„Wir weichen nicht zurück“: Yvonne Risch ist eine von ganz wenigen deutschen Wing-Tsun-Meisterinnen

Yvonne Risch aus Fritzlar ist eine von ganz wenigen deutschen Wing-Tsun-Meisterinnen.
Fritzlar – „Dass ich mal so weit komme, hätte ich mir nicht träumen lassen“, sagt Yvonne Risch. Die 48-Jährige steht hinter dem Tresen in ihrem Wing-Tsun-Studio in Fritzlar. An der Wand hinter ihr hängen etliche Bilderrahmen mit Urkunden. Auf der großen Trainingsfläche mit dem Holzfußboden wartet schon ihr Trainingspartner, denn gleich wird Risch demonstrieren, was sie drauf hat.
Risch ist nicht irgendwer in der Wing-Tsun-Welt – sondern eine Meisterin. Selbstverständlich ist das nicht, denn unter den rund 80 000 Mitgliedern der Europäischen Wing Tsun Organisation (EWTO) gebe es überhaupt nur 200 Meister – und nur etwa zehn davon sind Frauen. „In Deutschland sind es fünf oder sechs Wing-Tsun-Meisterinnen“, sagt Risch. Allein die Ausbildung vom Lehrer bis zum 5. Meistergrad, der ersten Stufe des Wing-Tsun-Meisters, habe viereinhalb Jahre gedauert. Im Wing Tsun geht nichts mit Eile – „Lernen braucht Zeit“, sagt Risch.
Um Wettkämpfe und das Siegertreppchen geht es bei Yvonne Risch nicht
Wer sich mit jemandem wie Yvonne Risch anlegen will, der hat es vermutlich nicht leicht, denn im mit dem Kung Fu verwandten Wing Tsun dreht sich alles um das Thema Selbstverteidigung. „Wir versuchen, die Kraft des Gegners aufzunehmen“, sagt sie und zeigt in einer Übung mit ihrem Trainingspartner, wie das funktioniert. Geschickt wehrt Risch einen Schlag ab, überwindet mühelos die Distanz zu ihrem Trainingspartner und schlägt zurück, indem sie die Vorwärtsbewegung ihres Gegners für sich nutzt – natürlich nur angetäuscht. Denn verletzt werden soll niemand. „Wir weichen nicht zurück, versuchen stattdessen die Distanz zu unserem Gegner möglichst gering zu halten“, sagt die Fritzlarerin. Damit es erst gar nicht zu brenzligen Situationen kommt, trainiert man beim Wing Tsun auch Selbstbehauptung und das Einschätzen von Gefahren. „Denn bestenfalls kommt man natürlich erst gar nicht in die Situation, sich verteidigen zu müssen, betont Risch.
Um Wettkämpfe und das Siegertreppchen geht es bei ihr nicht. „Wing Tsun ist eine Kampfkunst und kein Kampfsport wie Kickboxen oder Karate.“ In der Praxis heißt das: Man kämpft nicht gegeneinander, es gibt keine Wettkämpfe.
Yvonne Risch leitet die Akademie in Fritzlar gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten im Nebenberuf
Dass es verhältnismäßig wenig erfolgreiche Frauen beim Wing Tsun gibt, kann Risch so erklären: „Für viele Frauen ist es schwerer, dranzubleiben“. Wer sich etwa verstärkt um Kinder und Familie kümmert, der habe weniger Zeit, könne nicht immer so intensiv am Ball bleiben. Das sei aber nötig, wenn man ganz weit kommen will. „Dabei ist es gerade für Frauen wichtig, sich selbst verteidigen zu können.“ Denn Frauen sind in Gefahrensituationen oft körperlich unterlegen. Einfach und effektive Verteidigung könne man aber bei Wing Tsun verhältnismäßig schnell lernen.
Risch selbst ist seit 23 Jahren aktiv. „Ich war auf der Suche nach einem Sport, bei dem ich mich geistig und körperlich auspowern konnte“, erinnert sich die ehemalige Gardetänzerin. „Und dann hatte ich einen Flyer im Briefkasten.“ Sie ging zum Probetraining – und blieb. „Mich hat dann der Ehrgeiz gepackt. Ich bin niemand, der einfach aufgibt.“
Nun leitet die Wing-Tsun-Meisterin gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten im Nebenberuf die Akademie in Fritzlar, vormittags ist sie als Erzieherin tätig. „Wenn man so lange dabei ist, ist Wing Tsun eine Lebenseinstellung“, sagt Risch mit einem Lächeln. (Daniel Seeger)
Kampfkunst aus China
Ob Bruce Lee, Jackie Chan oder die Schlagersängerin Juliane Werding: Die Ende des 18. Jahrhundert in China entstandene Kampfkunst Wing Tsun hat viele Fans. Wing Tsun ist ein Stil der Kampfkunst Kung Fu und bedeutet übersetzt: „Frühlingslied“.