„Wichtig, gut miteinander auszukommen“: Vor 75 Jahren kamen Heimatvertriebene in Welferode an

Der Zweite Weltkrieg bedeutete für unzählige Menschen Leid und Schrecken. Nach dessen Ende waren Flucht und Vertreibung aber noch nicht vorbei.
Welferode – Der Zweite Weltkrieg endete am 8. Mai 1945. Damit war das Leid, das er über viele Menschen gebracht hat, aber noch nicht vorbei.
Eine der Konsequenzen des Krieges war, dass zahlreiche Menschen durch Flucht und Vertreibung Mittel- und Osteuropa verlassen mussten – die Heimatvertriebenen. 115 von ihnen kamen am 26. April in der Gemeinde Welferode an, seit der Gebietsreform 1971, ein Stadtteil von Homberg.
Vertriebene in Welferode: Heimatstadt gibt es nicht mehr
Der Großteil von ihnen stammte aus Preßnitz und Reischdorf, das heute Rusová heißt. Preßnitz (tschechisch: Přísečnice) gibt es nicht mehr. Dort, wo die alte Bergstadt war, ist heute eine Talsperre. Das berichtet Karl-Ernst Paul.
Einer, der die Stadt noch kannte, war sein Vater. Der heute 73-Jährige ist in Homberg geboren und lebt bereits sein ganzes Leben in Welferode – dem Ort, in dem sein Vater Ernst Paul heute vor 75 Jahren ankam.
Aber von vorn: Bereits in den letzten Kriegsmonaten flüchteten Menschen vor der immer näher rückenden Kriegsfront. Auch die „wilde“ Vertreibung setzte ein. Das heißt: die Vertreibung deutscher Staatsangehöriger durch andere Gruppen der Bevölkerung vor Ort.
Im August 1945 kam es zur Potsdamer Konferenz, die laut Bundeszentrale für politische Bildung unter anderem die „ordnungsgemäße Überführung deutscher Bevölkerungsteile“ vorsah. Diese sollte human ablaufen. Dass das jedoch keinesfalls gang und gäbe war, bekamen auch die 115 Heimatvertriebenen aus Tschechien zu spüren.
Vertriebene in Welferode: Im Viehwaggon mit 30 Personen
Seine Erlebnisse hat Ernst Paul schriftlich festgehalten: „Als Heimatvertriebene kamen wir am 24. April 1946 mit dem 4. Transport nach tagelanger Eisenbahnfahrt in Viehwaggons auf dem Bahnhof in Wabern an“, heißt es dort. „Unser Transport bestand aus 40 Waggons, jeweils 30 Personen mit Gepäck (30 Kilogramm) beziehungsweise was nach den Kontrollen und Wegnahmen der Tschechen noch übrig geblieben war.“
Ein erstes Quartier fanden sie im Waberner Gasthaus „Zur Traube“. „Zwei Tage wurden sie dort einquartiert“, erzählt Karl-Ernst Paul. Dann kam die Verteilung.
Die Neuankömmlinge wurden nicht überall mit offenen Armen empfangen, weiß Karl-Ernst Paul aus Erzählungen. „Es wurde sogar erzählt, dass eine Familie die Treppe im Haus herausgerissen hat, damit dort niemand mehr einquartiert wird.“ Das sei aber nicht die Regel gewesen.
Vertriebene in Welferode: Bevölkerung anfangs skeptisch
Dennoch stand man den Heimatvertriebenen anfangs oft skeptisch gegenüber. Sie waren katholisch, sprachen böhmischen Dialekt. Aber sie brachten sich ein – vor allem bei der Arbeit. Viele hatten in der alten Heimat Berufe gelernt, die nun nützlich waren.
Ernst Paul beispielsweise sei gelernter Elektriker gewesen und habe beim Bau der Stromleitungen mitgearbeitet. „Es war wichtig, sich versorgen zu können“, sagt sein Sohn.
Mit der Zeit veränderte sich aber das Zusammenleben. Die katholischen Preßnitzer und Reischdorfer durften die Kirche im Ort benutzen. Das war keine Selbstverständlichkeit: Welferode war evangelisch. Später gab es eine eigene katholische Kirche in Remsfeld.
Vertriebene in Welferode: „Gutes Miteinander geworden“
„Viele sind später auch evangelisch geworden“, so der 73-Jährige. Über die Zeit sei ein gutes Zusammenleben entstanden. So wie bei der Kirmes 1950, wo Einheimische und Heimatvertriebene gemeinsam gefeiert haben.
„Es ist ein gutes Miteinander geworden“, sagt Karl-Ernst Paul. „Anfangs musste man sich erst kennenlernen“, sagt er, „das brauchte Zeit, aber dann war es gut.“ Das könne auch in heutiger Zeit ein positives Beispiel sein.
Die Geschichte solle nicht vergessen werden. „Wir müssen immer daran denken, dass Krieg nichts Gutes ist“, sagt Karl-Ernst Paul. „Deshalb ist es wichtig, dass die Leute gut miteinander zurechtkommen und aufeinander aufpassen.“ (Sarah Schnieder)