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EcoBus-System aus Göttingen: Buchung von Bovenden bis New York

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Von: Thomas Kopietz, Per Schröter

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Kam in der Region Harz gut an: Das Nahverkehrssystem EcoBus lief in der zweiten Pilotphase in Südniedersachsen, hier in Clausthal-Zellerfeld. Zurzeit wird es in Leipzig unter dem Namen Flexa getestet.
Kam in der Region Harz gut an: Das Nahverkehrssystem EcoBus lief in der zweiten Pilotphase in Südniedersachsen, hier in Clausthal-Zellerfeld. Zurzeit wird es in Leipzig unter dem Namen Flexa getestet. © Per Schröter

Er fuhr 2018 in Bad Gandersheim, danach auf Probe auch im Harz. Zurzeit rollt der EcoBus unter dem Namen Flexa in der dritten Pilotphase in Leipzig im Regelbetrieb – mit Erfolg, wie Prof. Dr. Stephan Herminghaus vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) sagt.

Göttingen – Und: das zunkunftsträchtige Nahverkehrssystem, das auch Buchung und quasi ohne feste Haltestellen funktioniert, könnte bald auch in „seiner“ Herkunftsstadt Göttingen fahren.

Darum kümmert sich nun aine MPIDS-Ausgründung, ein StartUp-Unternehmen, die EcoBus GmbH. Das System ist flexibel, setzt eigene Kleinbusse ein und sucht bewusst die Verknüpfung mit anderen Nahverkehrsanbietern bsi zu Taxi-Unternehmen. Es funktioniert per App-Nutzung und soll den Fahrgast so im intelligenten Verkehrsmittel-Verbund von Tür zu Tür bringen – ressourcensparend und bequem.

Vieles wäre unter dem Dach der Max-Planck-Gesellschaft nicht möglich gewesen, vor allem die Integration in Geschäfts- und Vertragsstrukturen, deshalb wurde die GmbH gegründet, wie Stephan Herminghaus schildert, der schmunzelnd hinzufügt: „So bin ich mit Anfang 60 ein spätberufener Unternehmer.“ Einer, der überzeugt ist vom EcoBus-Konzept, auch, weil es viele Nachfragen gibt: „Interessenten gibt es einige“, sagt Herminghaus.

Die Rechte an Forschung und Weiterentwicklung bleiben bei der MPG, wo alle Fäden der Entwicklung – in Kooperation mit Nahverkehrs-Akteuren – inklusive der stetig umfassenderen Algorithmen verknüpft werden.

Die Stärke von EcoBus ist die Flexibilität: Der am MPIDS entwickelte Algorithmus weist den Fahrgast einem Fahrzeug zu, passt und optimiert die Route des Kleinbus. Die berechnete Route wird dem Fahrer in Echtzeit auf dem Navigationsgerät angezeigt. Er weiß so, wo er wie viele Fahrgäste aufnehmen und aussteigen lassen soll oder muss. Die Route kann so während der Fahrt fix angepasst werden, wenn neue Buchungen eintreffen.

Das ist die Abkehr von starren, zeitlich festgelegten Routen, auf denen die Busse fahren, auch wenn sie leer oder dünn besetzt sind und keine Fahrgäste an Haltestellen warten. Es ist aber nicht die Abkehr vom öffentlichen Nahverkehr, wie Stephan Herminghaus betont: „Es ist die Optimierung, die Flexibilisierung, die ökologische Verbesserung – auch des Service. So wenn wir die Fahrzeiten ausdehnen.“ So sei durchaus möglich von 6 Uhr morgens bis tief in die Nacht zu fahren. In Leipzig wird auch das getestet.

„Flexa“ wächst dort übrigens mosaikartig, die bediente Fläche wächst quasie organisch. Im Sinne der Nutzer wird der Algorithmus gleich mit angepasst.

Der Physiker und Experte für fluide Zustände Stephan Herminghaus ist über EcoBus unerwartet auch zum Sozialwissenschaftler geworden, genauer: Er nutzt die Erkenntnisse Göttinger Sozialwissenschaftler, die zur Akzeptanz von Verkehrsmitteln forschen und über den EcoBus-Probebetrieb feststellten: Es stört die Fahrgäste wenig, dass auf der EcoBus/Flexa-Fahrt nicht unbedingt der direkte Weg genommen wird, sondern auf kleineren Umwegen weitere Fahrgäste zusteigen oder abgesetzt werden. „Es macht den Fahrgästen erfahrungsgemäß nichts aus“. so das Fazit.

Entwickler: Stephan Herminghaus.
Entwickler: Stephan Herminghaus. © MPIDS/nh

Ganz wichtig ist, dass es mit EcoBus/Flexa keinen Tarif-Dschungel gibt, dafür aber eine einfache Benutzung via funktionierender App. Auch das ist eine Erkenntnis der Forschenden. Die Fahrgäste müssen dafür nur einen ÖPNV-Tarif bezahlen, also deutlich weniger als für ein Taxi bei vergleichbarem Komfort. Integriert werden soll auch eine Bezahlfunktion, sodass alle beteiligten Dienstleister, ob Verkehrsverbünde oder Taxi-Unternehmen vergütet werden – mit nur einer Buchung für den Kunden.

Ursprünglich stand das EcoBus-System in Südniedersachsen in direkter Konkurrenz zum Linienverkehr, was natürlich bei den Verkehrsbetrieben nicht nur auf Freude stieß. Das verhinderte letztlich – bisher – auch die Integration in den ÖPNV, in die Verkehrsverbünde.

Herminhaus und sein Team haben daraus gelernt: „Entscheidend ist das Vermeiden von Parallelverkehren.“ Liniendienste und Shuttles wie EcoBus/Flexa werden von der neuen Sofware zu einem „intermodalen Gesamtsystem“ kombiniert, das die Passagiere zum ÖPNV-Tarif von Tür zu Tür bringt. „Das ermöglichet nicht nur einen hohen Komfort, sondern stärkt auch den Linienverkehr, ist also keine Konkorrenz.“

Im Testfeld Leipzig müssen die Flexa-Kleinbusse so nur die letzten Kilometer zwischen Linienhaltestelle und Haustür bedienen. „Das ist eine Win-Win-Situation. Die Kunden genießen den Service von Tür zu Tür und die Liniendienste sind besser ausgelastet, da mehr Kunden mit der Linie fahren“, sagt Lorenz Hartung von der EcoBus-GmbH.

Sollten die Göttinger Verkehrsbetrieb den EcoBus aufnehmen, dann könnte es auch über Göttingen, wo das System erfunden wurde, in Südniedersachsen laufen, auch wenn es nicht zuletzt ob der hohen Kosten Skeptiker in der Region gibt. Den Traum jedenfalls spricht Stephan Herminghaus aus: „Ziel ist ein Service, mit dem Kunden sowohl eine Fahrt von Bovenden nach Friedland oder Hann.Münden, als auch eine Reise von Duderstadt über Göttingen nach New York mit nur einem System buchen können.“ (Thomas Kopietz)

„EcoBus“ soll bald durch Uni-Stadt rollen

In zwei Pilotprojekten hat sich das Nahverkehrssystem „EcoBus“ schon bewährt. Bald könnten die Fahrzeuge, die man per App anfordern kann und die aktuell erfolgreich in Leipzig eingesetzt werden, auch in Göttingen rollen. Die Pläne dafür wurden kürzlich im Bauausschuss der Stadt vorgestellt. Neben der Politik zeigen auch die Göttinger Verkehrsbetriebe (GöVB) Interesse am Betrieb. Der EcoBus könnte das Stadtbussystem ergänzen. Problem sind noch die hohen Kosten.

„Mit einem On-Demand-Verkehrssystem wie EcoBus könnte die Lücke zwischen Taxi und Bus könnte geschlossen werden“, sagte Mobilitätsmanager Michael Patscheke vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Das MPIDS hat das Projekt entwickelt, betreut und begleitet es wissenschaftlich.

„EcoBus ermöglicht individuelle Fahrverbindungen ohne notwendige Kenntnisse von Haltestellen, Linien und Fahrplänen“, sagte Michael Patscheke. Das System biete auch zusätzliche Fahrtgelegenheiten in Schwachlastzeiten und an selten vom Linienverkehr bedienten Orten.

Für Göttingen haben die Projektentwickler zwei Szenarien erarbeitet. Im ersten Szenario wird der EcoBus in den äußeren westlichen Stadtbezirken (Knutbühren und Esebeck bis Höhe Kaufpark), im zweiten im gesamten Sektor West (Knutbühren und Esebeck bis Höhe Bahnhof und ZOB) eingesetzt. Der Fahrpreis werde sich dabei an dem des ÖPNV orientieren.

Ein Göttinger Stadtbus
Stadtbus-Haltestelle in Göttingen: Der EcoBus ist keine Konkurrenz, sondern eine Ergänzung des städtischen öffentlichen Nachverkehrs. (Archivfoto) © Bernd Schlegel

„In Szenario eins bräuchten wir ein bis zwei Busse und hätten einen Finanzbedarf von rund 430 000 Euro, in Szenario zwei würde zwei bis drei Busse benötigt und es käme ein Finanzbedarf von etwa 560 000 Euro auf die Stadt zu“, sagte Patscheke. Was die Zahl der beförderten Personen angehe, rechnen man im ersten Szenario mit etwa 55 000 pro Jahr, im zweiten Szenario mit rund 83 000.

Auch wenn es unter den Mitgliedern des Umweltausschusses noch Redebedarf gab, waren alle angetan von der Idee eines On-Demand-Verkehrssystems. „Das wäre ein großer Gewinn für die Stadt und ein echter Fortschritt für unsere ÖPNV-Angebote“, meinte etwa Heike Hauk (Grüne), für die aber nur Szenario zwei infrage käme. Das Thema wurde mit der Bitte um eine schnelle Meinungsbildung in die Fraktionen verwiesen. Nach dem Erstellen einer Beschlussvorlage soll dann möglichst bald im Umweltausschuss, dem Finanzausschuss und abschließend im Rat über die Einbindung der Stadtbezirke in das Projekt abgestimmt werden.

Der Landkreis Göttingen, der ebenfalls nach Aussage von Landrat Marcel Riethig den öffentlichen Nahverkehr verbessern möchte, sei grundsätzlich nicht abgeneigt gegenüber modernen Systemen wie EcoBus. Riethig gibt aber die „hohen Kosten“ zu bedenken. Sie kämen ja zu den bestehenden Ausgaben hinzu. (Per Schröter)

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