Neuauflage: Prozess um Missbrauchsvorwürfe endet mit Freispruch für Angeklagten

Missbrauchsvorwürfe gegen einen Physikstudenten aus Aachen: Göttinger Landgericht entscheidet „Im Zweifel für den Angeklagten“.
Göttingen – Was ist vor mehr als sieben Jahren in einem WG-Zimmer in Göttingen passiert? War das, was im Dezember 2015 nach einer Campusparty zwischen einem Physikstudenten aus Aachen und einer Studentin aus Göttingen ablief, einvernehmlicher Sex oder war es ein sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person?
Rund sieben Monate lang hat sich eine Kammer des Landgerichts Göttingen darum bemüht, diese Frage zu klären. Es war bereits der zweite Prozess zu diesem Fall. Beim ersten Prozess hatte das Landgericht den heute 29 Jahre alten Angeklagten zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt.
Prozess um Missbrauchsvorwürfe neu aufgerollt: Angeklagter wird nun freigesprochen
Der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil auf dessen Revision hin wieder auf und verwies das Verfahren zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer. Da sich der Fall auch im zweiten Prozessanlauf nicht hinreichend sicher aufklären ließ, entschied die Kammer nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ auf einen Freispruch.
Die Verhandlung hatte unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden, nur zur Urteilsverkündung waren Zuschauer zugelassen. Zu Beginn äußerte die Vorsitzende Richterin ihr Bedauern darüber, dass das Verfahren so lange gedauert hat. Das sei sowohl für die Nebenklägerin als auch für den Angeklagten eine große Belastung gewesen. Es sei insgesamt ein sehr schwieriger Fall.
Die Kammer hatte in dem neuen Prozess auch die Bedenken berücksichtigen müssen, die der BGH gegen die Beweiswürdigung aus dem ersten Urteil geltend gemacht hatte. Diese bezogen sich insbesondere auf die Wahrnehmungsfähigkeit der Nebenklägerin, die zur Tatzeit beträchtlich alkoholisiert gewesen sei.
Missbrauchsvorwürfe gegen Studenten aus Aachen: Was ist wirklich im Göttinger WG-Zimmer passiert?
Der Angeklagte und die Nebenklägerin kannten sich aus der Schulzeit. Nach Angaben der Richterin war der Angeklagte bereits in der Oberstufe in sie verliebt gewesen, während es für sie ein rein freundschaftliches Verhältnis gewesen sei. Beide seien nach dem Abitur in Kontakt geblieben. Zu dem angeklagten Vorfall war es gekommen, als er sie an ihrem Studienort in Göttingen besuchte.
Die Kammer hatte für den neuen Prozess drei Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Eine aussagepsychologische Sachverständige kam in ihrem Glaubwürdigkeitsgutachten zu dem Schluss, dass die Angaben der Nebenklägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einem wahren Erlebnishintergrund beruhen.
Auch die Kammer habe den Eindruck, dass die Nebenklägerin die Wahrheit sage, erklärte die Richterin. Allerdings gebe es einige Bereiche, die nicht nachvollziehbar seien.
Landgericht Göttingen entschied „im Zweifel für den Angeklagten“
Dass der Prozess dennoch mit einem Freispruch endete, lag indes vor allem an dem Ergebnis eines psychiatrischen Gutachtens. Demzufolge könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Nebenklägerin aufgrund ihrer damaligen Alkoholisierung und Müdigkeit Erinnerungslücken habe.
Im Zweifel müsse man zugunsten des Angeklagten davon ausgehen, dass dieser nicht in der Lage gewesen sei, ihr Verhalten zu deuten, und angenommen habe, dass sie mit den sexuellen Handlungen einverstanden sei. (Heidi Niemann)