„Gott ist der Grund allen Seins“ - Pater Anselm Grün über die Rolle der Kirche

Mönch Pater Anselm Grün ist am morgigen Donnerstag, 11. Mai, gemeinsam mit dem Musiker Clemens Bittlinger in der Homberger Stadthalle zu Gast. Wir haben uns vorab mit dem Sachbuchautor getroffen.
Homberg – Die Projektgruppe Dasein hat mit dem Homberger Kulturring das Konzert organisiert. Im Gespräch spricht er über Engel, die Rolle der Kirche in schwierigen Zeiten und seinen Erfolg als Sachbuchautor.
Die Veranstaltung in Homberg steht unter dem Titel „Leih mir deine Flügel“. Brauchen Menschen in der heutigen Zeit das Bild eines Engels, um Dinge erfahrbar zu machen, die immer weiter wegrücken?
Ja, doch. Es gibt Umfragen, dass mehr Menschen an die Engel glauben als an Gott, weil Gott für einige einfach zu abstrakt ist. Natürlich kann man Engel nicht ohne Gott verstehen, Engel sind schließlich Boten Gottes. Aber für viele ist es einfacher, etwa vom Schutzengel zu sprechen. Dabei darf man aber nicht zu naiv sein, weil wo ist der Schutzengel, wenn dann trotzdem ein Kind totgefahren wird? Der Glaube an Engel schützt unser Innerstes und gibt uns das Gefühl, dass wir wohlbehütet sind oder dass Gott auf uns schaut.
Sicher und unverwundbar können wir uns auch im „inneren Raum“ fühlen, von dem Sie immer wieder sprechen und der uns allen innewohnen soll. Wie können wir diesen Raum für uns öffnen?
Die Erfahrung dieses inneren Raumes lässt sich nicht erzwingen. Eine Möglichkeit kann sein, einfach still zu sitzen, durch alle Gefühle und Gedanken hindurchzugehen. Der Kopf ist immer unruhig, aber ich spüre, dass im tiefen Grund der Seele ein Raum der Stille ist. Meditation kann helfen. Oder wenn ich in der Kirche sitze und mir vorstelle, dass der Raum der Kirche auch in mir wie ein heiliger Raum ist. Im Alltag hilft es mir, wenn ich in Sitzungen bin, die vielleicht etwas stürmisch sind, zu spüren, dass ich lasse mich einlasse, gleichzeitig aber weiß, dass in meinen innersten Raum niemand Zutritt hat. Das relativiert einfach die Probleme. Es gibt einen inneren Abstand.
Für mich sind Sie ein Grenzgänger des Christentums, ein Grenzüberschreiter, was vielleicht manchmal auch zu einem Vorwurf werden kann, wenn es die Esoterik kratzt oder Sie beispielsweise über die Grenzen der Religionen hinweg agieren. Sie sind da mit einer schönen Freiheit unterwegs. Was macht Sie so frei?
Ich bin schon ganz in der katholischen Tradition, das ist mir auch wichtig. Entscheidend aber ist die Erfahrung. Ich habe in Dogmatik promoviert und manche meinen, die Dogmatiker sind die Rechthaber. Aber für mich ist Dogmatik die Kunst, das Geheimnis offen zu halten. Das Geheimnis ist immer größer. Gott ist die Wahrheit, aber unsere Sätze sind der Versuch, über Gott die Wahrheit zu sehen. Und natürlich will ich die Erfahrung haben, dann habe ich keine Angst mehr vor anderen Religionen. Die Gefahr der Esoterik sehe ich darin, dass sie über alles verfügen will und zu viel verspricht. Also wenn du das und das machst, dann wirst du ganz gesund – das ist gefährlich, und da werden Viele auch enttäuscht werden.
Mit Ihrer Sicht auf die Dinge gelingt es ihnen, auf besondere Art und Weise eine sehr große, breite Masse anzusprechen. Ich möchte behaupten, mehr und größere Gruppen, als es die Kirche tut. Was machen Sie anders und vielleicht besser?
Erstmal versuche ich, eine einfache Sprache zu sprechen. Ich versuche, nicht zu moralisieren und auch nicht zu belehren. Ich will das Leben so beschreiben, wie es ist und von der geistlichen Tradition Hilfe anbieten, damit umzugehen. Und, ganz wichtig, ich bewerte nicht. Ich bewerte auch die Menschen nicht, sondern antworte auf die Fragen der Menschen, statt ihnen etwas überzustülpen.
Sie sagen, Gott sei etwas Abstraktes für die Menschen. Wie spüren Sie Gott?
Es gibt verschiedene Weisen, Gott zu erfahren. Etwa in der Schönheit der Welt. Die Kirche würde sagen, Gott ist das Urschöne, und in jeder Schönheit sehe ich auch die Spur Gottes. Viele sagen, ich kann Gott nicht spüren. Aber da ist die Sehnsucht, dass es etwas geben muss, das größer ist als du. Und die Sehnsucht kann man spüren. Antoine de Saint-Exupéry sagt: „In der Sehnsucht nach Liebe ist schon Liebe.“ Gott bleibt immer das Geheimnis. Aber wie kann ich was erfahren? Ich kann die Spuren Gottes erfahren, in einem guten Gespräch, der Musik oder der Natur. Gott ist immer beides, persönlich und überpersönlich. Manche tun sich mit dem persönlichen Gott schwer und meinen, sie haben überhaupt keine Beziehung. Es gibt einfach Phasen, wo ich dankbar bin, wo ich Gott spüre als das Gegenüber, das mich anspricht. Etwa in der Bibel, in den Psalmen. Aber manchmal gibt es auch Phasen, wo ich das nicht so spüre. Dann spüre ich aber vielleicht die Verbundenheit mit allem, das ist ja auch eine Erfahrung mit Gott. Gott ist der Grund allen Seins.
Ist es schwieriger, die Menschen zu erreichen in der Zeit nach einer Pandemie, während eines Krieges in Europa und all den Dingen, die das nach sich zieht? Hören Sie auch die Frage, warum Gott das zulässt?
Natürlich, aber wenn ich dann genau nachfrage, kommen wir immer auf so ein ganz bestimmtes Bild von Gott, der alles dirigiert. Und wenn er das jetzt zulässt, dann sorgt er nicht für uns. Gott, Krieg und Pandemie stellen unser Gottesbild infrage, aber eben nicht unbedingt Gott selbst. Wir müssen unsere Bilder loslassen und fragen: Wer ist dieser Gott? Gott ist der liebende Vater. Das ist durchaus ein Bild, das zutrifft. Aber er ist eben nicht nur der liebende Vater, er ist auch anders, weil sonst kann man beispielsweise nicht verstehen, dass ein lieber Mensch stirbt.
Was lässt Sie an Ihrer Kirche festhalten? Worin istsie Ihnen wertvoll?
Der ganze Reichtum der geistigen Traditionen und die Liturgie, die wir auch heute feiern – für mich hat das ganz viel heilende Wirkung. Natürlich gibt es in der Kirche viel Missbrauch und viel Negatives, aber dass wir den Glauben leben, auch gemeinsam leben können, das ist wertvoll. So auch, dass es in der Kirche trotz all dem negativen Urteil auch viele Menschen gibt, mit denen wir den Glauben teilen können, die auf der Suche sind, die einen halten.
Wir sind ja aktuell in der Zeit, wo sehr viele Menschen auf der Suche sind. Eigentlich ideale Voraussetzungen für die Kirche. Wie passt das zu den vielen Kirchenaustritten?
Die Menschen sind enttäuscht von der Kirche. Natürlich, die Sehnsucht nach Verbundenheit ist da und die Kirchen könnten es eigentlich gerade leicht haben. Doch die Bindungsfähigkeit ist überall gering, in Vereinen, Parteien, überall. Die Kirche hätte durchaus die Chance, Räume der Verbundenheit zu schaffen. Und ja, ich glaube, die Kirche schreckt manche ab, weil sie zu sehr moralisiert. Und doch sehnen sich die Menschen nach Gemeinschaft und Glauben. Das sehe ich in meinen Seminaren, zu denen nicht nur kirchliche Leute kommen. Sie kommen ins Kloster, weil sie sich danach sehnen, dass da noch was anderes ist – etwas, das ihnen Halt gibt. (Sascha Hoffmann)
Zur Person
Pater Anselm Grün (78) ist ein Benediktinermönch, Autor und spiritueller Begleiter. Er schreibt und spricht über Themen wie Spiritualität, Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung und inspiriert Menschen weltweit zu einem erfüllten und sinnerfüllten Leben. Er lebt im Kloster Münsterschwarzach unweit von Würzburg. zhf