Die Revision der Staatsanwaltschaft Göttingen zielt darauf ab, eine höhere Strafe zu erreichen. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer gefordert, den 58-jährigen leitenden Professor der Universität Göttingen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung zu verurteilen.
Der Professor muss sich wegen zahlreicher körperlicher Übergriffe auf zwei Doktorandinnen und eine Labormitarbeiterin vor dem Landgericht Göttingen verantworten.
Das Gericht war im Wesentlichen der Staatsanwaltschaft gefolgt – nur beim Strafmaß nicht: Die Kammer verurteilte den Angeklagten zu einer deutlich niedrigen Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten auf Bewährung.
Inzwischen hat sich auch die Universität Göttingen zu dem Urteil geäußert. Das Urteil bestätige die Universität in ihrem Ziel, den Hochschullehrer auch zukünftig keine Dienstgeschäfte mehr wahrnehmen zu lassen, heißt es in einer Stellungnahme. 2018 reichte sie eine Disziplinarklage ein. Ziel ist die Entfernung aus dem Amt.
Erstmeldung vom 30.03.2022: Göttingen – Das Landgericht Göttingen hat am Mittwoch (30.03.2022) einen 58-jährigen leitenden Professor der Universität Göttingen wegen zahlreicher körperlicher Übergriffe auf zwei Doktorandinnen und eine Labormitarbeiterin zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten auf Bewährung verurteilt.
Die Kammer befand den Wissenschaftler in vier Fällen der gefährlichen Körperverletzung im Amt in Tateinheit mit Nötigung und Freiheitsberaubung für schuldig. In acht weiteren Fällen habe er sich der Körperverletzung im Amt schuldig gemacht, davon viermal in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Nötigung, zweimal in Tateinheit mit Freiheitsberaubung.
Einen weiteren Fall werteten die Richter als fahrlässige Körperverletzung im Amt. Als Bewährungsauflage soll der Angeklagte zur Schadenswiedergutmachung Geldbeträge zwischen 300 und 2500 Euro an die betroffenen Frauen zahlen, außerdem 2000 Euro an den Förderverein Frauenhaus, so die Kammer in ihrem Urteil.
Das Gericht blieb mit seinem Urteil weit unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten gefordert hatte. Der Vorsitzende Richter Tobias Jakubetz begründete dies damit, dass eine höhere Strafe erhebliche beamtenrechtliche Konsequenzen hätte. „Ob das die Folge sein muss, hat uns nicht eingeleuchtet“, sagte Jakubetz.
Ein Vertreter der Nebenklage hatte auf eine noch höhere Strafe von mehr als zwei Jahren plädiert. Eine solche Strafe könnte nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden. Die Verteidigung beantragte dagegen eine Geldstrafe, weil sich der Angeklagte lediglich in drei Fällen der Körperverletzung strafbar gemacht habe.
Nach Ansicht des Gerichts hat der Angeklagte dagegen deutlich mehr und auch deutlich schwerwiegendere Taten begangen. In allen Fällen sei es um Ausübung von Macht gegangen, und dies sei eindeutig auch in sexualisierter Form geschehen, sagte der Vorsitzende Richter. Die Kammer halte die Angaben der betroffenen Frauen für glaubhaft: „Das war ein ganz schlüssiges Bild.“
Der Ausgang des Prozesses ist auch für das seit Ende 2017 anhängige Disziplinarverfahren von Bedeutung: Eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr hätte automatisch die Entfernung des Hochschullehrers aus dem Beamtenverhältnis zur Folge. Die Universität Göttingen wollte sich auf Nachfrage nicht zu dem Urteil äußern. „Gerichtsurteile kommentieren wir genauso wenig wie laufende Verfahren“, sagte ein Sprecher.
Das Landgericht Göttingen sprach den Hochschullehrer unter anderem wegen Körperverletzung im Amt, Freiheitsberaubung und Nötigung an drei Frauen für schuldig.
Beim ersten Vorfall im Juli 2014 habe sich der Professor darüber wütend gezeigt, dass eine Doktorandin aus Asien vergessen hatte, sich für ein Seminar anzumelden. Ob diese Wut real oder nur geschauspielert gewesen sei, sei unklar, sagte der Richter. Auf jeden Fall habe der Angeklagte dies zum Vorwand genommen, um die Doktorandin zu bedrängen.
Er habe die Tür zu seinem Büro abgeschlossen, den Schlüssel in die Hosentasche gesteckt, einen Bambusstock hervorgeholt und gesagt, dass er auf ihr unbekleidetes Gesäß schlagen müsse, weil er die Zusammenarbeit sonst nicht fortsetzen könne.
Als die Doktorandin dies entsetzt ablehnte, habe er weiter insistiert und gedroht, bis sie sich schließlich unter diesem Druck und aufgrund ihrer beruflichen und finanziellen Abhängigkeit darauf eingelassen habe, dass er sie 15-mal mit dem Stock auf das bekleidete Gesäß schlug. Später habe es noch mehrere weitere Vorfälle dieser Art gegeben.
Dabei habe immer die Drohung im Raum gestanden, nicht weiter mit der Doktorandin zusammenzuarbeiten. Der Professor habe ihr später auch mit der Hand auf das nackte Gesäß geschlagen. Diese Körperstelle habe auch sexuelle Bedeutung, betonte der Richter. Der Angeklagte selbst hatte jegliche sexuelle Motivation bestritten.
In einem anderen Fall hatte der Professor einer langjährigen Institutsmitarbeiterin gedroht, dass er sie über‘s Knie legen müsse, weil diese ihren Dienstschlüssel nicht auffinden konnte. Später erklärte er ihr, dass er die Schlüssel gefunden habe, angeblich hatte er diese einem fremden Mann entrissen.
Da ihre Nachlässigkeit trotzdem nicht folgenlos bleiben dürfe, sollte sie um 18 Uhr – wenn sonst niemand mehr im Institut war – in sein Büro kommen. Er habe die Tür abgeschlossen und erneut erklärt, dass er sie übers Knie legen müsse. Irgendwann habe die Angestellte flapsig gesagt: „Ja, dann machen Sie‘s doch.“
Auch wenn sie dies tatsächlich nicht gewollt habe, sei nicht auszuschließen, dass der Angeklagte dies als Einverständnis gewertet habe, sagte der Richter. Der Angeklagte habe ihr dann mehrfach mit der flachen Hand auf das Gesäß geschlagen.
Bei einem weiteren Vorfall hat der Angeklagte nach Überzeugung des Gerichts einer anderen Doktorandin, die kurz zuvor Mutter geworden war und zu diesem Zeitpunkt stillte, unvermittelt bis zu sechsmal auf die bekleidete Brust geschlagen.
Das Gericht wertete zugunsten des Angeklagten, dass er nicht vorbestraft sei und die Taten in Teilen eingeräumt habe. Zudem sei er einem hohen medialen Interesse ausgesetzt. Zu seinen Lasten schlage die Vielzahl der Taten zu Buche, bei denen zudem mehrere Tatbestände erfüllt waren. Auch die Auswirkungen seien gravierend, zwei Frauen hätten sich in therapeutische Behandlung begeben müssen. (Heidi Niemann)
Anfang März 2022 hatte der angeklagte Göttinger Professor die Vorfälle vor Gericht relativiert. So wollte er zum Beispiel laut Zeugenaussage Muttermilch von einer Doktorandin trinken.