Anklage gegen Fritzlarer Pfarrer: Sexueller Missbrauch in 164 Fällen
Kassel/Fritzlar. Sechs Ministranten sollen von dem Fritzlarer Priester und Prämonstratenser-Chorherrn Michael L. missbraucht worden sein. Dafür muss sich der Geistliche, der mit bürgerlichem Namen Hansjörg L. heißt, am 25. November vor dem Landgericht in Kassel verantworten.
Dem 49-Jährigen werden 164 Straftaten an sechs Kindern vorgeworfen, Kinder, die zur Tatzeit höchstens 14 Jahre alt waren. Daher laute die Anklage auf sexuellen Missbrauch von Kindern, sagte Jung.
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Die Hauptverhandlung der Jugendschutzkammer des Landgerichts ist, wie gestern kurz berichtet, für einen Tag angesetzt worden. Sie soll grundsätzlich öffentlich sein, wie Oberstaatsanwalt und Pressesprecher Hans-Manfred Jung gestern auf unsere Anfrage sagte. Der Angeklagte habe allerdings die Möglichkeit zu beantragen, dass die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird. Auch wenn schützenswerte Interessen von Zeugen beeinträchtigt werden könnten, dürfen sie nicht-öffentlich vernommen werden.
Nur wenn Jugendliche von 14 bis 18 Jahren angeklagt sind, finde die Verhandlung grundsätzlich ohne Öffentlichkeit statt. Ein möglicher zweiter Fall beschäftigt die Staatsanwaltschaft. Gegen den früheren Prior der Prämonstratenser in Fritzlar, den Chorherrn Conrad, wird weiter ermittelt. Dabei geht es um den Verdacht der Beihilfe zum sexuellen Missbrauch durch Unterlassung und um die Frage, ob er etwas von den mutmaßlichen Vorfällen in seiner Gemeinde gewusst hat. Oberstaatsanwalt Jung gestern: "Die Ermittlungen dauern an." Es sei noch nicht abzusehen, ob Anklage erhoben wird.
Der Chorherr Michael alias Hansjörg L. war Anfang Juni verhaftet worden und hatte gegenüber der Staatsanwaltschaft sexuellen Missbrauch in mehr als 30 Fällen gestanden. Er war Schulpfarrer und auch für die Betreuung der Ministranten in Fritzlar zuständig.
Bei seinem Geständnis ging es zunächst um die Zeit von 1994 bis 2001. Untersucht worden ist auch, ob ihm Straftaten in den folgenden Jahren zur Last gelegt werden. Einzelheiten über die Anklageschrift wurden gestern nicht bekannt. Die Vergangenheit vor 1994 spiele jedoch keine Rolle, weil strafbare Handlungen davor verjährt seien, hatte Jung in einem früheren HNA-Bericht gesagt.
Seit 1989 leben Mitglieder des Ordens der Prämonstratenser in Fritzlar. Nach und nach übernahmen sie als Priester die Aufgaben der früheren katholischen Pfarrer, auch für Wabern und Ungedanken. Die Prämonstratenser arbeiteten unter anderem in der Seelsorge, unterrichteten in Schulen, waren in der Stiftung Hospital tätig und in Altenheimen. Das Priorat, das zum 1. Juli aufgelöst wurde, ist eine Niederlassung des Stifts in Geras in Österreich.
Nach dem Wegzug aus Fritzlar sind die vier Chorherren, die noch in der Stadt gearbeitet hatten, an vier Orte versetzt worden. Conrad ging ins Stammhaus in Geras/Niederösterreich.
Von Reinhard Berger