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Priesterskandal in Fritzlar: "Vorwürfe waren bekannt"

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Fritzlar. Im Fritzlarer Priesterskandal ist jetzt ein Mitglied des Pfarrgemeinderats an die Öffentlichkeit gegangen: Evelyn Hohmann hat der HNA gesagt: Beschwerden über Priester Michael, der Messdiener sexuell missbraucht haben soll, waren seit mehr als zehn Jahren bekannt:

Seit mehr als zehn Jahren seien dem Fritzlarer Stadtpfarrer und Prior Conrad o.praem. die Beschwerden Fritzlarer Eltern über zu große Nähe seines Mitbruders Michael zu den Jungen, die er betreute, bekannt gewesen. Konsequenzen aus diesem Wissen habe er nicht gezogen. Das sagte Evelyn Hohmann aus Fritzlar, Mitglied im Pfarrgemeinderat, jetzt in einem Gespräch mit der HNA. Sie wählte den Weg in die Öffentlichkeit, um „Licht in das Dunkel zu schaffen“, das über den Missbrauchsvorwürfe liegt.

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Die Katholikin wirft dem Prämonstratenser-Prior vor allem vor, die Missbrauchsvorwürfe zwar entgegegenommen, aber nichts getan zu haben. Er habe zugelassen, dass Michael (der seit über einer Woche in Untersuchungshaft sitzt) weiterhin in der Jugendarbeit bleiben konnte. „Echte Kontrolle fehlte in den vielen Jahren“, sagt Evelyn Hohmann. Dabei hätte der Stadtpfarrer handeln müssen.

Schließlich sei ihm und seinen Mitbrüdern die gesamte Gemeinde anvertraut worden. Das Vertrauensverhältnis zwischen vielen Gemeindemitgliedern und den Prämonstratensern ist nach Ansicht Hohmanns nicht nur gestört, sondern inzwischen zerbrochen. Nur eine neue Kirchenführung sei in der Lage, größeren Schaden von der Gemeinde fernzuhalten. Die Prämonstratenser, seit 1989 in Fritzlar, könnten das nicht mehr.

Seit zwei Jahren gehört Evelyn Hohmann dem Pfarrgemeinderat an, sie stammt aus einer tief gläubigen Familie, kennt die Fritzlarer Ordensleute seit langem. Um so wichtiger ist ihr eine lückenlose Aufklärung der Vorwürfe. Schon vor zwölf Jahren hätten Gemeindemitglieder ein Gespräch über die Verdachtsmomente gegen Michael L. beim Missbrauchsbeauftragten in Fulda geführt. Der habe ihnen geraten, zum Stadtpfarrer zu gehen und ihm zu berichten. Das sei geschehen - doch ohne Folgen. Noch viele weitere Messdiener seien in Fritzlar geradwegs ins offene Messer gelaufen – mit dem Wissen des Stadtpfarrers über ungeklärte Beschuldigungen.

„Es muss allen klar werden: 1. Was Michael getan hat, war kriminell. 2. Prior Conrad hätte handeln müssen.“ Diese Botschaft müsse auch bei allen Katholiken in Fritzlar ankommen, die noch immer hofften, dass das Positive die negativen Seiten überwiege. Hohmann sieht zurzeit einen tiefen Riss, der die Pfarrgemeinde St. Peter zu spalten droht. „Diesen Scherbenhaufen wieder zu kitten, wird schwer werden“, sagt sie. Von der Gefahr einer Spaltung und der Frage nach der Verantwortung handelte auch die Predigt von Stadtpfarrer Conrad am Samstagabend. (ula)

Gemeinde ist in Seenot

Stadtpfarrer Conrad o.praem. predigte über die Krise durch den Missbrauch

Fritzlar. Es ist in schwerer Seenot, das Gemeindeschiff: So beschrieb Stadtpfarrer Conrad o.praem. in der Vorabendmesse am Samstag in einer sehr persönlichen, bewegten Predigt in der ev. Stadtkirche Fritzlar die Situation seiner, der katholischen Pfarrgemeinde St. Peter. Die immer neuen Informationen über den Missbrauch von Schutzbefohlenen durch seinen Mitbruder Michael und die Zerreißprobe, die deren Diskussion für die Gemeinde bedeuteten, standen im Mittelpunkt seiner Worte. Beschwörend - und die Erschütterung war ihm deutlich anzuhören - appellierte er an die Fritzlarer Katholiken, sich nicht spalten zu lassen durch die verschiedenen Meinungen, die es zu dem Thema gebe. „Ihr seid eins in Christus“, sagte er.

Debatten, ja auch Streit müsse eine Gemeinschaft aushalten - sie dürfe nur nicht zulassen, dass daraus Gemeinheit werde. Zu verttrauensselig? Auch sich selbst bezog der Stadtpfarrer in die Diskussion mit ein. Er stelle sich selbst viele Fragen: Habe ich zu spät hingeschaut? Hatte ich zuviel Vertrauen? War ich gar vertrauensselig? Hätte ich die Hinweise klarer verfolgen sollen, als sie an mich herangetragen wurden? Bin ich meiner Verantwortung gerecht geworden? Über schnelle persönliche Konsequenzen sprach er nicht, schloss sie jedoch nicht aus.

Er blieb im Bild, als er sagte, dass es schon passieren könne, dass er über Bord gehe in solch rauer See. Das sei jedoch nicht so wichtig wie die Tatsache, dass das Gemeindeschiff auf Kurs gehalten werden müsse. Die Krise, in der der Konvent der Prämonstratenser und mit ihm die Pfarrgemeinde geraten ist, sei noch lange nicht beendet, ja, sie beginne wohl erst, warnte Conrad. Er versicherte erneut, dass die Diözese Fulda und der Konvent allen Opfern seines Mitbruders fachliche Hilfe und Beratung anbieten. Gleichzeitig ermutigte er die Opfer - „die wir bisher nicht persönlich kennen“ -, diese Hilfe anzunehmen. Vollständige und lückenlose Aufklärung aller Vorgänge sei notwendig.

Nicht bagatellisieren Eine klare Absage erteilte er allen, die versucht seien, den Missbrauch zu bagatellisieren: Es handele sich wirklich um schweren Missbrauch, um ein Verbrechen, betonte er. Das sei keine Kleinigkeit, dafür könne es keine Entschuldigung geben. Gleichzeitig hoffte er, dass es vielleicht gelingen könnte, wieder eine belastbare Vertrauensbasis zu schaffen zwischen ihm, seinen Mitbrüdern und den Mitglieder der Pfarrgemeinde. (ula)

Kommentar: Die Frage der Schuld

Ulrike Lange-Michael über eine Zerreißprobe

Die katholische Kirchengemeinde in Fritzlar steht vor schweren Zeiten. Eine wichtige Grundlage ihrer gemeinsamen Glaubensausübung, das Vertrauen in die geistlichen Führer, ist zerstört. Nicht nur, dass einer der Ordensleute Kinder und Jugendliche missbraucht, sie seinen persönlichen Begierden ausgeliefert hat über lange Zeit. Nein, auch derjenige, der über Beschwerden und Vorwürfe aus der Gemeinde informiert war, machte sich schuldig, indem er nicht konsequent untersuchte und letztlich unterband, was über mehr als zehn Jahre mit Ministranten geschah.

Was ist jetzt zu tun? Die Diskussionen in der Gemeinde sind heftig, die Positionen gegensätzlich. Von Rissen und gar Spaltung ist die Rede, die quer durch Gruppen, ja sogar Familien gehen. Stadtpfarrer Conrad weiß um den Vertrauensverlust, er hat sein Versagen am Samstag vor der Gemeinde eingestanden. Er hofft, dass die tiefen Risse gekittet werden können. Wenn nicht anders möglich, dann eben ohne ihn. ula@hna.de

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