Atomwaffen, US-Interessen und Putins Propaganda

Um die Angst vor einem Atomkrieg, geopolitische Interessen der USA und die Einstellung der russischen Bevölkerung diskutierten Experten in Göttingen
Göttingen - Das waren Themen einer prominent besetzten Podiumsdiskussion zum Krieg in der Ukraine, veranstaltet von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen am vergangenen Donnerstag.
Ausgeschlossen sei es nicht, dass Russlands Präsident Atomwaffen einsetze, erklärte Moderator Andreas Busch, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen. Eine solche Entscheidung könne Wladimir Putin offenbar alleine treffen. Anders als zu Zeiten der Sowjetunion gebe es im Kreml wohl keine kollektive Führung mehr, die ihre Herrschaft langfristig absichern wolle. Doch was sei die Alternative zur Unterstützung der Ukraine, fragte der Professor.
Das Problem, das Putin den Anlass zum Krieg bot, arbeitete Manfred Hildermeier, Professor für osteuropäische Geschichte, heraus. Sowjetunion-Gründer Wladimir Lenin habe – um sich der Unterstützung der ukrainischen Nationalbewegung zu versichern – der Ukrainischen Sowjetrepublik auch russischsprachige Gebiete zugeschlagen. Später habe Staatschef Nikita Chruschtschow der Ukraine die Krim geschenkt, die nie zu ihr gehört habe.
Putins rücksichtslose, imperiale Machtpolitik
Die Europäische Union versuche solche Probleme durch den Schutz von Minderheitenrechten zu lösen, führte Hildermeier aus. Sie betone die Unverletzlichkeit der Grenzen. Putin dagegen denke in Einflusssphären, setze auf rücksichtslose, imperiale Machtpolitik. Damit destabilisiere er die gesamte Region. Auch in anderen Nachbarstaaten der Föderation lebten russischsprachige Minderheiten.
Zuhörer fragten nach den Interessen der USA im Krieg um die Ukraine. Washington habe nach dem Untergang der Sowjetunion das aufstrebende China als größte geopolitische Herausforderung gesehen, erklärte die Europaabgeordnete Viola von Cramon-Taubadel (Grüne ).
Hildermeier machte jedoch darauf aufmerksam, dass die USA die Ukraine seit Russland Annexion der Krim und der Besetzung des ukrainischen Ostens 2014 mit Militärberatern und Waffen unterstützt habe.
Rolle politischer Stiftungen
Fragen des Publikums gab es zur Rolle der politischen Stiftungen Deutschlands in der Ukraine. Die Europaabgeordnete berichtete, dass diese in den vergangenen Jahren fünf Milliarden Euro in die Stärkung der Zivilgesellschaft investiert hätten. Junge Menschen, die wie Europäer leben wollten, seien gefördert worden. Nach Einschätzung des Kremls hätten sie damit das Land destabilisiert.
Offener Brief in Russland gegen den Krieg
Die Sicht Putins auf den Krieg werde von den Menschen in den ländlichen Regionen Russlands geteilt, erklärte Hildermeier. Sie informierten sich ausschließlich über die staatlich kontrollierten Medien. Großstädter hätten Zugang zu anderen Informationsquellen. Trotz drohender Repression hätten sich mehrere 1000 Menschen in Russland von ihnen in einem offenen Brief gegen den Krieg ausgesprochen, betonte der slawistische Sprachwissenschaftler Professor Werner Lehfeldt. (Michael Caspar)