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So bereitet Ottobock-Chef Näder die Firma auf die Zukunft vor

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Von: Thomas Kopietz

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Ottobock
Ottobock – Familienunternehmen und Global Player: Hans-Georg Näder (links) und sein 2009 verstorbener Vater Dr. Max Näder. Foto: obs/Ottobbock Health Care/nh

Vom Start-Up zum Unternehmen von Weltrang: Der Orthopädietechnik-Hersteller Ottobock wird 100 Jahre alt. Das Unternehmen will an die Börse - und setzt auf intelligente Prothesen.

Vor der Firmenzentrale von Ottobock steht ein schnittiges Motorboot. Die Design-Ikone des Kultbootsherstellers Riva hat Firmenchef Hans-Georg Näder dort aufstellen lassen,“ weil er in Berlin damit nicht schnell fahren kann“. Nein, ernsthaft: Weil das Power-Boot für das Tempo steht, das die digitale Welt auch für das 100 Jahre alte Unternehmen vorgibt und das Ottobock mitgehen will – ja muss.

„Wir befinden uns mitten in einem Wirbelsturm – wir erleben eine gewaltige Transformationsphase“, umreißt Näder die Situation und enorme Geschwindigkeit, mit der sich die Welt verändert. Dieser Veränderung mit Algorithmen und künstlicher Intelligenz wird sich Ottobock stellen. Das demonstriert auch der Show-Room, wo – neben altbewährten analogen Orthesen und Rollstühlen – chipgestützte, intelligente High-Tech-Prothesen zeigen, wo es langgeht.

Digitale Zukunft

Näder, der analoge Genussmensch, der die Kunstwerke des Göttinger Buchmachers Gerhard Steidl liebt, öffnet sich der virtuellen Zukunft: „In den USA wird längst darüber diskutiert, wie sich der Mensch mit Technologie aufpimpen kann.“ Diese Art des Fortschritts wird sich auch auf Feldern einstellen, die Ottobock beackert: beim Greifen und Laufen. Der Unternehmens-Dino Ottobock ist laut „HGN“, wie der Chef von vielen genannt wird, gewappnet. Man habe viele Patente, die man nutzen könne, auch in strategischen Allianzen. „Es ist wie bei einem Bauern, der weiß, dass der nächste Sturm kommt und was er dann tun muss.“

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Forschung extrem wichtig

So setzt Ottobock extrem auf die Forschung – was nicht neu ist – aber heute viel weiter geht: Prothesen empfangen die Signale der Nerven, setzen sie in Bewegungen um. Aufgesetzte Exo-Skelette stützen den Bewegungsapparat, so von Arbeitern an den VW-Bändern: Das schont und schützt, lässt sie länger einsatzbereit werden.

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Ottobock – Familienunternehmen und Global Player: Hans-Georg Näder (links) und sein 2009 verstorbener Vater Dr. Max Näder. Foto: obs/Ottobbock Health Care/nh

Für manch altgedienten Ottobock-Mitarbeiter aus dem konservativen Eichsfeld geht und ging all das – wie der vollzogene Sprung vom Duderstädter Handwerksbetrieb zum Global-Player – zu schnell. Auch diese Kritik bekommt der Chef und (Honorar-)Professor in den Kneipen vor Ort direkt zum Bier serviert. Näder, der bodenständige Weltbürger mit Hauptwohnsitz Berlin, schätzt diesen direkten Kontakt in seiner Heimat. Für ihn ist es aber kein Widerspruch, zugleich Familienunternehmer und Global Player zu sein. Denn: Weiterhin bleibt die Familie eingebunden, die Töchter Julia in der Ottobock-Stiftung, Georgia im Aufsichtsrat der Health Care und Geschäftsführung der Ottobock-Holding. „Sie wird mir einmal nachfolgen.“

Eine Milliarde Umsatz

Aber: Er will dennoch das Unternehmen unabhängiger machen von der Familie. Kritiker sagen: Er wolle es loswerden. Das sind für Näder haltlose Aussagen in sozialen Netzwerken, die Näder nicht beachtet, weil „auf einer Plattform, auf der jeder schreiben kann Sie Arschgeige, ohne seinen Namen zu nennen, keine seriöse Kommunikation stattfindet“. Die Veränderung im Unternehmen sei notwendig, denn: „Ottobock sei einfach sehr groß geworden.“

Zahlen untermauern das: Health Care werde 2019 vielleicht die Umsatz-Milliarde knacken. Alle Aktivitäten der Familie beliefen sich nun auf 1,3 Milliarden Euro. „Wir haben weltweit knapp 9000 Mitarbeiter, und wir wollten bewusst eine familienfremde Führung installieren.“ Ein Wechsel der, wie Näder zugibt, im ersten Anlauf nicht geklappt hat. Mit dem jüngst verpflichteten Philipp Schulte-Noelle von Fresenius habe man aber einen Volltreffer gelandet.

Eine Hängepartie bleibt der erstmals 2003 ins Gespräch gebrachte Börsengang. Näder bekennt: „Ja, er war für 2019 geplant“ – zum Jubiläum. Das habe nicht gepasst. „Ein Börsengang ist wie das Beobachten des Wetters – für einen solchen Schritt braucht man gutes Wetter“, sagt der Firmenchef, der als Zeitpunkt für den möglichen Börsengang 2022 nennt.

Globalisierung tut gut

Die Grenzen des Wachstums sieht Hans-Georg Näder noch lange nicht. „Dafür sind wir zu klein im Vergleich zu den wahren Riesen wie Amazon oder Google.“ Ottobock ist für ihn ein Unternehmen „zwischen Historie und Futuring“. Einen Spagat, den Näder selbst aushält. Seinen Leuten will er die Angst vor der Veränderung nehmen, in dem er es angstfrei vorlebt und ein treffendes Beispiel nennt: „Die Globalisierung tut auch dem Headquarter gut: Wenn wir international gewachsen sind, sind wir auch in Duderstadt gewachsen.“ Man sei eben nicht wie Andere blind um die Welt gezogen und zurückgekommen, sondern geblieben und habe die Mitarbeiter über den Kurs informiert.

Ottobock habe weltweit vielen Menschen geholfen, wieder zu gehen. Das sei immer eine Riesenmotivation gewesen. In Zukunft werden nun künstliche Intelligenzen dabei helfen – ebenso wie die Handwerker. Ein Szenario, das Hans-Georg Näder gefällt. Auch wenn er dabei für sich durchaus mal das Tempo herausnehmen will. Eventuell beim Ritt – im wieder zu Wasser gelassenen – Riva-Boot.

Ottobock - Alle Infos zum Unternehmen

Als Otto Bock 1919 mit Partnern die Orthopädische Industrie GmbH in Berlin gründete, wollte er mit in Serie hergestellten Prothesenpassteilen die Situation Zehntausender Menschen verbessern, die im Krieg verstümmelt worden waren. Einige Jahre später zog das Unternehmen ins thüringische Königssee um, unter sowjetischer Besatzung wurde es 1948 enteignet. Bocks Tochter Maria und ihr Mann, der Orthopädiemeister Max Näder machten im niedersächsischen Duderstadt einen Neuanfang. 1947 begann in einer Halle einer ausgedienten Munitionsfabrik die Prothesenfertigung. Der erste Geschäftserfolg war das „Jüpa-Knie“, eine Beinprothese mit hoher Standfestigkeit. Max Näder exportierte es in die USA und gründete dort, in Minneapolis, 1958 die erste Auslandsgesellschaft. Näder experimentierte mit Kunststoff, um die Prothesen leichter zu machen. Im Jahr 1963 begann ein Fabrikneubau in Duderstadt.

Heute ist Hans-Georg Näder, Enkel des Firmengründers, Herr über eine Holding, zu der neben Prothetik und Medizintechnik, auch der IT-Dienstleister Sycor gehört. Mit Zahlen hält sich das nicht börsennotierte Familienunternehmen bedeckt. Das Herzstück der Holding, das weltweit tätige Medizintechnik-Geschäft mit mehr als 7000 Beschäftigten, ist in der Ottobock SE & Co.KGaA, also einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, untergebracht.

Diese verbuchte nach Unternehmensangaben im vergangenen Jahr mehr als 900 Millionen Euro Umsatz. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) belief sich auf 170 Millionen Euro. Im Jahr 2017 waren von einem Umsatz von 927 Millionen Euro rund 115 Mio. Euro als Ebitda übrig geblieben.

Hans-Georg Näder, der 1990 die Geschäftsführung übernahm, setzt ebenfalls auf Innovation, so, als er 1997 das Patent für die mikroprozessor-gesteuerte Beinprothese C-Leg erwarb. 2010 stellte Ottobock eine Handprothese vor, mit der sieben Greifbewegungen möglich sind. Näder baut das Unternehmen um: In die Ottobock SE stieg der schwedische Finanzinvestor EQT ein. Die Kunststoffsparte wurde an die Schweizer Conzzeta-Gruppe abgegeben.

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