Auf der Plattform „GoFundMe“ hatten Emily und Sven Oidtmann vor Kurzem einen Spendenaufruf gestartet, um ihrem Sohn seinen größten Wunsch zu erfüllen: eine Reise nach Japan. Damals, am 16. Februar, waren alle noch optimistisch, dass Leo, wie Leonardt genannt wird, die Leukämie besiegen kann. Die Aussicht auf eine Reise in das Land am anderen Ende der Welt sollte ihm weiter Mut machen. Japan mit seiner besonderen Kultur fasziniert den Zwölfjährigen. „Hauptsächlich denke ich schon an Tokio“, hatte Leo beim HNA-Besuch vor Kurzem gesagt. Außerdem liebt er Animes, Mangas und Sushi. Das japanische Gericht mit rohem Fisch darf er aufgrund seines schwachen Immunsystems derzeit aber nicht essen.
Der gestartete Spendenaufruf ist erfolgreich. 136 Spender haben ihn mit 4988 Euro unterstützt (Stand 8. März) – das ist ungewöhnlich viel Geld. Doch für die geplante Japanreise scheint es zu spät zu sein. Die jüngsten Untersuchungen haben laut Sven Oidtmann ergeben, dass Leo den Kampf gegen die Leukämie verlieren wird. Er hat zu viele Krebszellen im Blut. Damit seine Eltern und er noch möglichst viel Zeit gemeinsam verbringen können, wird Leo ambulant palliativmedizinisch versorgt. „Derzeit versuchen wir mit leichten Chemos und Medikamenten die Zeit, die uns noch bleibt, zu verlängern“, sagt Sven Oidtmann. Ohne diese Behandlungsmöglichkeiten hätte der Zwölfjährige nur noch vier Wochen zu leben. Nun gehe es vor allen Dingen darum, „zusammen eine qualitativ gute Zeit zu haben“, sagt der 46-Jährige.
Anstatt das Fernziel Japan fassen Leo und seine Eltern nun nähere Ziele ins Auge: beispielsweise den Leipziger Zoo. Vielleicht könnten sie auch ein paar Tage ans Meer fahren, so Sven Oidtmann. Das bisher auf „GoFundMe“ gespendete Geld für die Japanreise will die Familie nun für die Ausflüge verwenden.
Um sein Leben in möglichst guter Qualität noch weiter zu verlängern, soll Leo ab nächster Woche ein neues Medikament bekommen, das bisher vor allen Dingen bei Erwachsenen eingesetzt wird – und das auch erst seit zwei Jahren.
„Wir hoffen, dass wir dann den Sommer noch zusammen haben“, sagt Leos Vater. Aber er sagt auch: „Wir hören mit allen Behandlungen auf, wenn er nicht mehr kann oder will.“ Der Zwölfjährige, der zwei ältere Schwestern hat, weiß, wie es um ihn steht. „Wir sprechen mit ihm offen über alles.“ Beispielsweise auch über die Beerdigung. „Er möchte eingeäschert werden“, sagt Sven Oidtmann. Dabei ist Leo ein ganz normaler Junge, der sich auch nach der Blutkrebs-Diagnose gerne mit seinen Freunden zum Nintendo Switch-Spielen trifft und Zeit mit Hündin Kira verbringt.
Leos Mutter Emily Oidtmann wirbt dafür, dass mehr Menschen Blut spenden. Es werde nicht nur für beispielsweise Operationen benötigt, sondern auch für Krebspatienten wie ihren Sohn. Leo habe schon mehr als 40 Konserven erhalten, darunter Konzentrate von Erythrozyten (rote Blutkörperchen) und Thrombozyten (Blutplättchen). Erstere transportieren den Sauerstoff im Blut und zweitere sind unverzichtbar für die Blutgerinnung. Leo benötigt die Konzentrate, da bei seiner Form der Leukämie eine Vorstufe einer myeloischen Zelle entartet und sich unkontrolliert vermehrt. Zu den myeloischen Zellen zählen die roten Blutkörperchen, die Blutplättchen und ein Teil der weißen Blutkörperchen. (ciz)
Im August war die Hoffnung noch groß, dass ein passender Stammzellenspender für Leo Oidtmann gefunden wird. Deshalb suchte die Familie gemeinsam mit den Ärzten der Onkologischen Kinderklinik in Kassel andere Möglichkeiten, um den Zwölfjährigen zu retten. Sein Vater spendete ihm in der Uniklinik in Frankfurt Ende August Knochenmark. „Eltern können das machen“, sagt Sven Oidtmann. Allerdings stimmt nur die Hälfte der elterlichen Gene mit denen des Kindes überein. Auf die Spende seines Vaters, die alle optimistisch stimmte, folgte ein Rückschlag. In Leos Lunge fanden Ärzte einen Pilz. Um dessen Ausbreitung zu verhindern, wurde ihm die Hälfte seines rechten Lungenflügels während einer zehnstündigen Operation in Kassel entfernt. Mitte Dezember dann durfte Leo das Krankenhaus voller Hoffnung verlassen und nach Hause.
Kurz vor Weihnachten 2022 erhielt die Familie dann die erschütternde Nachricht: „Der Krebs ist zurück“, sagt Emily Oidtmann. Heiligabend verbrachte die Familie noch gemeinsam zuhause. Am Ersten Weihnachtsfeiertag musste Leo in die Onkologische Kinderklinik in Kassel. Dort erwartete ihn die nächste Chemotherapie. „Es ging alles wieder von vorne los“, sagt Emily Oidtmann. Doch weder der Junge noch seine Eltern gaben auf.
Im Januar erhielt Leo von seiner Mutter in Frankfurt eine Stammzellenspende. Das neue, mit den Stammzellen übertragene Immunsystem von Emily Oidtmann sollte helfen, die Krebszellen im Körper des Zwölfjährigen zu vernichten. Wieder war Leo wochenlang im Krankenhaus. Doch die Therapie schlug nicht gut an. „Die Transplantation ist nicht so gelaufen wie erhofft“, sagt Emily Oidtmann. Das zeigte die Chimärismus-Analyse, mit der festgestellt wird, wie viele der Blutzellen vom neuen Knochenmark gebildet werden. Ihr Anteil lag bei Leo deutlich unter dem erhofften Ergebnis.
Mit der Überwachung des Chimärismus nach einer Stammzelltransplantation können früh sowohl ein Transplantatversagen als auch ein Wiedererstarken des Blutkrebses erkannt werden. Jeder Rückfall, der nach einer Stammzelltransplantation auftritt, ist lebensbedrohlich. Deshalb wird Leos Zustand ambulant in der Kinderonkologischen Tagesklinik in Kassel überwacht.
Damit möglichst alle seine Blutzellen vom neuen Knochenmarkt gebildet werden, wurden die Immunsuppressiva, die verhindern, dass sich Leos Körper zu stark gegen die Zellen seiner Mutter wehrt, abgesetzt – auch wenn das gefährlich ist. „Die Killerzellen meiner Frau sollen Leos Zellen vernichten“, sagt Sven Oidtmann. Seit Mitte Februar ist der Zwölfjährige wieder zuhause in Falkenberg. Erneut hieß es Warten, wie sich die Blutwerte entwickeln. „Das ist das Furchtbare an der Krankheit“, sagt der Vater. „Man ist hilflos.“
Anfang März erhielt die Familie dann die ernüchternde Nachricht: Leos Blutkrebs ist zu stark. Nur wenige Wochen nach der Stammzellentransplantation seiner Mutter liegt der Anteil der Krebszellen im Blut des Zwölfjährigen bei elf Prozent – anstatt bei null. Mit dem neuen Medikament hofft die Familie auf eine möglichst lange verbleibende gemeinsame Zeit. (Christina Zapf)