Polizeipräsidentin von der Osten zu den Demos: „Das sind keine spontanen Treffen“

Wir sprachen mit der Präsidentin der Polizeidirektion Göttingen, Gwendolin von der Osten, über die „Spaziergänge“, Gegendemonstrationen und die hohe Belastung der Einsatzkräfte.
Göttingen – Gleich ob Hunderte oder fünf Protestierende gegen die Corona-Politik: Die Polizei ist oft vor Ort, auch bei nicht angemeldeten Aktionen wie den „Spaziergängen“. Am Montag nahmen in Niedersachsen etwa 14.000 Personen an „Spaziergängen“ teil. Es gab mehr als 30 Gegendemonstrationen.
Frau von der Osten, wann ist ein Treffen oder ein Spaziergang eine Versammlung?
Dazu gibt es eine klare Auffassung. Das sind keine Spaziergänge, sondern Versammlungen, denn auch ein stiller Protest kann eine Versammlung sein. Dies wird auch schon aufgrund der Aufrufe zu diesen Treffen in sozialen Medien klar, dass es keine spontanen Treffen sind, sondern Aktionen mit einer klaren Absicht, nämlich gegen die aktuelle Corona-Politik zu protestieren. Der Spaziergang ist also eine spezielle Protestform. So gelten auch die Regelungen des Versammlungsgesetzes und der Allgemeinverfügungen – wie die Pflicht zum Tragen einer FFP-2-Maske oder zum Anmelden von Versammlungen. Wenn man seitens der Demonstrierenden die Regelungen des Versammlungsrechts durch eine andere Benennung umgehen will, dann funktioniert das nicht.
Landesweit gab es 189 Aktionen. Wie viele waren es im Bereich der Polizeidirektion von Hann. Münden bis Nienburg?
Wir haben 58 Versammlungen registriert, mit 4900 Teilnehmenden – die Gegendemonstrationen eingerechnet. Das ist eine spürbare Zunahme im Vergleich zu den vergangenen Wochen.
Was sind die Hotspots im Bereich der PD?
Unter anderem haben sich Orte um Göttingen, Hildesheim, Hameln, Northeim, Einbeck, Bückeburg, Stadthagen und Nienburg als Schwerpunkte für die Aktionen herauskristallisiert.
Wird den Corona-Politik-Kritikern zu viel Aufmerksamkeit gewidmet?
Auch wir als Polizei sehen die Relation, nämlich dass sich der allergrößte Teil der Bevölkerung solidarisch zeigt und sich an die Regelungen hält. Aber wir müssen diese Meinungskundgebungen ermöglichen und schützen, deshalb ist es verpflichtend, dass diese Aktionen angemeldet werden. Festzustellen ist, dass wir eine Impfquote jenseits der 70 Prozent haben, also sehr viele, die die Maßnahmen und die Impfung befürworten. Wir stehen also mit Blick auf jene, die dagegen sind und auf die Straße gehen, nicht vor einem Aufstand oder gar einer Spaltung der Gesellschaft. Wir sollten und können auf unsere starke Demokratie vertrauen. Wir sollten deshalb auch ein Stück weit gelassen bleiben.
Kann die Polizei diese zusätzliche Belastung personell denn überhaupt stemmen?
Die Belastung ist hoch, keine Frage, sowohl, was die Organisation, als auch, was den Einsatz betrifft, der manchmal auch schnell umgeplant werden muss. Wir müssen auch schauen, wo aufgrund unserer Erfahrung eher mit Konfrontationen zu rechnen ist. Ich appelliere deshalb dringend, die Veranstaltungen anzumelden, mit Behörden und Polizei zu kooperieren. Auch alle, die gegen die „Spaziergänger“ demonstrieren, sollten dringend mit der Polizei kooperieren. Leider können wir das nicht überall feststellen.
Innenminister Pistorius beklagt, dass die Demonstrierenden zunehmend unkooperativer gegenüber der Polizei werden.
Wir haben ein klares Vorgehen bei Verstößen gegen die Corona-Regeln: Zunächst sprechen die Einsatzkräfte die Personen an, wenn die Verstöße anhalten, werden Anzeigen verfasst, also Personalien aufgenommen. Auch hier ist die Kooperationsbereitschaft regional unterschiedlich. Ich muss aber auch sagen: Wenn der Rechtsrahmen nicht eingehalten wird, dann müssen und werden wir handeln.
Pistorius rief auch dazu auf, dass sich friedliche Kritiker gegen Corona- und Impfpolitik von rechten Gruppen distanzieren sollen...
Insgesamt stellen wir ein absolut heterogenes Klientel fest – aus Impfskeptikern, Kritikern auch gegen Verordnungen, aber auch rechtsnational Gesinnter. Es gibt bundesweit Tendenzen, dass rechtsextreme Gruppen sich diese Versammlungen zunutze machen, wenn wir auch bei uns in der Stadt Göttingen solche Einflüsse auf der Straße noch nicht feststellen. Wenn so etwas erkennbar ist, oder die Aufrufenden aus dieser Ecke kommen, sollten sich andere Kritiker deutlich distanzieren. Wer sich dennoch äußern möchte, kann an angemeldeten Veranstaltungen teilnehmen oder solche selbst anmelden. Wenn Protestierende von der „Corona-Diktatur“ sprechen und Vergleiche zur Nazi-Zeit ziehen, dann ist das ein Tabu-Bruch. Erkennen das Menschen, die vielleicht nur Vorbehalte gegen das Impfen, die Schulmedizin oder die Corona-Politik haben, dann sollten sie sich nicht weiter beteiligen.
Die Polizeigewerkschaft spricht davon, dass die Polizisten „gar nicht mehr aus den Stiefeln herauskommen.“ Ist das so?
Wie gesagt, die Belastung ist sehr hoch, zumal die Einsätze meist am Abend liegen. Es entstehen in hohem Maße Zusatzarbeitsstunden. Und perspektivisch werden uns das Thema und die Einsätze auch im Zuge der Diskussion um die Impfpflicht sicher noch länger beschäftigen.
Wie gehen die Einsatzkräfte damit um?
Sie sind trotz dieser Mehrbelastung hoch motiviert. Ich habe großen Respekt davor, wie sie sich täglich mit diesem Protestgeschehen beschäftigen, auch mit der Konfrontation. Das tun die Kollegen professionell und mit Gelassenheit. Es gibt ja auch keinen anderen Weg, um friedliche Veranstaltungen zu ermöglichen.
Gibt es Beschimpfungen und Bedrohungen?
Diese gibt es, aber auch dann hilft es, zunächst zurückhaltend zu sein, zu deeskalieren – oder auch einmal bewusst wegzuhören. Bei Straftaten werden aber auch entsprechende Maßnahmen und Verfahren eingeleitet.
(Thomas Kopietz)

ZUR PERSON
Gwendolin von der Osten (50) begann ihre Polizei-Karriere 2003, mittlerweile ist die Volljuristin seit Mai 2021 als Präsidentin der Polizeidirektion Göttingen die Chefin von 2900 Beamten und Mitarbeitenden. Sie lebt in Hannover, ist verheiratet und hat drei Kinder. (tko)