Das Auswärtige Amt äußerte sich auf HNA-Anfrage am Freitag (20.08.2021) bis Redaktionsschluss nicht mehr zum konkreten Fall Iraj Arefi. Auf ihrer Internetseite heißt es, dass seit Montag (16.08.2021) insgesamt mehr als 1600 Personen ausgeflogen worden seien – unter ihnen deutsche, afghanische und Staatsangehörige von internationalen Partnerländern.
Der Fritzlarer Bürgermeister Hartmut Spogat betont: „Wir versuchen alles, um Unterstützung zu geben.“ Familie sei das Wichtigste. Gemeinsam mit dem Bundestagsabgeordneten Bernd Siebert (CDU) habe man Kontakt zum Auswärtigen Amt aufgenommen, um Iraj Arefi auf eine Liste zu bekommen, die seine Rückkehr nach Fritzlar ermöglichen soll.
Seit Tagen versteht der kleine Ben die Welt nicht mehr. „Wo ist Papa? Wann kommt er wieder?“ Diese Fragen schnüren Nicole Werthmann, Mutter des Zweijährigen aus Ungedanken, jedes Mal wieder die Kehle zu. Denn sie kennt die Antwort nicht. Stellt sich jeden Tag exakt dieselben Fragen. Ihr Lebensgefährte Iraj Arefi ist vor zwei Wochen nach Kabul (Afghanistan) geflogen, um seiner mittellosen Schwester in einer persönlichen Krise unter die Arme zu greifen.
Wann und ob er wieder kommt, steht seither in den Sternen. Denn die Machtübernahme der Taliban sorgt für furchterregende Zustände im Land. „Niemand traut sich auf die Straße“, sagt Monika Wippermann, Oma des kleinen Ben. Für sie sei Iraj Arefi wie ein Sohn. Dass ihr nun die Hände gebunden sind, sei kaum auszuhalten.
Nicole Werthmann bittet um Hilfe: Jeder, der eine Idee hat, wie ihrem Lebensgefährten zu helfen ist, kann unter homberg@hna.de Kontakt aufnehmen. Iraj Arefi ist einer von vielen Menschen, die derzeit in Afghanistan um ihr Leben fürchten. Das Auswärtige Amt rät, sich in Notfällen an die Krisenhotline 030 / 18 17 10 00 oder 030 / 50 00 10 00 zu wenden. Alternativ könne man sich per E-Mail an 040.krise19@diplo.de richten.
Tief getroffen ist vor allem ihre Tochter Nicole Werthmann. Ihre Liebesgeschichte mit dem Afghanen, der vor sechs Jahren nach Deutschland floh, ist ohnehin schon eine herzergreifende. Kennengelernt haben sich die Zwei in Bad Wildungen im beruflichen Kontext der Heilpädagogin. Für ihr Zusammenkommen hätten sie von vielen Seiten schräge Blicke geerntet. Doch die Verbindung wog stärker. Im Oktober 2018 kam Sohn Ben zur Welt. „Er war da, hat bei der Geburt meine Hand gehalten“, sagt die Ungedankenerin. Ihr bricht die Stimme weg. Was sie jetzt dafür geben würde, seine Hand zu halten.
Das Schlimmste an der ganzen Situation sei die Ohnmacht. Denn außer mit verschiedenen behördlichen Stellen Kontakt aufzunehmen und alles Denkbare zu tun, um den Familienvater wieder nach Hause zu holen, könne man nichts tun. Außer hoffen. Außer abzuwarten. Auf Werthmanns Anfrage habe sie seitens des Auswärtigen Amtes Unverständnis geerntet. Schließlich wären die Gefahren im Land doch bekannt, habe man ihr gesagt. Warum ihr Lebensgefährte in dieser Zeit überhaupt nach Afghanistan geflogen wäre, habe man sie gefragt. „Er hat sich verpflichtet gefühlt. Seine Schwester brauchte ihn, sie hat ihn damals großgezogen“, erklärt Werthmann.
Obwohl er erst 23 Jahre alt ist, hat Arefi vermutlich mehr Leid gesehen und erlebt als die meisten Menschen in Fritzlar und Umgebung. Sein Vater wurde erschossen, seine Mutter verschleppt. Gemeinsam mit zwei Schwestern floh er 2015 nach Deutschland, landete zunächst in einer Gießener Unterkunft, später in Bad Arolsen und dann in Bad Wildungen. Dass er einmal ein Leben in Frieden mit Frau und Sohn führen dürfte, hätte er zeitweise nicht zu träumen gewagt. „Dass mein Lebensgefährte nun selbst nicht weiß, wann er seinen Sohn wiedersehen darf, zerfleischt ihn“, sagt Werthmann. Er wüsste doch schließlich, wie schlimm es sich anfühle, keinen Vater zu haben.
Der Strohhalm, an dem sich die Familie noch festhält, ist der Sprachnachrichtenkontakt über Whatsapp. „Zum Glück können wir noch täglich miteinander reden.“ Auch Monika Wippermann, die sich wie seine Schwiegermutter fühlt, hält engen Kontakt zu Iraj Arefi. Für ihn ist sie die Mutter, die er nicht mehr hat. Unter Tränen spielt sie eine seiner Sprachnachrichten ab: „Hallo Mami. Es geht mir ganz gut. Ich hoffe, es läuft bald alles wieder normal. Dann komme ich nach Hause.“ (Daria Neu)
Auch ein Mann aus Kassel saß in Afghanistan fest. Mittlerweile konnte der 32-Jährige aus Afghanistan entkommen und ist wieder in Kassel.
Liebe Leserinnen und Leser,
wir bitten um Verständnis, dass es im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf unserem Portal unter diesem Artikel keine Kommentarfunktion gibt. Bei einzelnen Themen behält sich die Redaktion vor, die Kommentarmöglichkeiten einzuschränken.
Die Redaktion