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Bombenentschärfung Göttingen: Darum sind die Blindgänger bis heute gefährlich

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Von: Bernd Schlegel

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Die Roten Punkte zeigen den Bereich, wo je eine Bombe nach Sondierungsbohrungen vermutet werden - der lila Punkt steht für den Ort - am heutigen Standort der S-Arena, wo es zu einer Explosion bei Entschärfung kam.
In Göttingen werden Ende Januar Bomben entschärft: Wieder liegen sie im Erdreich in der Nähe des Schützenplatzes, am Leineufer und einer Kirche. 8000 Menschen müssen evakuiert werden. Die Roten Punkte zeigen den Bereich, wo je eine Bombe nach Sondierungsbohrungen vermutet werden - der lila Punkt steht für den Ort - am heutigen Standort der S-Arena, wo es zu einer Explosion bei Entschärfung kam. © Luftbild/Grafik: Stefan Rampfel

Erneut werden am letzten Januar-Wochenende mutmaßliche Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg in Göttingen entschärft.

Göttingen – Dazu müssen 8000 Menschen evakuiert werden. Viele fragen sich, warum die Bomben auch heute noch gefährlich sind – dazu Fragen und Antworten.

Was macht die Blindgänger so gefährlich?

Die meisten Blindgänger verfügen über einen „Chemisch-mechanischen Langzeitzünder“. Er wurde in großem Umfang in die Sprengbomben der Briten und der Amerikaner eingebaut.

Warum wurde der Zünder damals eingebaut?

Die Technik sollte im Krieg Lösch- und Bergungsarbeiten behindern beziehungsweise unmöglich machen, heißt es dazu in einem Online-Lexikon. Durch die Detonation noch Stunden nach Ende des Luftangriffs sollten auch Personen getroffen werden, die ihre Schutzräume verlassen hatten. Die Heimtücke der Fliegerbomben wurde daher von der NS-Propaganda besonders angeprangert.

Wie funktioniert der Zünder?

Die Verzögerungszünder waren in der Regel am Heck eingebaut. Der Schlagbolzen, der die Bombe zur Explosion bringt, wird durch eine oder mehrere Scheiben aus Zelluloid, das beispielsweise als Trägermaterial für Filme verwendet wurde, gehalten.

Wie kommt es zur eigentlichen Explosion?

Über den Zelluloid-Scheiben befindet sich eine mit dem Lösungsmittel Aceton gefüllte Glasampulle. Sie wurde bei oder während des Abwurfs zerstört, das austretende Aceton löste die Zelluloidplättchen auf. Abhängig von Anzahl beziehungsweise Dicke der Scheiben wurde der Schlagbolzen nach einigen Stunden oder Tagen freigegeben und brachte die Bombe zur Detonation. Bei den Blindgängern hat dies oft nicht funktioniert. Sie sind daher bis heute gefährlich.

Was ist mit dem Begriff Säurezünder?

Umgangssprachlich werden die „Chemisch-mechanischen Langzeitzünder“ auch Säurezünder genannt. Allerdings handelt es sich beim verwendeten Aceton um ein Lösungsmittel (Keton) und nicht um eine Säure.

Was ist das Problem bei der Entschärfung der Bomben?

Nicht detonierte Bomben sind mehr als 75 Jahre nach Kriegsende in einem gefährlichen Zustand. Sie dürfen auf keinen Fall in ihrer Lage verändert werden, da der Zünder unberechenbar ist. Deshalb wird der Kampfmittelräumdienst informiert.

Was macht der Kampfmittelräumdienst?

Diese Experten entschärfen im besten Fall die Bombe, in dem sie den Zünder ausbauen. Oft ist aber eine Ausbausperre vorhanden oder der Zünder ist so stark beschädigt, dass in diesen Fällen eine kontrollierte Sprengung der Bombe notwendig ist. Damit die Bevölkerung dabei nicht gefährdet wird, muss im weiten Radius um die Fundstelle evakuiert werden.

Kommt es zu Zwischenfällen?

Ja, immer wieder. Eines der schlimmsten Unglücke gab es bei der Entschärfung einer Bombe im Juni 2010 in Göttingen. Damals kamen drei Sprengstoffexperten ums Leben, sechs weitere wurden zum Teil schwer verletzt.

Blindgänger nach der Entschärfung.
Blindgänger nach der Entschärfung: Diese Bombe wurde im Januar in Osnabrück unschädlich gemacht. ©  Friso Gentsch/dpa

Viele Helfer unterstützen Einsatz: Feuerwehr und Technisches Hilfswerk engagieren sich

Damit die Evakuierungsaktion am letzten Januar-Wochenende in Göttingen gut über die Bühne gehen kann, sind zahlreiche Hilfsorganisationen mit vielen Aktiven im Einsatz.

Von der Stadt sind beispielsweise die Feuerwehren, auch die Freiwilligen Wehren, eingebunden. Auch das Ordnungsamt und die Polizei werden mit einem Großaufgebot zur Stelle sein. Sie müssen beispielsweise überprüfen, ob alle Betroffenen ihre Wohnungen und Häuser verlassen haben.

Die Helfer des Ortsverbandes Göttingen bauten Abdeckungen für die Punkte, unter denen Bomben vermutet werden.
Übungsaktion für das THW: Die Helfer des Ortsverbandes Göttingen bauten Abdeckungen für die Punkte, unter denen Bomben vermutet werden. Darauf sollen Wasserkissen für den Fall einer Sprengung gestapelt werden. © Foto: THW

Auch der Ortsverband Göttingen des Technischen Hilfswerks (THW) unterstützt die Aktion des Kampfmittelräumdienstes Niedersachsen. Die Helfer bauten massive Abdeckung für die vier Verdachtsstellen, unter denen im Bereich Godehardstraße Blindgänger vermutet werden. Die Holzkonstruktionen wurden auf dem Gelände der Unterkunft aus massiven Holzbohlen zusammengeschraubt. Darauf können Wasserkissen gestapelt werden. Sie sind für den Fall wichtig, dass die Blindgänger kontrolliert zur Explosion gebracht werden müssen. Damit soll verhindert werden, dass Teile der Bombe weit fliegen. Abmessungen und Statik der Konstruktionen wurden mit Unterstützung von Baufachberatern des Technischen Hilfswerks abgestimmt.

Das THW übernimmt aber noch weitere Aufgaben für die Stadt Göttingen: So werden am Tag vor der Evakuierung etwa 120 Pflegebetten transportiert, um Bewohner eines Seniorenheims vorübergehend in anderen Einrichtungen unterbringen zu können. Für die Einrichtung der Evakuierungszentren wird das THW den Transport und den Aufbau von etwa 1600 Feldbetten unterstützen.

Die Stadtverwaltung weist unterdessen erneut darauf hin, dass die Evakuierung, die am Samstag, 30. Januar, für etwa 8000 Einwohner in den frühen Morgenstunden beginnt, voraussichtlich bis Sonntagmorgen, 31. Januar, andauern wird. Betroffene sollten sich deshalb um Ausweichquartiere bemühen. Wer noch keines hat, sollte sich schnellstens unter Tel. 0551/400-4048 melden. goe.de/bombenverdacht

(Bernd Schlegel)

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