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Stammzellenspende: Frankershäuser Lorenz Schöggl will das Leben eines Fremden retten

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Von: Theresa Lippe

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Auch der Blutdruck muss stimmen: Lorenz Schöggl (23) spendet heute Stammzellen in der Uniklinik Göttingen. Hier ist er bei der Voruntersuchtung mit Frank Tucholski, Arzt der Abteilung Transfusionsmedizin, zu sehen.
Auch der Blutdruck muss stimmen: Lorenz Schöggl (23) spendet heute Stammzellen in der Uniklinik Göttingen. Hier ist er bei der Voruntersuchtung mit Frank Tucholski, Arzt der Abteilung Transfusionsmedizin, zu sehen. © Lorenz Schöggl

Erkranken Menschen an Blutkrebs, ist für manche eine Stammzellentransplantation die letzte Überlebenschance. Der Frankershäuser Lorenz Schöggl spendet dafür nun seine Stammzellen.

Frankershausen – Wenn alles gut läuft, wird Lorenz Schöggl aus Frankershausen einem Fremden das Leben retten. Der 23-Jährige ist registrierter Stammzellenspender und Anfang September kam ein Anruf, mit dem er bei der Registrierung 2018 eigentlich nie gerechnet hatte. Heute (9. Januar) wird er in Göttingen die hoffentlich lebensrettende Spende für einen an Blutkrebs erkrankten Menschen abgeben.

„Ich habe mich vor über vier Jahren bei einem Aktionstag in die Knochenmark- und Stammzellspenderdatei Göttingen (KMSG) aufnehmen lassen“, berichtet Schöggl. Die Wahrscheinlichkeit, als passender Stammzellenspender infrage zu kommen, sei gering, weiß er.

Der erste Anruf

„Als der erste Anruf der KMSG im September kam, wurde mir gesagt, es gebe eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ich als Spender infrage komme“, berichtet der 23-Jährige, der aktuell Mathematik und Informatik an der Friedrich-Wilhelm-Schule in Eschwege unterrichtet. „Ich habe direkt zugesagt.“ Denn braucht ein Mensch eine Stammzellenspende, ist dies seine letzte Hoffnung aufs Überleben.

Es folgten Untersuchungen und eine Bestätigungstypisierung, außerdem musste Schöggl einen Gesundheitsfragebogen ausfüllen. „Ich musste zur Blutabnahme zu meinem Hausarzt.“ Ein Teil der Blutproben kam zum Ausschluss bestimmter Infektionserkrankungen nach Göttingen, im auswärtigen Transplantationszentrum werden dann die Gewebetypisierungsmerkmale untersucht.

Im Oktober hatte der Frankershäuser Post im Briefkasten: „Ich wurde als Spender reserviert. Meine Merkmale passen zu 100 Prozent für den Empfänger, sogar meine Blutgruppe ist dieselbe wie seine.“ Doch das bedeutete noch nicht, dass Schöggl tatsächlich eine Stammzellenspende abgeben kann: „Am 23. November erhielt ich einen weiteren Anruf, bei dem offiziell meine Spende angefragt wurde. Ich sagte erneut zu und dann startete der Prozess.“ Bei zahlreichen Untersuchungen wurde er in der Göttinger Universitätsklinik „auf Herz und Nieren geprüft“, um Risiken für beide Seiten auszuschließen.

Die Kritiker

Etwas nachdenklich erzählt er von Stimmen, die ihm Angst machen wollten: „Teilweise wird im Bereich der Homöopathie mit verdrehten Fakten und Pseudo-Wissenschaft versucht, Bedenken zu schüren“. Doch Lorenz Schöggl hat viel Statistik und Mathematik im Studium behandelt, arbeitet nebenbei als freier Journalist – er weiß mit Fakten, wissenschaftlichen Daten und Falschinformationen umzugehen.

„Es gibt eine Meta-Studie vom Bundestag, aus der Skeptiker einen einzigen Satz aus dem Zusammenhang reißen, neu auslegen und daraus falsche Schlüsse ziehen“, so der 23-Jährige. Davon unbeeindruckt informierte er sich bei seiner zuständigen Ärztin. Schöggl: „Natürlich war ich nach dem ersten Anruf etwas unruhig, schließlich hat man nicht oft die Möglichkeit, einem Menschen das Leben zu retten. Auch als mir die eventuellen Nebenwirkungen des Medikaments und der Entnahme noch mal in gänzlicher Breite vorgetragen wurden, fing der Kopf kurz an zu rattern“.

Ihm sei jedoch im Detail alles gut und verständlich erklärt worden, sodass er keine Angst vor der Spende habe oder Sorge vor vermeintlichen gesundheitlichen Folgen: „Am Ende ist das ein obligatorischer Beipackzettel“. Der 23-Jährige hofft, irgendwann selbst einen Aktionstag im Werra-Meißner-Kreis zu organisieren, bei dem sich Menschen als Stammzellenspender typisieren lassen können. „Die Leute sollten sich wirklich gut überlegen, was dagegen spricht, sich als Spender zu registrieren, schließlich kann man so Leben retten“, sagt Schöggl. Darüber nachgedacht, die Spendenanfrage abzulehnen – denn auch das wäre sein gutes Recht gewesen – habe der 23-Jährige übrigens nie.

Der Empfänger

Wer seine Stammzellenspende bekommt, weiß der 23-Jährige nicht. Schöggl: „Stammzellenspenden sind anonym, damit der Wert des Lebens des Empfängers nicht bewertet wird, beispielsweise anhand von Alter oder Nationalität.“ Das findet er gut. „Ich habe von der KMSG die Info bekommen, dass es sich bei dem Empfänger um einen Mann aus dem EU-Ausland handelt, mehr weiß ich nicht“, sagt Schöggl. Nach zwei Jahren könne er Informationen über den Empfänger in Erfahrung bringen – wenn sowohl er als auch der Empfänger das möchten.

Das ist die KMSG

KMSG steht für Knochenmark- und Stammzellspenderdatei Göttingen. Sie ist die Zentralabteilung Transfusionsmedizin der Universitätsmedizin Göttingen. Neben der Patientenbehandlung und der Arzneimittelherstellung zählen auch die Rekrutierung und Betreuung von Blutspendern und potenziellen Stammzellspendern zu ihren Aufgaben.

Expertin erklärt die Stammzellenspende

Um an die überlebenswichtigen Stammzellen zu kommen, gibt es zwei Möglichkeiten, erklärt Dr. Beatrix Pollok-Kopp, Ärztliche Leiterin der Knochenmark- und Stammzellspenderdatei Göttingen (KMSG). Sie ist die Ärztin, die den Frankershäuser Spender Lorenz Schöggl (23) betreut, auch bei seiner Spende am 9. Januar wird sie mit dabei sein.

Knochenmarkspende

Unter Vollnarkose wird Knochenmark aus dem Beckenkamm des Spenders entnommen.
„Diese Methode wird nur selten genutzt. Viele Menschen denken, dass dabei ein Eingriff am Rückenmark durchgeführt wird, sie haben Angst vor etwaigen Lähmungen nach dem Eingriff.“ Unwissenheit führe zu Unsicherheit, weshalb die Expertin klarstellt: „Wir entnehmen Knochenmark aus dem Beckenkamm, das ist weit weg vom Rückenmark. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“

Zellen aus dem Blut

Die sogenannte periphere Stammzellenspende wird auch am Montag bei dem Frankershäuser Lorenz Schöggl durchgeführt. Etwa 80 Prozent aller Stammzellenspenden werden so gewonnen, weiß die Expertin. „Der Spender spritzt sich vier Tage, zwei Mal täglich, ein körpereigenes Wachstumshormon (G-CSF) in die Bauchdecke, welches das Ausschwemmen der weißen Blutkörperchen und der Stammzellen aus dem Knochenmark ins periphere Blut bewirkt“, erklärt die Ärztin. Dr. Pollok-Kopp: „Gezielt ausschließlich Stammzellen zu vermehren, ist nicht möglich.“

Die Stammzellen werden mithilfe von sogenannten Zellseparatoren ohne Narkose aus dem Blut gesammelt. Das Verfahren nennt sich Stammzellapherese und dauert etwa vier bis fünf Stunden. „Das Blut von Herrn Schöggl wird dabei in einem ständigen Kreislauf aus einer Armvene durch den Separator geleitet und mittels Zentrifugation in die einzelnen Bestandteile aufgetrennt“, erklärt die Expertin.

Dafür werde lediglich in jede Armbeuge ein Zugang (eine Braunüle) gelegt. Die Entnahme erfolgt ambulant und ohne Narkose. „Bei diesem Vorgang werden die benötigten Stammzellen in einem Beutel abgesammelt, die restlichen Zellen werden Herrn Schöggl über die adere Armvene wieder in den Blutkreislauf zurückgeführt“, erläutert Dr. Pollok-Kopp.

Als Nebenwirkung der Behandlung können laut der Ärztin grippeähnliche Beschwerden (Kopf- und Gliederschmerzen) auftreten, die sich aber mit regulären Schmerzmitteln gut behandeln ließen und unmittelbar nach der Stammzellentnahme auch wieder abklingen. Dr. Pollok-Kopp: „Langzeiteffekte sind seit dem Beginn dieses Verfahrens vor über 30 Jahren bisher nicht bekannt geworden.“

Typisierung ist wichtig

„Wer sich typisieren lässt und schlussendlich eine Stammzellenspende abgibt, rettet mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Leben“, sagt die Ärztin. Rund 25 Prozent aller Menschen, die an Blutkrebs erkrankt sind und eine Stammzellenspende brauchen, bekommen die rein statistisch von einem Geschwisterspender.

„In der Realität sind es allerdings eher weniger. Deshalb ist es so wichtig, dass sich viele Menschen typisieren lassen“. Aufgrund der unterschiedlichen Zellmerkmale sind beispielsweise Eltern kein optimales Match für die Erkrankten. Dr. Pollok-Kopp: „Natürlich ist niemand verpflichtet, eine Stammzellenspende zu leisten, wenn eine konkrete Anfrage kommt.“ Wer den Prozess starte, werde ausführlich aufgeklärt und kann in Ruhe eine Entscheidung treffen.

„Theoretisch ist eine Absage jederzeit möglich, ich persönlich weise aber immer darauf hin, dass es günstige und ungünstige Momente für eine Absage gibt. Irgendwann bekommt der Empfänger die Nachricht, dass ein passender Spender gefunden wurde“, sagt Dr. Beatrix Pollok-Kopp.

„Wenn ein Spender nach ausführlicher Aufklärung und Untersuchung zunächst schriftlich zugesagt hat und die Bereitschaft zur Spende nach Beginn der Behandlung des Patienten dann doch zurückzieht, gerät der Patient in eine lebensbedrohliche Situation. Das ist dann schwer zu vermitteln. Über diese Situation werden die Spender aber auch aufgeklärt.

Darum sollte man sich am besten zu einem früheren Zeitpunkt konkrete Gedanken machen, ob man zu einer Stammzellspende bereit ist, beispielsweise bei der Anfrage für eine Bestätigungstypisierung, die immer vor der Stammzellspende durchgeführt wird. Natürlich wird aber niemand zur Spende überredet oder genötigt“, betont sie.

„Wenn man selber oder enge Angehörige an Leukämie erkranken und als letzte Überlebenschance nur noch eine Stammzellentransplantation helfen könnte, würde man sich doch auch wünschen, dass es dann einen passenden Spender oder Spenderin gibt“, so die Expertin.

Weiter erklärt sie, dass für etwa zehn Prozent aller Betroffenen weltweit kein passender Spender gefunden wird. „Auch wenn leider nicht alle Patienten nach einer Stammzelltransplantation überleben, so bleibt den Angehörigen der Trost, dass wirklich alles Mögliche getan wurde, um das Leben des Betroffenen zu retten – und der Spender oder die Spenderin hat so oder so Großartiges geleistet“, sagt Dr. Beatrix Pollok-Kopp. >> So geht es Lorenz Schöggl nach der Stammzellenspende. (Theresa Lippe)

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