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Göttinger Menschenrechtler Tilman Zülch ist tot

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Tilman Zülch Menschenrechtler
Tilman Zülch Menschenrechtler © Martin Schutt

Er gründete die Gesellschaft für bedrohte Volker und war noch lange im Vorstand: Tilman Zülch ist im Alter von 83 Jahren gestorben.

Göttingen – Der Gründer und Vorstand der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Tilman Zülch, ist tot. Wie die Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Göttingen am Samstag mitteilte, verstarb er am Freitag im Alter von 83 Jahren.

„Tilman Zülch war ein Visionär der Menschenrechtsarbeit“, heißt es in einem Nachruf der GfBV. Sein Blick auf das Schicksal von ethnischen und religiösen Minderheiten sowie indigenen Völkern, sein selbstloses Engagement gegen Völkermord und Vertreibung stünden heute beispielhaft für internationale Menschenrechtsarbeit.

Zülch wurde 1939 in Deutsch-Liebau (Libinau) im Sudetenland geboren. Als Jugendlicher engagierte er sich in der Bündischen Jugend, als Politik- und Volkswirtschaftsstudent in Hamburg im Sozialdemokratischen Hochschulbund.

Zu jener Zeit tobte in Ostnigeria, das sich als Republik Biafra für unabhängig erklärt hatte, ein blutiger Bürgerkrieg. Hunderttausende Menschen starben durch Bomben, an Hunger und Krankheiten.

Weil Großbritannien das nigerianische Militär mit Waffen belieferte, besetzten Ende Juni 1968 Mitglieder des Komitees „Aktion Biafra Hilfe“ das britische Generalkonsulat in Hamburg. Einer der Aktivisten war Tilman Zülch.

Aus dem Biafra-Komitee wurde die Gesellschaft für bedrohte Völker

Er baut das Biafra-Komitee bis 1970 zur Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) aus: Einer Organisation mit dem Anspruch, weltweit Menschenrechte von ethnischen und religiösen Minderheitengruppen zu schützen und durchzusetzen. Unterstützt von einer Handvoll ehrenamtlicher Helfer, blieb Zülch zehn Jahre lang der einzige Vollzeit-Aktivist.

Mit Zülch an der Spitze und teilweise spektakulären Aktionen schafften es die Menschenrechtler häufig in die Schlagzeilen. 1988 deckten sie die Mitverantwortung deutscher Firmen beim Giftgaseinsatz gegen Kurden im Irak auf. 1992, im sogenannten Kolumbus-Jahr, überqueren zwei Aktivisten den Atlantik mit einem Bambusfloß, um den südamerikanischen Indigenen eine Versöhnungsbotschaft zu überbringen. Unter dem Motto „Auf keinem Auge blind“ setzt sich die Menschenrechtsorganisation für Völkermordopfer im Sudan und muslimische Uiguren in China, für bedrängte Christen in Pakistan und für Kurden in der Türkei ein.

Für die Organisation gab es nicht nur Lob

Doch es gab auch Kritik. Als die GfbV Indios aus Nicaragua nach Europa einlud, die gemeinsam mit „Contras“ die sandinistische Befreiungsfront FSLN bekämpften, protestierten Dritte-Welt-Gruppen. Im Jugoslawienkrieg bemängelten Friedensinitiativen ein einseitiges und polarisierendes Engagement der Gesellschaft für bedrohte Völker.

Frühzeitig habe sie die Serben als Alleinschuldige gebrandmarkt und Militärschläge der Nato zugunsten der bosnischen Muslime und Kosovo-Albaner gefordert.

Auch Zülch war nicht unumstritten. Intern beklagten Mitarbeiter und ehrenamtliche Vorstandsmitglieder gelegentlich ein autoritäres Regiment des Generalsekretärs. 2012 gipfelt ein Streit über angeblich nicht belegte Zuweisungen und zu Unrecht bezogene Gehälter in Strafanzeigen und dem Ausschluss von zwei Vorständen. Im Frühjahr 2017 gab Zülch die Leitung der GfbV an den Afrika- und Asienexperten Ulrich Delius, ab.

Für sein Engagement erhielt Zülch 16 Preise und Auszeichnungen, darunter den Göttinger Friedenspreis, den Europäischen Bürgerrechtspreis der Sinti und Roma sowie das Bundesverdienstkreuz. (epd)

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