-Institut arbeiteten gründlich. Gerichtsmedizinische Institute würden angesichts ihrer Aufgabe in der Strafverfolgung die Proben sicher nicht annehmen.
Eine Liste der Wolfsberater im Kreis, weitere Ansprechstellen bei Sichtungen und Rissen sowie die Liste der Nachweise und Verdachtsfälle gibt es beim Landesamt für Naturschutz (HLNUG)