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Mann aus Fritzlar sitzt in Kabul fest: Bangen um Familienvater

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Von: Daria Neu

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Derzeit lebt der 23-Jährige bei seiner Schwester und deren Kindern am Ortsrand von Kabul. Die Sorge ist groß.
Derzeit lebt der 23-Jährige bei seiner Schwester und deren Kindern am Ortsrand von Kabul. Die Sorge ist groß. © Nicole Werthmann

Ein Mann aus Fritzlar sitzt derzeit in Afghanistan fest. Seine Lebensgefährtin bittet um Hilfe, das Auswärtige Amt hat sich noch nicht zu dem Fall geäußert.

Fritzlar – Nicole Werthmann aus Ungedanken bangt in diesen Tagen um ihren Lebensgefährten Iraj Arefi. Der 23-jährige Afghane lebt seit sechs Jahren in Deutschland, sitzt nun aber in Kabul fest. Seit zwei Jahren hat das Paar ein Haus in Ungedanken und einen zweijährigen Sohn. Doch die Familie ist verzweifelt. Denn derzeit sitzt Arefi wie viele andere Menschen in der afghanischen Hauptstadt Kabul fest, wo er wegen der Machtübernahme der Taliban um sein Leben fürchten muss.

Sein einziger Wunsch: Er will nach Hause. Die deutsche Staatsangehörigkeit hat Arefi zwar nicht, dafür aber eine Aufenthaltserlaubnis, die allein schon wegen des gemeinsamen Sohnes regelmäßig verlängert wird. Am 8. August flog der 23-Jährige, der im Alter von 17 Jahren aus Afghanistan geflohen war, in sein Heimatland zurück. „Der Mann seiner Schwester ist am Coronavirus gestorben. Sie und ihre vier kleinen Kinder brauchten dringend seine Hilfe“, erklärt Werthmann. Trotz der angespannten Lage machte er sich also auf den Weg – zu groß war die Sorge um seine Familienangehörigen in Kabul.

Afghanistan-Krise: Auswärtige Amt äußert sich nicht zu Mann aus Fritzlar

Eigentlich wollte er am 18. August zurück nach Deutschland fliegen. Was folgte, waren jedoch schreckliche Tage. „Wir hatten für 1500 Euro noch einen Platz in einer afghanischen Maschine ergattert.“ Zu Fuß sei Arefi zum Flughafen gelaufen, habe dort bis abends ausgeharrt, dann jedoch unter Lebensgefahr wieder zu seiner Schwester zurückkehren müssen.

Das Auswärtige Amt äußerte sich auf HNA-Anfrage am Freitag (20.08.2021) bis Redaktionsschluss nicht mehr zum konkreten Fall Iraj Arefi. Auf ihrer Internetseite heißt es, dass seit Montag (16.08.2021) insgesamt mehr als 1600 Personen ausgeflogen worden seien – unter ihnen deutsche, afghanische und Staatsangehörige von internationalen Partnerländern.

Da war alles in Ordnung: Dieses Foto entstand bei einem Ausflug in Deutschland
Da war alles in Ordnung: Dieses Foto entstand bei einem Ausflug in Deutschland © Nicole Werthmann

Der Fritzlarer Bürgermeister Hartmut Spogat betont: „Wir versuchen alles, um Unterstützung zu geben.“ Familie sei das Wichtigste. Gemeinsam mit dem Bundestagsabgeordneten Bernd Siebert (CDU) habe man Kontakt zum Auswärtigen Amt aufgenommen, um Iraj Arefi auf eine Liste zu bekommen, die seine Rückkehr nach Fritzlar ermöglichen soll.

Fritzlar: Sohn fragt immer nach seinem Vater – Arefi flog aus familiären Gründen nach Afghanistan

Seit Tagen versteht der kleine Ben die Welt nicht mehr. „Wo ist Papa? Wann kommt er wieder?“ Diese Fragen schnüren Nicole Werthmann, Mutter des Zweijährigen aus Ungedanken, jedes Mal wieder die Kehle zu. Denn sie kennt die Antwort nicht. Stellt sich jeden Tag exakt dieselben Fragen. Ihr Lebensgefährte Iraj Arefi ist vor zwei Wochen nach Kabul (Afghanistan) geflogen, um seiner mittellosen Schwester in einer persönlichen Krise unter die Arme zu greifen.

Wann und ob er wieder kommt, steht seither in den Sternen. Denn die Machtübernahme der Taliban sorgt für furchterregende Zustände im Land. „Niemand traut sich auf die Straße“, sagt Monika Wippermann, Oma des kleinen Ben. Für sie sei Iraj Arefi wie ein Sohn. Dass ihr nun die Hände gebunden sind, sei kaum auszuhalten.

Nicole Werthmann bittet um Hilfe: Jeder, der eine Idee hat, wie ihrem Lebensgefährten zu helfen ist, kann unter homberg@hna.de Kontakt aufnehmen. Iraj Arefi ist einer von vielen Menschen, die derzeit in Afghanistan um ihr Leben fürchten. Das Auswärtige Amt rät, sich in Notfällen an die Krisenhotline 030 / 18 17 10 00 oder 030 / 50 00 10 00 zu wenden. Alternativ könne man sich per E-Mail an 040.krise19@diplo.de richten.

Fritzlar: Iraj Arefi reiste vor zwei Wochen nach Afghanistan

Tief getroffen ist vor allem ihre Tochter Nicole Werthmann. Ihre Liebesgeschichte mit dem Afghanen, der vor sechs Jahren nach Deutschland floh, ist ohnehin schon eine herzergreifende. Kennengelernt haben sich die Zwei in Bad Wildungen im beruflichen Kontext der Heilpädagogin. Für ihr Zusammenkommen hätten sie von vielen Seiten schräge Blicke geerntet. Doch die Verbindung wog stärker. Im Oktober 2018 kam Sohn Ben zur Welt. „Er war da, hat bei der Geburt meine Hand gehalten“, sagt die Ungedankenerin. Ihr bricht die Stimme weg. Was sie jetzt dafür geben würde, seine Hand zu halten.

Das Schlimmste an der ganzen Situation sei die Ohnmacht. Denn außer mit verschiedenen behördlichen Stellen Kontakt aufzunehmen und alles Denkbare zu tun, um den Familienvater wieder nach Hause zu holen, könne man nichts tun. Außer hoffen. Außer abzuwarten. Auf Werthmanns Anfrage habe sie seitens des Auswärtigen Amtes Unverständnis geerntet. Schließlich wären die Gefahren im Land doch bekannt, habe man ihr gesagt. Warum ihr Lebensgefährte in dieser Zeit überhaupt nach Afghanistan geflogen wäre, habe man sie gefragt. „Er hat sich verpflichtet gefühlt. Seine Schwester brauchte ihn, sie hat ihn damals großgezogen“, erklärt Werthmann.

Fritzlar: Arefi flüchtete 2015 aus Afghanistan nach Deutschland

Obwohl er erst 23 Jahre alt ist, hat Arefi vermutlich mehr Leid gesehen und erlebt als die meisten Menschen in Fritzlar und Umgebung. Sein Vater wurde erschossen, seine Mutter verschleppt. Gemeinsam mit zwei Schwestern floh er 2015 nach Deutschland, landete zunächst in einer Gießener Unterkunft, später in Bad Arolsen und dann in Bad Wildungen. Dass er einmal ein Leben in Frieden mit Frau und Sohn führen dürfte, hätte er zeitweise nicht zu träumen gewagt. „Dass mein Lebensgefährte nun selbst nicht weiß, wann er seinen Sohn wiedersehen darf, zerfleischt ihn“, sagt Werthmann. Er wüsste doch schließlich, wie schlimm es sich anfühle, keinen Vater zu haben.

Der Strohhalm, an dem sich die Familie noch festhält, ist der Sprachnachrichtenkontakt über Whatsapp. „Zum Glück können wir noch täglich miteinander reden.“ Auch Monika Wippermann, die sich wie seine Schwiegermutter fühlt, hält engen Kontakt zu Iraj Arefi. Für ihn ist sie die Mutter, die er nicht mehr hat. Unter Tränen spielt sie eine seiner Sprachnachrichten ab: „Hallo Mami. Es geht mir ganz gut. Ich hoffe, es läuft bald alles wieder normal. Dann komme ich nach Hause.“ (Daria Neu)

Auch ein Mann aus Kassel saß in Afghanistan fest. Mittlerweile konnte der 32-Jährige aus Afghanistan entkommen und ist wieder in Kassel.

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