Kampf gegen Gesundheitsdiktatur: Junges Theater Göttingen überzeugt mit „Corpus Delicti“

„Corpus Delicti“ von Juli Zeh sorgt beim Publikum im Jungen Theater Göttingen für echte Spannung.
Göttingen – 90 Minuten geballte Spannung – das ist „Corpus Delicti“ von Juli Zeh am Jungen Theater Göttingen (JT). Begeisterten und langen Applaus spendete das Publikum bei der Premiere am Sonntagabend im vollen Haus für die Akteure in der szenischen Einrichtung von Kalma Streun (Bühnenfassung und Konzeption), Theaterintendant Nico Dietrich, Dramaturg Christian Vilmar und dem Ensemble.
In nicht allzu ferner Zukunft hat sich in Europa ein Staat etabliert, der im Namen der „Methode“ alles Handeln der Gesundheit unterordnet. Mia Holl steht hinter dem System, doch dann geht ihr Bruder Moritz darin unter.
Junges Theater Göttingen feiert Premiere von „Corpus Delicti“ von Juli Zeh
Er, der alles liebt, was das Leben ihm bietet, trifft bei einem Blind Date eine Tote. DNA-Proben brandmarken ihn als den Mörder. Mit Mias Hilfe nimmt er sich in U-Haft das Leben. Der Schmerz um ihn lässt Mia zweifeln, sabotieren.
Mit ausgewählten Szenen aus der Dystopie erzählt das JT-Team die Geschichte. Ein Erzähler (Götz Lautenbach) ergänzt, was nicht gespielt wird, macht Zusammenhänge klar, dirigiert das Geschehen.
Die Figur – mit Flügeln im schwarzen Teufels(?)-Kleid (Bühne und Kostüme: Kalma Streun) – übernimmt auch die Funktion der „idealen Geliebten“, über die sich Mia im Roman mit den ihr zunächst zu freien Ansichten ihres dann toten Bruders Moritz streitet.
„Corpus Delicti“: Eine Gesellschaft mit „Gesundheit“ als oberstes Ziel
Ein starkes Bild für eine Gesellschaft mit dem obersten Ziel „Gesundheit“ hat das Team für die Eingangsszene gefunden: Leibesertüchtigung betreiben die Akteure auch mit einem der großen Gymnastikbälle auf der Bühne, die später unter anderem zu Sitzmöbeln werden.
Mit zwei Pyramiden aus großen Quadern, drei Mikrofonen für die Gerichtsszenen und vielen Zerstäubern für die Desinfektion hat Regisseurin Kalma Streun ein Umfeld geschaffen, in dem sich die Schauspieler in Szene setzen.
Den Pflichtverteidiger Rosentreter, der Mias Geschichte vor dem Hintergrund seiner eigenen illegalen Beziehung gegen die Methode aufbauen möchte, spielt Jens Tramsen schön schleimig. Etwas zu ähnlich gibt er den aufstrebenden Journalisten Würmer, der von seinem Kollegen Kramer schamlos für dessen Zwecke ausgenutzt wird.
Junges Theater Göttingen sorgte mit seinem neuen Stück für 90 Minuten Spannung beim Publikum
Agnes Giese verkörpert harsch und entschlossen die anfangs noch verständnisvolle Richterin Sophie. Nur selten lässt sie Zweifel durchblicken, sie steht mit ganzer Frauenpower hinter der „Methode“. Mias Argwohn lässt sie schnell die Beherrschung verlieren.
Dass der machtbesessene Journalist Kramer, der die „Methode“ unbedingt unterstützt, und ihr Gegner Moritz mit Michael Johannes Mayer denselben Darsteller haben, mag organisatorische Gründe haben.
Premiere von „Corpus Delicti“: Viel Applaus von den Zuschauern
Doch auch inhaltlich hat die Besetzung ihre Reize. Mit Sonnenbrille, hinter der die Augen verschwinden, wird Mayer zum intriganten Macho Kramer, mit bunter Mütze mit zwei hängenden Zöpfen kann er sich schnell in den schon fast hyperaktiven, lebenslustigen Moritz verwandeln.
Eindrucksvoll gelingt Dorothea Röger eine Mia mal hoffnungsfroh, dann völlig verzweifelt. Röger durchleidet mit ihrer Figur ein wahres Wechselbad der Gefühle. Die inneren Kämpfe, die die Figur mit sich führt, macht die Schauspielerin eindrucksvoll sichtbar.
Weitere Aufführungen am 1., 8. und 17. Februar; Infos: junges-theater.de