Ein weiteres Zeichen für Inzucht seien Fehlgeburten. „Davon bekommen wir aber leider selten etwas mit, weil die Frühgeburten von anderen Tieren gefressen werden“, so Lötzerich. Die Mitglieder der Hegemeinschaft sehen den Bestand in der Region erheblich bedroht. Darin bestätigt werden sie von der Uni Gießen. Deren Prognose: Bereits in zehn Jahren könnten ganze Populationen nicht mehr lebensfähig sein.
Die Hegegemeinschaft Wattenberg-Weidelsburg hat Ideen, wie das Inzucht-Problem gemildert werden kann: „Es müssen Korridore zwischen den Rotwildgebieten geschaffen werden, auf denen ein Abschuss verboten ist“, so Lötzerich. Außerdem schlägt die Hegegemeinschaft vor, Grünbrücken über Autobahnen und stark befahrenen Straßen zu schaffen, damit das Wild sicher in andere Bereiche wechseln kann. Bisher bleibt der sogenannte Platzhirsch Alleinherrscher im Bezirk und pflanzt sich auch mit seinen Kindern fort. Wegen der Abschussgenehmigung schaffen es Junghirsche nicht zu wechseln.
20 Rotwildgebiete gibt es in Hessen. Über zwei Jahre hat ein Forscherteam um Prof. Gerald Reiner von der Uni Gießen deren Situation untersucht. Das Ergebnis: Einige Rotwildgebiete – wie Wattenberg-Weidelsburg – sind weitgehend isoliert, der Knüll westlich der A7, der Odenwald und der Reinhardswald in Bezug auf die übrigen hessischen Rotwildgebiete sogar vollständig isoliert. Die Autobahnen A5, A7, A44, A45 und A49 werden als Hauptbarrieren genannt.
Das Problem der Einengung des Rotwildes und der damit verbundenen Inzucht sieht auch Sandra Bergman, Vorsitzende der Waldeckischen Jägerschaft. „Wir befinden uns in Waldeck-Frankenberg ja nicht in einem US-amerikanischen Nationalpark. Stattdessen haben wir hier überwiegend kleinteilige Jagdbezirke, die mitunter durchtrennt sind von Straßen oder Autobahnen.“
Daher seien Grünbrücken oder Korridore sinnvoll, um den Tieren dabei zu helfen, zwischen den Gebieten der jeweiligen Hegegemeinschaften zu wechseln.
Grünbrücken trügen dazu bei, dass das Wild trichterförmig über stark befahrene Verkehrswege gebracht werde. „Das funktioniert sehr gut. Es geht hier am Ende auch nicht nur um das Rotwild“, sagt Sandra Bergmann. Grünbrücken könnten von allen Wildarten problemlos genutzt werden, um zwischen den Bezirken zu wechseln. „Es ist wichtig, dass Junghirsche dadurch für eine Blutauffrischung sorgen, so dass die Bestände erhalten bleiben.“
Auch so genannte Wildtierkorridore tragen nach Auskunft der Vorsitzenden der Jägerschaft zum genetischen Austausch zwischen verschiedenen Wildtierpopulationen bei. „Hierbei geht es um die Schaffung größerer Flächen zwischen den Gebieten der Hegegemeinschaften, auf denen ein Abschuss nicht erlaubt ist. Das Wild könnte gefahrlos durchziehen“, erklärt Sandra Bergmann. Der Jägerschaft sei es ein wichtiges Anliegen, das Rotwilds zu schützen. „Wir brauchen im Sinne einer biologischen Vielfalt artenreiche Wildtierbestände“, betont Sandra Bergmann.
Dass das Rotwild durch das Auffressen der jungen Triebe ein großes Problem bei der Wiederbewaldung darstellt, sieht Sandra Bergmann in diesem Ausmaß nicht. Schließlich habe es schon immer Schalenwild zusammen mit der Maßnahmen zur Wiederbewaldung gegeben.