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Golineh Atai und das perfide System im Iran

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Von: Amir Selim

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Sympatische Frau mit ernstem Thema: Golineh Atai (links) las aus ihrem Buch und sprach über die politische Situation im Iran. Neben ihr Germanistin Anna-Lena Heckel von der Uni Göttingen, die die Veranstaltung moderierte.
Sympathische Frau mit ernstem Thema: Golineh Atai (links) las aus ihrem Buch und sprach über die politische Situation im Iran. Neben ihr Germanistin Anna-Lena Heckel von der Uni Göttingen, die die Veranstaltung moderierte. © Amir Selim

Die ZDF-Journalistin und Buchautorin Golineh Atai sorgt für ein prallvolles Literaturhaus in Göttingen.

Göttingen – „Ist die Frischluftzufuhr gewährleistet?“, fragt Golineh Atai ins ausverkaufte Göttinger Literaturhaus hinein. Schon früh sorgte die Autorin für Lacher. Es sollte einer der wenigen an diesem Donnerstagabend werden, an dem die Journalistin ihr Buch „Iran – Die Freiheit ist weiblich“ vorstellte. Denn spaßig sind die Ereignisse im Iran nicht.

Umso erfreuter zeigt sich die Leiterin des ZDF-Studios in Kairo über den großen Andrang: „Es ist mutig, dass Sie gekommen sind und sich mit dem Iran befassen“, sagte sie dem Publikum.

Das Atai-Buch porträtiert Iranerinnen

Ihr Buch von 2021, in dem sie mit Iranerinnen spricht und diese porträtiert, könnte kaum aktueller sein: Seit der Tötung von Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 nehmen die Proteste im Land nicht ab – und das, obwohl die islamistische Führung der Mullahs mit Gewalt nicht geizt.

Das ist eine Konstante der nun seit 44 Jahre währenden Herrschaft. Genauso auch der Auslöser der Demonstrationen: Amini habe ihr Kopftuch nicht richtig getragen. „Über die Frauen kontrollieren sie die Gesellschaft“, sagt Atai. Das Regime sehe die Frauen als Bedrohung. Deshalb sei es wichtig, sich mit ihnen zu befassen.

Viele Menschen im Iran müssen mit Repressalien rechnen

Das perfide System treffe aber nicht nur die diese: Wer Frauen ohne Kopftuch unterstützt, seien es Verkäufer oder Taxifahrer, der muss mit Repressalien rechnen. „So werden die Leute gegeneinander aufgebracht“, sagt Atai.

Der Kopftuchzwang wurde 1980 eingeführt. Für Atai, die 1974 in Teheran geboren wurde, ging es samt Familie zwei Monate später nach Deutschland. Ihre persönliche Geschichte sei sicherlich auch Teil ihrer Motivation über das Land zu berichtet, sagt sie. Dabei will sie eines nicht machen: „Ich will nicht die Andersartigkeit der Menschen betonen, sondern das was verbindet.“ Der deutsche Leser soll die Iraner besser verstehen und sich gerade mit den Frauen identifizieren.

Wenig Berichterstattung in Deutschland über die iranische Gesellschaft

Einige von Ihnen, darunter auch viele Mütter von politischen Gefangenen, begegneten ihr bei den Gesprächen für das Buch mit Skepsis und Misstrauen. Warum? Weil ihre Geschichten in der westlichen Welt kaum vorkommen. Es gebe wenig Berichterstattung über die iranische Gesellschaft.

Stattdessen fokussiere sich viel auf den Staat und die geistliche Führung. Das besser zu machen und zu erklären, was wirklich in dem Land vorgeht – auch das sei eine große Motivation. „Das geht in einem Buch leichter als in einem sechsminütigen Fernsehbeitrag“, sagt die 48-Jährige. Deutlich kritisiert sie deshalb westliche Medien. „Viele Experten waren erschreckend uniform.“ Sie selbst kenne den Kampf für wichtige Themen aus ihren Berufsalltag im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Politik: Atai sieht Parallelen im Umgang mit Putin-Russland und dem Iran

Und auch die Politik bekommt ihr Fett weg. Denn als ehemalige ARD-Korrespondentin in Moskau sehe sie so einige Parallelen zwischen den Umgang mit Putin und Russland und dem Iran: „Wir haben Putin rationalisiert, anstatt die absolut böse Essenz zu erkennen.“ Sie erlebe gerade zu ein Déjà-vu in Bezug auf den Iran.

Dabei gebe es genug Anhaltspunkte, die das in dem Land belegen: zahlreiche Hinrichtungen, auch von Kindern, Giftgas-Anschläge auf Mädchenschulen und die Destabilisierung im Irak, in Syrien und dem Libanon. Wenn Atai über diese Gräueltaten spricht, ist ihr anzumerken, wie nahe ihr die Thematik geht und wie wütend es sie macht, dass die Zivilgesellschaft nicht noch mehr Unterstützung erfährt.

Das Regime im Iran und Falschinformationen

Ihr sei jedoch bewusst, dass es nicht leicht sei Informationen aus dem Iran zu verifizieren, wenn man kein Persisch beherrscht. Ihr selbst sei kürzlich ein Fehler unterlaufen: Sie berichtete, dass dem Blogger Hossein Ronaghi beide Beine im Gefängnis gebrochen worden. Richtig war ein Beinbruch. Woher die übertriebene Meldung kommt? Vermutlich vom Regime, das so versucht, seine Gegner zu verängstigen.

Soziale Medien und bessere Berichterstattung machen Hoffnung

Ein bisschen Positives sieht Atai aber trotzdem. Im Gegensatz zur Protestbewegung 2009, sei diesmal besser hingeschaut worden, die Berichterstattung besser gewesen. Nicht zuletzt dank der sozialen Medien. „Das macht mich hoffnungsvoll. (Amir Selim)

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