Der Traum vom Hören: Göttinger Forscher arbeiten an neuartiger Therapie-Methode

Göttinger Forscher arbeiten an einem neuartigen, revolutionären Hör-Implantat. So könnten sie Hörgeschädigten zukünftig den Traum vom Hören erfüllen.
Göttingen – Eine neuartige Therapie-Methode aus Niedersachsen könnte Hörgeschädigten zukünftig den Traum vom Hören erfüllen. Wann kommt das revolutionäre Göttinger Hör-Implantat zum Einsatz und gibt schwer Hörgeschädigten das natürliche Hören und das verständliche Sprechen zurück? Tobias Moser kennt diese Frage.
In seiner Antwort bittet der zur Spitze der weltbesten Hörforscher zählende Professor der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) am Institut für Auditorische Neurowissenschaften um Geduld: „Das wird noch einige Jahre dauern.“ Aber 2026 sollen erste Resultate klinischer Patientenstudien über seine Entwicklung, der opto-genetischen Methode samt optischem Cochlea-Implantats (CI), vorliegen.
Forscher der Universitätsmedizin Göttingen arbeiten an neuartiger Therapie für Hörgeschädigte
Es ist die beispielhafte Geschichte eines Top-Forschers mit einer Idee, seiner Hartnäckig- und Zielstrebigkeit. Sie steht aber auch für eine Entwicklung in der modernen Wissenschaft, wo bahnbrechende Ergebnisse fast nur noch in Kooperationen von Forschungseinrichtungen und -disziplinen möglich sind. Der weltweit gefragte Forscher Moser findet diese Möglichkeiten am Göttingen Campus.
So ist aus dem mehrfach mit Wissenschaftspreisen ausgezeichneten Individualisten Moser längst ein kräftiges Team, gebildet von Forschern aus UMG, Universität, Max-Planck-Instituten und Deutschen Primatenzentrum geworden – zudem kommt Hilfe von Außen, so von Forscherkollegen der Uni Freiburg, die ein optisches Mini-CI für Rattenohren bauten. Fazit: Das optische Cochlea Implantat (CI) kommt massiv voran.

Letztlich geht es darum, erblich bedingte Schwerhörigkeit zu mindern – den darunter physisch, psychisch und auch sozial leidenden Menschen eine neue Welt zu erschließen. Folglich sollen die bisher etwa eine Million Mal eingesetzten, aber störanfälligen elektrischen CI abgelöst werden – durch die optisch per Licht stimulierten.
Innovativer Therapie-Ansatz: Opto-genetische Methode kombiniert mit optischem Cochlea-Implantat
„Die bisherigen CI ermöglichen das Hören, die Qualität aber ist gering“, bilanziert Moser, dessen Team mit dem optischen CI bahnbrechende Fortschritte erreicht hat. Bei Wüstenrennmäusen funktioniert das nachweislich bereits: Taube Tiere konnten wieder hören. Der geniale Kniff: Zunächst werden mittels Gentherapie molekulare „Lichtschalter“ in die Hörnervenzellen eingebaut und per feinst gebündelter Lichtstrahlen zielsicher angesteuert – ohne große Streuverluste.
Das Licht des optischen Cochlea-Implantats bestätigt diese Lichtimpulse. Folge: Die Hörleistung – auch qualitativ – steigt dank der Optogenetik rapide. Es ist ein Verfahren, das übrigens in der Augenheilkunde zur Behandlung von erblich verursachter Blindheit bereits am Menschen klinisch erprobt wird.
Bevor die klinischen Studien zum Hören auch an schwerhörgeschädigten Menschen in Göttingen starten können, muss und wird es eine Versuchsreihe mit dafür gezüchteten Weißbüschelaffen am Deutschen Primatenzentrum geben. „Das geht leider nicht anders“, sagt Moser, der auf Versuche mit größeren Primaten bewusst verzichtet.
Göttingen: Forscher Tobias Moser und Marcus Jeschke entwickeln automatisiertes Hör-Trainingsprogramm
Forscherteams unter Leitung von Tobias Moser und Marcus Jeschke vom DPZ haben nun ein automatisiertes Hör-Trainingsprogramm entwickelt, an dem Weißbüschelaffen freiwillig und in gewohnter Umgebung teilnehmen können. Die Tiere absolvieren eine Reihe von Tests, in der sie verschieden Laute hören und sie dann durch Klicken auf einen Touchscreen den passenden, zuvor erlernten visuellen Reizen zuordnen.

So können die Forscher nachvollziehen, welche Laute die Tiere hören und unterscheiden können. Die Affen haben allerdings auch die Möglichkeit, sich dem Hörtest zu verweigern. Nicht möglich war das, als Nager und nicht-humane Primaten dabei halfen, dem Röntgenphysiker Prof. Tim Salditt, eine detaillierte Abbildung der Hörschnecken zu ermöglichen – über den Einsatz von Röntgentomographie und Fluoreszenzmikroskopie.
20 Millionen Euro Fördergeld: Neuartige Therapie-Methode ist ein aufwendiges, langfristiges Projekt
Das wiederum half bei Materialauswahl und Design des optischen CI. All das aber kostet viel Geld. Der Wissenschaftler Moser ist somit auch gezwungen, fortlaufend Fördergeld einzuwerben, das Preisgeld wissenschaftlicher Auszeichnungen hilft dabei ebenfalls. Seit dem Projektstart 2007 wurde das Vorhaben so mit 20 Millionen Euro öffentlicher Förderung unterstützt.
Bis zur Marktreife werden weitere Millionen nötig sein. Weitere Förderanträge laufen. Für die Unterstützung auch durch das Land ist Moser „sehr dankbar“. Für einen spezialisierten Forscher wie ihn sind Fundraising und Vermarktung eigentlich ein ungewohntes Feld. „Ich habe mittlerweile auch gelernt, von hinten zu denken“, sagt Moser.
„Wir müssen beachten und damit rechnen, was alles nötig ist, um das Produkt verkaufen zu können. „Ein Uni-Professor hat all das nie gelernt.“ Deshalb kümmert sich darum ein eigenes Start-Up-Unternehmen, die Göttinger OptoGenTech GmbH – damit in einigen Jahren der Traum vom genussvollen Hören von Rock und Klassik für derzeit fast taube Menschen in Erfüllung geht. (Thomas Kopietz)
Zur Person
Prof. Dr. Tobias Moser (53), geboren in Görlitz, studierte Medizin in Leipzig und Jena/Erfurt, war Postdoc beim Göttinger Nobelpreisträger Erwin Neher am MPI für biophysikalische Chemie, dort Nachwuchsgruppenleiter und in der HNO-Uni-Klinik tätig. Seit 2015 ist er Direktor des UMG-Instituts für Auditorische Neurowissenschaften und leitet den Exzellenzcluster der Uni. Er hat auch 2015 den Leibniz-Preis und 2017 den Ernst-Jung-Preis. Moser ist verheiratet, hat drei Kinder. Hobbys: Familie, Kunst und Sport (Laufen, Rad).
Der Ministerpräsident von Niedersachsen Stephan Weil (SPD) zeigte sich bei einem Besuch der Universitätsmedizin Göttingen im Sommer 2021 begeistert von den laufenden Forschungsprojekten. So wie das Projekt zur Entwicklung einer modernen Hand-Orthese aus dem 3-D-Drucker.