Eklat um Göttinger Friedenspreis: Stiftung vertagt Verleihung – Jury tritt zurück

In Göttingen wird es in diesem Jahr keine Verleihung des Friedenspreises geben. Der Grund sind Sicherheitsbedenken. Die Jury tritt zurück.
Göttingen – Die Stiftung Dr. Roland Röhl hat die Friedenspreisverleihung an das deutsch-russische Projekt „Musik für den Frieden“ wegen Sicherheitsbedenken verschoben. Die dreiköpfige Preisjury unter Vorsitz des Journalisten Andreas Zumach protestierte gegen die Entscheidung und trat geschlossen zurück. Noch bis Sonntag war die Verleihung für den 10. September im Deutschen Theater vorgesehen.
„Wir haben als Mitglieder der Jury, die dieses Projekt im August 2021 ausgewählt hatten, alle drei gegen diese Absage gestimmt. Wir halten ihre Entscheidung für einen großen Fehler. Wir können sie nicht mittragen und nicht nach außen vertreten“, heißt es dem am Montag bekannt gewordenen Schreiben der Jury.
Göttingen: Wegbereiter für eine friedliche Zukunft
„Musik für den Frieden“ war Anfang Februar als Träger des mit 10.000 Euro dotierten Friedenspreises 2022 benannt worden. Das Projekt ist eine Initiative von deutschen und russischen Jugendlichen. Gemeinsame Aufführungen mit Musik, Tanz und Theater in beiden Ländern sollen zeigen, „dass es möglich ist, sich freundschaftlich und vertrauensvoll zu begegnen“, hieß es in der Jury-Begründung. Musik könne zu einem „Wegbereiter für eine friedliche Zukunft werden“.
Initiatoren und Betreuer des Projekts sind Ulrike und Thomas Vogt von der Musical-Company eines Gymnasiums in Baden-Württemberg und Andrey Koryakov für das Jugendtheater „Premier“ des Gymnasiums Nr. 12 im russischen Twer. Die Juroren würdigten den zivilgesellschaftlichen Beitrag von „Musik für den Frieden“ für die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Dies gelte „gerade in Zeiten, in denen die Beziehungen auf der offiziellen Politik-Ebene von erheblichen Konflikten und zunehmendem gegenseitigem Unverständnis geprägt sind“.
Verleihung in Göttingen: Polizei würde störungsfreien Ablauf gewährleisten
Weil sie Störungen der Friedenspreis-Verleihfeier durch Russlandfreunde oder „Kriegsgegner“ befürchtete, wandte sich die Stiftung an die Polizei. Stiftungssprecher Thomas Richter wollte sich auf Anfrage zunächst nicht zu dem Vorgang äußern.
Der Leiter des Staatsschutzkommissariats habe in einem Gespräch aufgezeigt, „dass damit zu rechnen sei, dass die Veranstaltung angesichts der aktuellen Sicherheitslage in der öffentlichen Meinung thematisiert werden wird“ und dass es „möglicherweise auch zu Störaktionen, Demonstrationen oder sonstigen Missfallensbekundungen kommen könnte“, sagte Polizeisprecherin Jasmin Kaatz. Auch sei der Stiftung versichert worden, dass die Polizei in jedem Fall einen störungsfreien Ablauf der Preisverleihung gewährleisten würde.
Friedenspreis-Jury in Göttingen: Rückzug von Preisvergabe ist Signal beschämender Feigheit
Nach Ansicht der – bisherigen – Jury sei der Rückzug von der Preisverleihung ein „Signal von mangelnder Zivilcourage, beschämender Feigheit“ und spiele der „derzeitigen massiven Feindpropanda der Regierung Putin und der staatlich gelenkten russischen Medien gegen den Westen in die Hände. Auch fürchte die Jury, dass die Entscheidung zu großer Enttäuschung und Entmutigung“ bei den beteiligten Jugendlichen führe.
Diese hätten sich sehr auf die Verleihfeier gefreut. Die russischen Mitbeteiligen, die trotz der Feindpropaganda aus Moskau an dem Projekt festhielten, hielten und nach Göttingen kommen wollten, hätten „eine Ermutigung“ gebraucht. Die Entscheidung der Stiftung sei ein „Signal von mangelnder Zivilcourage, beschämender Feigheit und vorauseilendem Gehorsam vor einer ganz offensichtlich imaginären Bedrohung.“
Video: Auch Tsitsi Dangarembga erhielt einen Friedenspreis
Friedenspreis in Göttingen: Bereits im Jahr 2019 kam es zu politischem Krach
Schon 2019 hatte es politischen Krach um die Vergabe des Friedenspreises an den Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ gegeben. Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hatte den Verein als antisemitisch kritisiert und das mit seiner Nähe zur Boykott-Kampagne BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) gegen Israel begründet. Wegen der Vorwürfe zogen die Uni, die Stadt und die Sparkasse in Göttingen ihre Unterstützung für die Preisverleihung zurück. Die Verleihfeier fand deshalb nicht wie sonst in der Uni-Aula, sondern – mit großem Publikumsinteresse – in einer privaten Galerie statt.
Die Universität Göttingen bestätigte am Dienstag, dass der Friedenspreis 2022 nicht am 10. September in Göttingen an das deutsch-russische Jugendprojekt verliehen wird. Stattdessen werde die Auszeichnung anlässlich eines Konzerts der Preisträger am 11. September in Berlin übergeben, sagte ein Sprecher der Hochschule. „Aufgrund der aktuellen Entwicklung wird die Feier für die deutschen und russischen Preisträgern zu einem späteren Zeitpunkt in Göttingen nachgeholt.“ Nähere Gründe für die Entscheidung wurden nicht mitgeteilt. Die Göttinger Universität übernimmt die Öffentlichkeitsarbeit für die Stiftung Dr. Roland Röhl, die den Göttinger Friedenspreis seit 1989 vergibt. (Reimar Paul)