Von der glühenden Lava zum Geläut: Borkener Kirchengemeinde in Europas ältester Glockengießerei

Ein Besuch in der weltweit ältesten Glockengießerei: der „Glocken- und Kunstgießerei Rincker“ im mittelhessischen Ort Sinn. Dort werden Kirchenglocken heute noch gegossen wie vor 1000 Jahren.
Borken/Sinn – In der dunklen, staubigen Werkhalle an der Wetzlarer Straße in Sinn herrscht Hektik. Das Gebläse eines mit 800 Litern Öl befeuerten Ofens macht einen ohrenbetäubenden Lärm. Neben ihm stehen Männer mit Schutzausrüstung, beobachten die brodelnde Bronze – 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn.
Es war ein besonderer Tag für zwei Kirchengemeinden. 23 Christen der Evangelischen Kirchengemeinde Borken waren beim Guss in der Glockengießerei Rincker im Lahn-Dill-Kreis dabei, als die erste neue Glocke für die Kirche in Borken gegossen wurde. Die zweite folgt demnächst.
Das neue Geläut wird am Pfingstsonntag mit einem Festgottesdienst geweiht. Gleichzeitig wurden Glocken für die Kirche Sankt Marien in Lübeck gegossen. Deutlich spürbar war in beiden Gemeinden die Freude, der Dank und der Wunsch, dass sie immer zur Ehre Gottes und für den Frieden läuten mögen.

Die Borkener feierten eine Andacht, Pfarrer Björn Kunstmann erwähnte dankbar die Unterstützung für das Projekt: „Seit drei Jahren planen und sammeln wir, etwas Neues wird geschaffen.“ Die beiden neuen Bronzeglocken ersetzen zwei schlecht klingende Stahlglocken aus 1949. Zusammen mit der 582 Jahre alten Bronzeglocke sollen die neuen Klangkörper ein prächtiges Geläut ergeben.
Flüssiges Metall, kunstfertig gegossen: Der Pfarrer sprach auch vom Risiko des Scheiterns: „Ein Bild für das Leben, da wissen wir auch nicht, was rauskommt. Doch wir vertrauen auf unseren Schöpfer“.
„Frisch gemauert in der Erden, steht die Form, aus Lehm gebrannt.“ Genau so, wie es Friedrich Schiller im Gedicht „Die Glocke“ beschreibt, erleben es die Besucher. Jetzt Gesellen, frisch, prüft mir das Gemisch. Ob das Spröde mit dem Weichen, sich vereint zum guten Zeichen. Wohl! Nun kann der Guss beginnen, doch bevor wir’s lassen rinnen, betet einen frommen Spruch. Es wird ganz still.
Firmenchef Fritz-Georg Rincker bittet um absolute Ruhe: „Wir müssen mit den Füßen fühlen, wie sich die Form füllt.“ Die Bronze ist 1150 Grad heiß. „Dann wollen wir in Gottes Namen gießen“, sagt Rincker, dessen Sohn Christian in der 14. Generation dabei ist. Es ist ein einmaliges Erlebnis, wenn das brodelnde Erz wie ein Lavastrom im Untergrund verschwindet.
Die rot-orangefarbene Glockenspeise zischt, fließt in die Formen. Die Bronze speit Feuer und Flamme. Ein Guss ist ein flammendes Inferno – Funken stieben. Mit der Lava entweichen Qualm und Gase. Mit Eisenstangen regulieren die Männer den Bronzestrom. Alles läuft Hand in Hand. „So ruhig war es bei einem Guss noch nie“, lobt Rincker am Ende die beiden Gemeinden. „Vom Guss her hat es wunderbar funktioniert“, freut er sich, „wenn die Glocken so gut klingen, wie sie vollgelaufen sind, ist alles bestens.“

Es gibt viel Beifall für die Mannschaft. „Die hat sich ein Bier verdient“, sagt der Chef. Glockenguss sei ein sterbendes Handwerk. Von einst 30 Gießereien in Deutschland seien vier übrig. Die Auftragsbücher seines Unternehmens sind für dieses Jahr gut gefüllt, 35 Glocken gilt es noch zu gießen. Unter anderem für Geläute in Berlin und Dillenburg. „Glocken müssen vor allem den Menschen auch zu Herzen gehen“, sagt der Gießer. Und so wünschen sich die Handwerker und die Gemeinden, dass die Glocken nie wieder zu Kriegszwecken abgehängt werden. (Manfred Schaake)