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„Die Integration verzögert sich“ – Über 2400 Geflüchtete aus der Ukraine leben im Landkreis

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Von: Maja Yüce

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Solidarität mit der Ukraine: Hoch über Gudensberg weht die Flagge der Ukraine. Nicht nur in der Chattengau-Stadt sind in den vergangenen zwölf Monaten Geflüchtete aus der Ukraine angekommen.
Solidarität mit der Ukraine: Hoch über Gudensberg weht die Flagge der Ukraine. Nicht nur in der Chattengau-Stadt sind in den vergangenen zwölf Monaten Geflüchtete aus der Ukraine angekommen. © Manfred Delpho

Der russische Angriff auf die Ukraine jährte sich am 24. Februar. In unserer Themenwoche sprechen wir mit Menschen, die von den Auswirkungen betroffen sind. Heute zum Abschluss der Themenwoche: Landrat Winfried Becker.

Schwalm-Eder – Dem blanken Entsetzen über den Ausbruch des Krieges in der Ukraine sei im Schwalm-Eder-Kreis schnell der Wechsel in einen neuen Krisenmodus gefolgt, sagt Landrat Winfried Becker ein Jahr nach Kriegsbeginn. Und dabei habe man unter anderem aus den Erfahrungen aus den Jahren 2015/16 als schon einmal eine große Anzahl Geflüchteter in den Landkreis kam und auch aus der Zeit der Coronakrise profitiert. „Wir hatten aus der Coronazeit schon einen Krisenstab, der nahezu in unveränderter Besetzung weitermachte“, sagt Becker.

Der Anfang: Kurz nach Ausbruch des Krieges hieß es, bis zu 3000 Ukrainer könnten binnen weniger Wochen in den Landkreis kommen. „Es kamen viele Menschen, aber nicht in so kurzer Zeit wie erwartet. Es ging deutlich langsamer“, sagt Becker rückblickend. Doch habe man damals schnell reagiert und sieben Hallen für die Unterbringung hergerichtet. „Es gab viel Unterstützung von den Menschen und alle waren mit großer Motivation bei der Arbeit“, so Becker.

Von einer großen Bereitschaft der Menschen im Landkreis, Geflüchteten aus der Ukraine ein Dach über dem Kopf zu bieten, berichtet der Landrat. „Gerade zu Beginn des Krieges sei die Rückmeldung enorm gewesen. Um die 1000 Wohnungen seien angeboten worden.

Die Zahlen der Personen, die aus der Ukraine fliehen, sei in den vergangenen Wochen wieder leicht angestiegen, so Becker.

Die Aufgaben seien gewachsen und es sei eine Herausforderung, Mitarbeiter zu finden

Die Unterbringung: „Wir setzen alles daran, dass wir die Turnhallen freihalten“, sagt Winfried Becker mit Blick auf die künftige Unterbringen geflüchteter Menschen. Schul- und Vereinssport seien wichtig und gerade Kinder und auch Vereine hätten in der Coronazeit sehr gelitten, ihnen wolle man diesen Bereich lassen. „Andernfalls könnte die allgemeine Stimmungslage kippen“, befürchtet Becker. Und davon könnten dann rechte Parteien wie die AfD profitieren.

Ausschließen könne er aber dennoch nicht, dass man vielleicht irgendwann auch wieder die Turnhallen zur Unterbringung von Geflüchteten nutzen müsse. Das hänge von den Fluchtbewegungen ab.

Die Verteilung: Europa steht womöglich am Anfang einer noch viel größeren Fluchtbewegung. Was können Landkreis überhaupt tun, um auf diese Entwicklung zu reagieren? „Es fehlt an Geld, aber selbst das ist kein Allheilmittel“, sagt Becker. Entscheidend seien auch weitere Faktoren wie Personal und die Verteilung.

„Unser Personal ist endlich“, sagt Becker. Die Aufgaben seien gewachsen und es sei eine Herausforderung, Mitarbeiter zu finden.

Die andere große Herausforderung sei es, weiterhin Wohnraum zur Verfügung stellen zu können. Die Zahl der Geflüchteten steige weiter stetig an. „Wir müssen Lösungen finden, wie man auf lange Sicht die Unterbringung gewährleisten kann.“

Sollte eine Kommune nicht mitziehen, werde eine Zuweisungsverfügung ausgesprochen

Der aus Beckers Sicht beste Weg sei es, die Menschen nach der Anzahl der Einwohner in den Orten und somit auf der ganzen Fläche des Landkreises zu verteilen. „Gleichmäßige Unterbringung ist wichtig“, betont Becker. Daran müsse sich jede Kommune im Landkreis beteiligen. „Das erwarten wir auch“, macht er deutlich. Denn nur so könnten auch Überbelegungen in Kindergärten und Schulen abgemildert werden.

Er habe bereits mit allen Bürgermeistern darüber gesprochen und sei weitestgehend zufrieden mit deren Bemühungen, bei der Unterbringung behilflich zu sein.

„Es gibt aber auch Orte mit Nachholbedarf“, sagt Becker. Konkreter will er nicht werden. „Wir wollen niemanden vorführen.“ So viel sei aber klar: Sollte eine Kommune nicht mitziehen, werde eine Zuweisungsverfügung ausgesprochen.

Auch innerhalb Europas sei die Verteilung der Geflüchteten nicht gleichmäßig

Es gebe auch konkrete Überlegungen für weitere Container-Notunterkünfte, wie sie in Körle entstehen. „Das ist keine schlechte Lösung. Es handelt sich dabei um so etwas wie Tiny-Häuser“, sagt Becker. Allerdings brauche man dafür ebene, befestigte Plätze und die entsprechende Infrastruktur. So müssten zum Beispiel, die Wasser- und Stromversorgung sichergestellt sein.

Grundsätzlich müsse es aber eine bessere europäische Solidarität geben. Denn auch innerhalb Europas sei die Verteilung der Geflüchteten nicht gleichmäßig.

Der Ausblick: Der Krieg werde sicher nicht bald beendet sein, sagt Becker. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass er noch lange dauert“, so Becker. Um so wichtiger sei es, eine gute Integration zu ermöglichen. „Integration fängt mit der Sprache an. Sie ist der Schlüssel und die Grundlage dafür, dass die Menschen bei uns klarkommen“, ergänzt er. Deshalb sei es wichtig, dass Geflüchtete so schnell wie möglich die sprachlichen Hürden überwinden können. Möglich sei das durch Sprachkurse, doch davon gebe es im Vergleich zur Anzahl der Geflüchteten zu wenige im Landkreis. Ein Grund dafür seien auch bürokratische Hürden. So müssten Dozenten bestimme Qualifikationen haben, um lehren zu dürfen. „Da müssen wir auch mal von unseren Ansprüchen etwas runter kommen“, fordert Becker. Denn die Warteliste der Menschen, die gerne an einem Sprachkurs teilnehmen wollen, sei lang. „Die Integration verzögert sich dadurch“, mahnt er. Deshalb müsse die Grundlage dafür geschaffen werden, dass mehr Menschen als Kursleiter unterrichten dürften und somit mehr Sprachkurse angeboten werden könnten. (Maja Yüce)

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