1. Startseite
  2. Lokales
  3. Göttingen
  4. Göttingen

Weniger Spender-Organe – oft wird die Entnahme abgelehnt

Erstellt:

Von: Thomas Kopietz, Anna Weyh

Kommentare

Ein Transportbehälter von Organen wird in einen Operationssaal gebracht. 2022 war in Deutschland die Zahl der Organspenden geringer als 2021.
Ein Transportbehälter von Organen wird in einen Operationssaal gebracht. 2022 war in Deutschland die Zahl der Organspenden geringer als 2021. © Sören Stache/dpa

Tausende Menschen stehen auf einer Warteliste für ein Spenderorgan. Doch es werden immer weniger Organe in Deutschland gespendet.

Göttingen/Kassel – Weniger Menschen haben 2022 im Vergleich zu 2021 in Deutschland weniger Organe gespendet. Eine Entwicklung, die sich in Nordhessen und Südniedersachsen bestätigte. Laut Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) spendeten bundesweit 869 Menschen 2022 ein Organ oder mehrere Organe. Das waren 64 weniger als 2021.

Die Warteliste mit Menschen, die auf eine Transplantation warten, ist lang, 8500 Patienten sind in Deutschland verzeichnet. Verschlimmernd hinzu kommt, dass 2022 mit 322 genau 20 Organe weniger transplantiert wurden als im Vorjahr (342). Auch die Zahl der entnommenen Organe sank von 2905 auf 2662 im Jahr 2022. So kamen in Deutschland nur etwa zehn Spender auf eine Million Einwohner.

Weniger Spender-Organe – oft wird die Entnahme abgelehnt

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) konstatiert: „Das geltende Gesetz ist gescheitert.“ Er fordert neue Regelungen zur Organspende. Die Widerspruchslösung, bei der zunächst alle Menschen automatisch als Spender gelten, außer sie widersprechen, scheiterte 2020 im Bundestag. Für DSO-Vorstand Axel Rahmel ist es „an der Zeit, die Organspende als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen“. Grundsätzlich sind in Deutschland laut Umfragen acht von zehn Menschen für eine Organspende. Allerdings entschieden sich häufig Angehörige aus Unsicherheit, unter Stress und Zeitdruck gegen eine Entnahme.

An der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) wurden 2021 fünf Organspenden realisiert, 2022 waren es sieben Organspenden, wie die Transplantationsbeauftragte Dr. Bettina M. Göricke sagt.

In Kassel, wo Kliniken nur Organe entnehmen nicht aber transplantieren, wurden 2022 von sieben Menschen 24 Organe gespendet. 2021 hatten acht Menschen 29 Organe gespendet. 2010 waren es sogar 16 Spender mit 63 Organen gewesen.

Dr. Bettina M. Göricke, UMG-Transplantationsbeauftragte
Dr. Bettina M. Göricke © UMG/nh

In Niedersachsen verzeichnete die DSO für 2022 genau 64 Organspenderinnen und -spender. Das waren fünf weniger als 2021 – zehn mehr als 2020. Die Zahl der Organe sank von 225 auf 196. 2020 waren es 211. In Bremen hingegen stieg die Zahl der Organspenden 2022.

Die UMG-Medizinerin Bettina Göricke betont, dass die Zahl der Organspenden im vergangenen Jahrzehnt schwankte. Im Schnitt wurden 887 Organe pro Jahr gespendet. In Göttingen stieg die Anzahl der Organspenden zuletzt leicht. „Dabei kann man allerdings nicht von einem Trend sprechen“, sagt Göricke. (Anna Weyh und Thomas Kopietz)

Zustimmung in vielen Ländern nicht nötig

In Deutschland dürfen Organe nach dem Tod nur dann entnommen werden, wenn die verstorbene Person dem zu Lebzeiten zugestimmt hat. Liegt keine Entscheidung vor, werden die Angehörigen gefragt. In den meisten europäischen Ländern gilt die Widerspruchslösung. Hat die verstorbene Person der Organspende nicht ausdrücklich widersprochen, können Organe zur Transplantation entnommen werden. (alw)

Fragen und Antworten zur Organspende: Alter ist kein Ausschlusskriterium

Die Zahl der Organspenden ist bundesweit – mit Ausnahmen in manchen Bundesländern wie Bremen – rückläufig. Dazu und zum Verfahren der Organspende und -transplantation liefern wir Fragen und Antworten.

Welche Organe können gespendet werden?

Gespendet werden können Nieren, Leber, Herz, Lunge, Bauchspeicheldrüse und der Dünndarm, heißt es auf der Internetseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Außerdem seien auch Gewebespenden möglich, wie beispielsweise Herzklappen oder Gefäße.

Wer kommt als Spender in Frage?

Bei dem Patienten muss zunächst der Hirntod festgestellt worden sein. Die Funktion des Gehirns darf nicht mehr vorhanden und muss irreversibel sein. Derweil werden die Funktionen der Organe, so durch künstliche Beatmung und kreislaufunterstützende Medikamente, aufrechterhalten, um sie gegebenenfalls entnehmen zu können. Nur, wenn der Blutkreislauf nicht unterbrochen wird, kommen die Organe für eine Spende in Frage. Deshalb kann ein Mensch, der am Herzinfarkt gestorben ist, in Deutschland keine Organe spenden. Außerdem ist eine Zustimmung für die Organspende durch den Patienten oder Angehörige nötig.

Wie geschieht diese Zustimmung?

Auf dem Organspendeausweis kann jede Person die eigene Entscheidung zur Organspende dokumentieren. „Viele Menschen denken: Mit einem Organspendeausweis bin ich automatisch Spender. Ich kann aber genauso gut ankreuzen: Nein, ich möchte nicht spenden. Oder ich möchte spenden, außer bestimmte Organe“, sagt Mathias Drabsch, Organspendebeauftragter. Auch in den Patientenverfügungen könne die Entscheidung zur Organspende ergänzt werden. Viel wichtiger ist, sich überhaupt zu entscheiden und diese Entscheidung klar den Angehörigen zu kommunizieren, was auch als Zustimmung gilt.

Was geschieht, wenn der Patient die Organspende ablehnt?

Wenn die betroffene Person einen Organspendeausweis hat, hat sie klar bestimmt, was zu tun ist. Wenn der Patient dort notiert, dass eine Organspende abgelehnt wird, beenden die Mediziner an dieser Stelle die intensivmedizinischen Maßnahmen. Gleiches geschieht, wenn sich die Angehörigen gegen eine Organspende entscheiden.

Werden in Kassel Organe transplantiert?

Nein. Dort werden Organe nur explantiert, also dem hirntoten Spender entnommen und dann zu Transplantationszentren in Deutschland und in Europa gebracht. Die Verteilung der Spenderorgane geschieht für acht Länder über Eurotransplant in den Niederlanden. Im Helios-Krankenhaus Northeim werden keine Organe transplantiert. 2021 wurden dort laut DOS auch keine entnommen.

Werden in Göttingen und Hann.Münden Organe transplantiert?

Ja. In Hann. Münden gibt es seit 1977 das jetzt so betitelte Transplantationszentrum Südniedersachsen, das zum Klinikum Hann.Münden gehört. Seit 1977 wurden dort 2800 Nierentransplantationen vorgenommen, etwa 400 Menschen stehen auf der hauseigenen Warteliste für eine Niere. Das Transplantationszentrum ist seit 2010 eine Kooperation zwischen dem Klinikum Hann.Münden und der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). Beide Häuser können in ihren Intensivstationen potenzielle Spender versorgen und bei Zustimmung Organe entnehmen. Die Nierentransplantationen finden im gemeinsamen Transplantationszentrum Südniedersachsen (Niere) in Hann. Münden und an der UMG statt, Herztransplantationen nur an der UMG. Für Entnahmen ist der Maximalversorger Uni-Klinik, die Patienten im Umkreis von etwa 100 Kilometern und fünf Bundesländern versorgt, personell und technisch stets vorbereitet.

Wie läuft eine Organspende ab?

„Wenn wir bei einem Patienten den Hirntod festgestellt haben und er als Organspender geeignet ist, informieren wir die Deutsche Stiftung Organtransplantation“, sagt Dr. Christian Roth, Chefarzt der Neurologie am Kasseler Klinikum. Danach wird geklärt: Welche Organe kommen für eine Organtransplantation in Frage? Wer steht oben auf der Liste der bedürftigen Empfänger? Passt das Organ auch von der Blutgruppe? „Derjenige, der das Organ am dringendsten benötigt, bekommt es und wird im Transplantationszentrum vorbereitet.“ Dann werden die Organe entnommen.

Warum ist die Zahl der Organspenden mit weniger als 1000 pro Jahr im Vergleich zu den Millionen eigentlich spendenwilliger Menschen so gering?

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und viele Mediziner plädieren für mehr Aufklärung und Beratung. Die Transplantationsbeauftragte der Universitätsmedizin Göttingen, Bettina Göricke, sagt: „Im klinischen Alltag erleben wir oft, dass ein großes Informationsdefizit in Bezug auf die Abläufe einer Organspende besteht. Eine Entscheidung über etwas, zu dem man sich nicht ausreichend informiert führt, fällt natürlich ungleich schwerer als in einer Situation des umfangreichen Wissens und der damit verbundenen Sicherheit der Entscheidung – insbesondere, wenn man als Angehörige diese Entscheidung für einen anderen Menschen treffen muss.“ Im Vergleich zu anderen Staaten hinkt Deutschland bei den Organspenden auch hinterher, weil es keine Widerspruchslösung gibt. Die bringt Lauterbach nun wieder ins Gespräch.

Können Menschen mit Vorerkrankung spenden?

Vorerkrankungen werden geprüft. Nicht jede Vorerkrankung ist ein komplettes Ausschlusskriterium für eine Organspende. So können auch nur einzelne Organe gespendet werden. Zu Vorerkrankungen, die eine Organspende ausschließen, gehören auch bösartige Tumore.

Gibt es eine Altersgrenze für die Organspende?

Nein. Bedingung ist das Funktionieren der Organe. Organe von älteren Menschen werden vorrangig in ältere Menschen transplantiert. 2022 hat in Kassel ein 86-jähriger Mensch Organe gespendet.

Welche Organe werden am häufigsten transplantiert?

Die meisten Menschen warten auf eine Nierentransplantation. 2021 wurden etwa 4600 Personen neu auf die Warteliste aufgenommen. 826 Personen auf der Warteliste sind 2021 verstorben.

Wo kann ich mich zur Organspende informieren?

Das Infotelefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist kostenlos unter 08 00/9 04 04 00 montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr zu erreichen. Weitere Informationen gibt es hier. (Anna Weyh und Thomas Kopietz)

Auch interessant

Kommentare