Als Elisabeth Lindner-Wolf zum 675-jährigen Jubiläum von Ermetheis in diesem Jahr historische Unterlagen brauchte, ging alles ganz schnell. Vor 25 Jahren war das anders.
Als Elisabeth Lindner-Wolf zum 675-jährigen Jubiläum von Ermetheis in diesem Jahr noch einmal historische Unterlagen brauchte, ging alles ganz schnell. „Wollen Sie uns Ihre E-Mail-Adresse geben?“, fragte man beim Hessischen Staatsarchiv in Marburg. Wenig später hatte sie die Dokumente auf dem Computer.
Vor 25 Jahren, als Lindner-Wolf die Chronik von Ermetheis schrieb, waren Internet und Computer kaum verbreitet. Wie eine Detektivin arbeitete sie sich damals immer tiefer in die Dorfvergangenheit ein – bewaffnet mit einem Stift, Papier und einer Schreibmaschine.
Alle waren sich damals, ein Jahr vor der 650-Jahr-Feier, einig: Wir brauchen eine Chronik. Das Dorf trommelte eine Versammlung zusammen, erzählt Lindner-Wolf. Ein Team sollte gebildet werden. Spontan meldete sich die heute 83-Jährige. „Ich dachte, ich könnte ja Korrektur lesen.“ Ob es denn schon Unterlagen gebe, wollte sie wissen. „Nein, fast noch nichts“, lautete die Antwort.
Wie fängt man an?
Die Beteiligten waren ratlos: Wie lässt man eine Chronik entstehen? „Unser Ziel war ein Lesebuch, das man nicht nach wenigen Zeilen beiseitelegt“, sagt Lindner-Wolf. Bei der erst 1997 gegründeten Suchmaschine Google nachzuschauen, das war noch nicht möglich.
Für die frisch pensionierte Lehrerin begann ein Jahr der Recherche, um der Geschichte des Ortes auf die Spur zu kommen. Als Erstes machte sie sich auf den Weg nach Berlin. Dort besuchte sie einen Ermetheiser, der Fotos und Karten des Dorfes gesammelt hatte.
Sie schrieb erste Buchabschnitte auf Zettel
Immer wieder fuhr sie in die Kasseler Bibliothek, das Wiesbadener Kartenarchiv und das Staatsarchiv in Marburg. Manche Dokumente schrieb Lindner-Wolf per Hand ab und notierte sich erste Buchabschnitte auf Zettel. „Da wäre ein Laptop toll gewesen“, sagt sie rückblickend. Anderes fotografierte sie ab.
Das Problem? Viele Urkunden waren in alten Schriften und in Latein verfasst. Dafür konnte sie aber eine Übersetzerin finden.
Sehr positiv in Erinnerung geblieben ist Lindner-Wolf der Zusammenhalt im Dorf: „Alle haben Anteil genommen.“ Die ältesten Frauen luden sie ein, um ihr von ihrer Kindheit zu erzählen. Einige schrieben Beiträge für die Chronik.
Die Notizen der Pfarrer verraten die Vergangenheit
Kirchenbücher waren für Lindner-Wolf eine besondere Quelle. Neben Taufen und Beerdigungen hatten die Pfarrer selbst im Dreißigjährigen Krieg notiert, was gerade geschah – und wer etwa wegen einer unehelichen Schwangerschaft Buße zahlen musste. So konnte sie Stammbäume für Ermetheis entwickeln und sie den Häusern zuordnen. Auch die Berufe mancher Ermetheiser Vorfahren fand sie heraus.
Jedes Kapitel brachte sie persönlich nach Kassel
Zuletzt sprach Lindner-Wolf bei einem Verlag vor. Ein mühsamer Teil begann: Sie ordnete ihre Notizen und tippte sie – ohne digitale Rechtschreibhilfe – auf der Schreibmaschine ab. „Immer, wenn ein Kapitel fertig war, brachte ich es nach Kassel“, schmunzelt sie. Nach den Korrekturen war es soweit: 800 Exemplare der Ortschronik wurden gedruckt.
„Vieles findet man bei Google heute auch nicht, man muss weiter in die Archive“, dessen ist sich Lindner-Wolf bewusst. Aber eine kurze E-Mail ohne eigene Anreise und Texteauf dem Laptop neu anzuordnen: Das wäre trotzdem praktisch gewesen.