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Sanierung: Hochdruck-Dusche für das weltberühmte Göttinger Gänseliesel

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Von: Thomas Kopietz, Melanie Zimmermann, Bernd Schlegel

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Die Gischt des Wassers aus dem Hochdruckreiniger hüllt das Gänseliesel ein. Der Brunnen samt Figur vor dem Alten Rathaus in Göttingen wird saniert. Bis Ostern soll die meist geküsste Frau Deutschlands wieder kussbereit sein.
Die Gischt des Wassers aus dem Hochdruckreiniger hüllt das Gänseliesel ein. Der Brunnen samt Figur vor dem Alten Rathaus in Göttingen wird saniert. Bis Ostern soll die meist geküsste Frau Deutschlands adrett sein. © Swen Pförtner/dpa

Sie ist die meistgeküsste Frau Deutschlands, auch und dafür weltbekannt. Jetzt wird das Göttinger Gänseliesel aufgehübscht.

Göttingen - Und sie ist natürlich Göttingens Symbolfigur: das Gänseliesel. Die zarte Figur steht auf einem Sockel inmitten eines Brunnens. Beide werden nun – auch mit der brachialen Kraft des Wasserstrahls aus dem Hochdruckreiniger – herausgeputzt. Ostern soll das Gänseliesel wieder in ganzer Schönheit dastehen - bereit zum Geküsstwerden.

Denn für jede Göttinger Doktorandin und jeden Doktorand, die gerade frisch ihren Doktorhut bekommen haben, ist es ein Muss vom Brunnenrand auf den Sockel zu steigen und dem „Liesel“ einen Kuss aufzudrücken. Ein Kuss, der auch den letzten Rest Anspannung nach überstandener Promotion abfallen lässt. Danach gibt es den obligatorischen Sekt.

Göttinger Gänseliesel: Von Feierwütigen malträtiert - Lagerfeuer in Brunnenschale

Doch nicht immer geht alles so stilecht und gesittet um das Gänseliesel ab. Feierwütige und Folgen von Vandalismus haben dem „Liesel“ und ihrem Brunnen zugesetzt. Das Wahrzeichen muss generalsaniert werden. Am Montag (6. März) rückten die Arbeiter an – zunächst mit der Hochdruckpistole, um die äußeren Zeichen der Beanspruchung abzuwaschen.

Das Göttinger Gänseliesel auf dem Brunnen am Alten Rathaus.
Göttingens Wahrzeichen: Wohl kaum eine Frau bekommt derart regelmäßig Blumen überreicht wie sie, das Gänseliesel. © Melanie Zimmermann

Diese sind ein schiefer Baldachin und abgetretene Wasserspeier, aber auch Farbschmierereien oder eine zerstörte Brunnenfolie aufgrund eines Lagerfeuers in der Brunnenschale. Der Baldachin wird voraussichtlich am Dienstag, 14. März, abgebaut.

Das Gänseliesel wird während der mehrwöchigen Arbeiten derweil trotzig auf ihrem Sockel ausharren. Das heißt: Frisch-Promovierte können die Tradition pflegen und das Liesel küssen – quasi während sie aufgehübscht wird.

Sanierung eines Göttinger Wahrzeichens: Letzte Generalüberholung des Gänseliesel war vor 22 Jahren

Das wurde übrigens höchste Zeit. Denn die letzte Generalsanierung ist schon einige Jahre her. Sie erfolgte im Juni 2001 zum einhundertsten „Geburtstag“ der Aufstellung. Ein Teil der Sanierung konnte damals durch eine großzügige Bürgerspende finanziert werden. Danach folgten viele Göttinger diesem Beispiel und spendeten für die Unterhaltung der Göttinger Brunnen, Denkmäler und Kunstwerke.

Obwohl manche Anfang des 20. Jahrhunderts vor Aufstellung der Brunnenfigur meinten, dass die zarte, anmutige Gestalt des Gänseliesel zu winzig - im Vergleich zu dem massigen Bau des Alten Rathauses - sei, so tauchte 1901 der Gedanke auf, den Brunnen an die Nordostecke des Marktplatzes zu platzieren.

Zahlreiche Menschen erklimmen den Gänseliesel-Brunnen in der Göttinger Innenstadt nach dem WM-Finale 2014.
Nicht nur Doktoranden erklimmen regelmäßig das Gänseliesel: Nach dem Sieg der Deutschen Fußballnationalmannschaft im WM-Finale 2014 gegen Argentinien verschwand das Liesel und sein Brunnen unter den Menschenmassen. © Melanie Zimmermann

Inzwischen hat der Gänseliesel-Brunnen seinen festen Platz an der Südostecke des Marktplatzes vor dem Alten Rathaus gefunden und ist zu „dem“ Treffpunkt in Göttingen avanciert.

Das Göttinger Gänseliesel: Anstoß kam 1894 von Alt-Oberbürgermeister Georg Merkel

Den ersten Anstoß, den Rathaus-Vorplatz durch einen neuen Brunnen zu schmücken, gab 1894 Alt-Oberbürgermeister Georg Merkel. Aber erst unter Bürgermeister Georg Calsow nahm die Brunnenfrage durch einen Wettbewerb reale Formen an. 1898 trat dann ein Preisgericht zusammen und entschied sich unter den 46 eingereichten Entwürfen für drei Modelle.

Nach lebhafter Diskussion in der Bevölkerung entschieden die städtischen Kollegien 1900 dafür, das „Gänsemädchen“ zu wählen und dem Architekten Friedrich Heinrich Stöckhardt aus Berlin mit dem Brunnenbau zu beauftragen. Im Juni 1901 wurde das Gänseliesel durch den Bildhauer Paul Nisse aus Charlottenburg geschaffen, montiert – und ganz ohne Feierlichkeiten aufgestellt.

Göttinger Wahrzeichen: Gänsemädchen wird schnell zu einer studentischen Tradition

Die Figur fand allgemein und vornehmlich bei den Bürgerinnen und Bürgern in der „Bären-Gemeinde“ großen Anklang, die einen Betrag von 732 Mark zur Deckung der noch zu begleichenden Rechnungen spendeten.

Die Göttinger Studenten zogen das Gänseliesel in kurzer Zeit in ihr Brauchtum ein: Ursprünglich wurde es zum Brauch unter den Neuimmatrikulierten der Universität Göttingen, das Gänseliesel zu küssen.

Der „Göttinger Kussprozess“: Ein Student fordert vom Gericht die „Kussfreiheit“ für das Gänseliesel

Da nach dem Ersten Weltkrieg die Zahl der Studenten stark zunahm und sich die Polizei überfordert fühlte, die Ordnung auf dem Marktplatz zu erhalten, erließ die Stadt am 31. März 1926 eine Verordnung, die das Klettern auf den Marktbrunnen – und damit das Küssen des Gänseliesels – unter Strafe stellte.

Die Studenten wollten sich ihren Brauch jedoch nicht nehmen lassen und so kam es zum „Göttinger Kussprozess“ zwischen der Stadt Göttingen und einem Jurastudenten aus der Familie Graf Henckel von Donnersmarck. Der Student wurde in flagranti dabei ertappt, wie er über den Brunnenrand zur Bronzefigur aufstieg - er sollte Strafe zahlen.

Weil er sich weigerte, kam es zum Prozess. In seinem Plädoyer argumentierte der Student: „Die gesamte Alma mater Georgia Augusta steht einmütig auf dem Standpunkt der Volksmeinung, dass Küssen keine Sünd‘ ist.“

Er forderte daher die „Kussfreiheit!“. Mit Erfolg: Die Geldstrafe von zehn Reichsmark musste er zwar zahlen. Geküsst wird das Gänseliesel bekanntermaßen aber noch immer.

Befürchtung im Krieg, Gänseliesel-Figur könnte eingeschmolzen werden

Die Befürchtungen, dass das Gänseliesel während des Zweiten Weltkrieges eingeschmolzen werden könnte, weil die Laube aus Eisen und die Figur aus Bronze besteht, erwiesen sich als unbegründet. Denn es gehörte und gehört auch heute zu den kunsthistorisch wertvollen Denkmälern in Deutschland.

Größere Restaurationsarbeiten waren auch 1966 nötig. Das Gänseliesel konnte damals dank erheblicher Spenden von verschiedenen Korporationen erhalten werden, wurde allerdings – im Gegensatz zur jetzigen Verschönerung – vermisst, blieb viele Monate verschwunden und wurde erst am 11. Juni 1968 wieder aufgestellt.

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