1. Startseite
  2. Lokales
  3. Göttingen
  4. Göttingen

Nierenkranke in Nicaragua: Göttingen soll Partnerstadt in Mittelamerika helfen

Erstellt:

Von: Andreas Arens

Kommentare

null
„Das Problem wird totgeschwiegen.“: Sichtlich gezeichnete Nierenerkrankte bei einer Informationsveranstaltung des Nicaragua-Vereins-Göttingen in La Paz Centro. © Leineweber/nh

Göttingen. Es ist eine unheilige Allianz aus internationalen Großkonzernen, regionalen Plantagen-Baronen und Behörden, die wegschauen: In La Paz Centro, der nicaraguanische Partnerstadt Göttingens, sind Feldarbeiter besonders häufig von Niereninsuffizienzen betroffen.

Seit zwei Jahren versucht Anna Leineweber vom Nicaragua-Verein-Göttingen den Erkrankten zu helfen. Ein großes Ziel wäre für sie erreicht, wenn der Rat der Stadt Göttingen am Freitag, 16. Februar, in ihrem Sinne entscheiden würde. Die Ratsfraktionen der Göttinger Linken, Grünen und SPD, die Piraten- und Parteiratsgruppe sowie Ratsherr Torsten Wucherpfennig (Antifa-Linke) haben einen interfraktionellen Antrag gestellt, der den Kauf eines Minibusses in Wert von 35.000 Euro für die Nierenkranken in La Paz Centro vorsieht.

Der Bus wird benötigt, um die kranken Arbeiter bis zu vier Mal wöchentlich in die Hauptstadt Managua zur Dialyse zu bringen. „Die Familien verkaufen alles, um die Fahrtkosten zu bezahlen“, schildert Leinweber im Gespräch mit unserer Zeitung die verzweifelten Versuche der Betroffenen, ihre schwere Nierenerkrankung zu überleben.

Einigen gelingt das nicht. Auch, weil die Trinkwasserversorgung der Landbevölkerung katastrophal ist. Das von Pestiziden kontaminierte Oberflächen-Grundwasser sei häufig nicht trinkbar, berichtet Leineweber. Ein Problem, denn die mangelnde Flüssigkeitszufuhr verstärkt die Niereinsuffizienzen.

Es ist ein Teufelskreis, der wohl durch den eigentlich verbotenen exzessiven Pestizid-Gebrauch der Plantagenbesitzer in Gang gesetzt worden sei. Davon zumindest ist Leineweber überzeugt, die sich auf eine Studie des lateinamerikanischen Wissenschaftlers Dr. Carlos Orantes stützt.

Dialyse Patient La Paz Centro Niereninsuffizienzen Foto: Leineweber/nh
Menschen, die an Niereninsuffizienz leiden, müssen bis zu vier Mal wöchentlich zur Dialyse.

Im Gegensatz zu anderen Forschungen, die sich mit der auffallend hohen Zahl an Niereninsuffizienzen in bestimmten Regionen beschäftigen, benennt Orantes in seiner Studie Plantagenwirtschaft als Auslöser für die Erkrankungen. Die Häufung der Nierenkranken sei „nicht mysteriös“, wie es etwa in einer US-amerikanischen Studie der Universität Boston festgestellt wurde, sagt Leineweber.

Info-Abend in Göttingen

Die Forschungen von Orantes haben Prof. Dr. Martin Engelbert (ehemaliger Leiter des Romanischen Seminars an der Uni Göttingen) und Prof. Dr. Roland Nau (Chefarzt des Geriatrischen Zentrums am Weender Krankenhaus) übersetzt und eingeordnet. Am Dienstag, 13. Februar, stellen die beiden Wissenschaftler die Studie bei der Veranstaltung „Das geht an die Nieren!“ im Holbornschen Haus in Göttingen ab 19 Uhr vor. „Von diesem Abend erhoffe ich mir ganz viel“, wünscht sich Leineweber eine Öffentlichkeitswirkung.

Europa-Verordnung als Dilemma

Noch vor zehn Jahren war die Gegend rund um Göttingens Partnerstadt La Paz Centro nicht für seine großen Plantagen bekannt. Das sieht mittlerweile ganz anders aus. Ein Grund: Die EG-Richtlinie zu Erneuerbaren Energien von 2009.

Sie führte dazu, dass im neueingeführten E10-Kraftstoff zwischen fünf und zehn Prozent Bioethanol enthalten sein müssen. „Deshalb gab es Entwicklungshilfen für die Plantagenwirtschaft in Lateinamerika“, erklärt Anna Leineweber, die für den Nicaragua-Verein-Göttingen schon seit vielen Jahren in Mittelamerika unterwegs ist.

So seien auch im Umland von La Paz Centro große Plantagen mit ausschließlich exportorientierten Monokulturen entstanden. Und gerade diese werden großflächig, teilweise sogar aus der Luft, mit Pestiziden behandelt, auch wenn das teilweise gar nicht mehr zulässig sei, wie Leineweber betont. 

Wie gefährlich die Arbeit auf solchen Feldern sein kann, ist den meisten Arbeitern gar nicht bewusst. „Das Problem wird totgeschwiegen“, beklagt Leineweber.

Das liegt auch an den Lebensbedingungen in Nicaragua, das laut Leineweber nach Haiti das zweitärmste Land Amerikas ist. Trotzdem gebe es 200 Dollar-Millionäre bei 5,6 Millionen Einwohnern. Nicht allein die Kluft zwischen Arm und Reich ist dabei problematisch. Die Superreichen nehmen offenbar auch rechtlich eine Sonderstellung ein.

Anders lässt sich Leinewebers Schilderung von Nicaraguas „Zucker-Baron“ Carlos Pellas, für den auch die Zuckerrohr-Arbeiter rund um La Paz Centro arbeiten, kaum erklären. Er habe seine Zuckerfabrik in San Antonio selbst zertifizieren dürfen, unter anderem mit dem Versprechen, guten Zucker für die Bevölkerung zu liefern. In Wirklichkeit werde aber auch dieser Rohstoff zum Export-Produkt Bio-Ethanol.

Auch interessant

Kommentare