Personal-Posse um Vizepräsident sorgt für Göttinger „Uni-Krise“

Für Aufsehen sorgen Geschehnisse um Norbert Lossau, den bisherigen Vizepräsidenten der Universität Göttingen. Präsident Metin Tolan sagt dazu öffentlich nichts.
Göttingen – Wechsel in den Positionen Vize-Präsidentin und Vize-Präsident an der Universität Göttingen sind keine Seltenheit, kamen im vergangenen Jahrzehnt des Öfteren vor.
Die Geschehnisse um den bisherigen Vizepräsidenten Norbert Lossau und dessen Verschwinden aus der Uni-Spitze aber sorgen für Aufsehen, zumal Präsident Metin Tolan öffentlich nichts dazu sagt.
Wort von „Uni-Krise“ macht die Runde
In Stadt und Universität aber wird diskutiert, das Wort „Uni-Krise“ macht die Runde, Zweifel am Führungsstil Tolans werden laut. Zumindest hinterlässt der „Fall Rücktritt Lossau“ ein „Geschmäckle“.
Vor zwei Wochen hatte die Uni bestätigt, Norbert Lossau, hauptamtlicher Vize-Präsident sei zurückgetreten. Lossau widersprach: Er sei nicht zurückgetreten. Das vermeldete das Göttinger Tageblatt zuerst. Lossau hatte zuvor die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek (SUB) Göttingen in wichtigen Zeiten der Digitalisierung geleitet.
Uni Göttingen: Prof. Lossau übernahm das neue Amt im Jahr 2013
Unter Ulrike Beisiegel übernahm er 2013 das damals auf Betreiben der Präsidentin neue Amt des hauptamtlichen Vize-Präsidenten für Digitalisierung und Infrastruktur. Sein Vertrag läuft bis Sommer 2027. Lossau ist der am längsten amtierende Vize-Präsident der Uni. Metin Tolan hatte gleich zu Beginn der Amtszeit „seine“ Mannschaft gebaut: Die nebenberuflichen Vize-Präsidium-Mitglieder aus der Beisiegel-Ära wurden ausgetauscht. Die Hauptamtliche Valerie Schüller (Finanzen) blieb.

Die Uni hatte auf ihrer Internetseite kürzlich den Namen Norbert Lossau durch die Bezeichnung „n.n.“ ersetzt. Das steht im Lateinischen für „nomen nominandum“ und heißt: „Der Name muss noch genannt werden.“ Lossau teilte sogleich mit, dass er das Amt zurzeit nicht ausübe – auf Wunsch des Präsidenten. Der hatte diesen Ende März in einem Gespräch an Lossau herangetragen, wie auch die FAZ berichtete.
Tolan hatte offenbar zudem gefordert, dass sich Lossau dauerhaft zurückziehen soll – vergeblich. Warum Tolan die Trennung wollte, ist nicht bekannt. Auch aus Fürsorgegründen darf der Präsident dazu keine Informationen öffentlich machen. Fachliche Gründe spielten, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle. Uni-intern hört man Aussagen über Lossau wie fachkompetent, korrekt und zurückhaltend. Er erwarb sich Verdienste in der Corona-Krise, als die Uni Rückstände im Bereich Digitalisierung aufholen musste.
Uni-Sprecher äußert sich zu magerer Informationspolitik
Uni-Sprecher Thomas Richter bat nach HNA-Anfrage um Verständnis zur mageren Informationspolitik: Zu Personalangelegenheiten, die in der Schwebe seien, sage man generell nichts. Nach wie vor bleiben also Fragen: Ist Lossau noch im Amt, oder nicht? Welches sind die Gründe für den erwünschten Rücktritt? Wie steht es um die Atmosphäre in der Uni-Führung.
Der Senat hat reagiert, wie der Blog von Jan-Martin Wiarda berichtet. Aus dem Gremium kommt Kritik am Präsidenten, dessen Vorgehen und daran, dass man nicht rechtzeitig informiert worden sei.
Göttingen: Theologe liefert Hintergründe
Auf Wiarda meldet sich auch der Göttinger Theologe Thomas Kaufmann und liefert Hintergrund-Infos: „Im Kreis der Dekane hieß es, dass die Grundlagen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Lossau in dem Leitungsgremium der Uni zerstört sind. Neben Tolan sehen das offenbar auch die anderen vier Präsidiumsmitglieder so. Welchem Chef würde man denn das Recht absprechen, jemanden vor die Tür zu setzen, mit dem die Zusammenarbeit unmöglich geworden ist?“, schreibt Kaufmann.
Nun ist der Konflikt zwischen Tolan und Lossau, öffentlich geworden, vermutlich aufgrund einer Indiskretion in Gremien. Der Fall zieht bundesweit medial Kreise und kratzt an der gerade halbwegs reparierten Uni-Image-Fassade. Die bei Studierenden durchaus angesehene Georgia Augusta hat eine neue Krise – und das zur Unzeit. Denn die Uni-Spitze und viele Beteiligte legen sich gerade mit fünf Anträgen mächtig ins Zeug, um den verlorenen Exzellenz-Status zurückzuholen. Das hatte schon Beisiegel mit hohem personellen und finanziellen Aufwand versucht, um letztlich damit zu scheitern.
Hypothek einer wirtschaftlich angeschlagenen Uni
So blieb die Hypothek einer wirtschaftlich angeschlagenen Uni für Interimspräsident Reinhard Jahn und Metin Tolan. Der war im April 2021 angetreten, um das Flaggschiff Uni in ruhiges Fahrwasser zu ziehen, aber auf einem unvermeidbaren finanziellen Sparkurs. Tolan wollte intern für Ruhe, mehr Einigkeit, mehr Transparenz und Offenheit für Diskussionen sorgen, wie er im HNA-Gespräch betonte. Für Entscheidungen im Präsidium wünschte er Einstimmigkeit.

Nun kommen Zweifel an der Kommunikationsfähigkeit und Offenheit auf. Der Präsident tritt übrigens gerne öffentlich auf – mit lebendig-amüsanten Vorträgen zu seinen populär-wissenschaftlichen Büchern über die Physik des Fußballs, der Star-Trek- und James-Bond-Filme.
Schaden für die gesamte Uni Göttingen?
Der meinungsstarke Thomas Kaufmann sagt auch: „Wenn der Göttinger Universitätspräsident Metin Tolan einen Fehler gemacht hat, dann den, dieses Amt (Anm. d. Red-: Vizepräsident Digitalisierung und Infrastruktur) nicht gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft abgeschafft zu haben.“ Diese Rücksicht falle Tolan nun auf die Füße. In der Tat: Die erneute öffentliche Posse schadet ihm und der gesamten Uni. (Thomas Kopietz)
Hintergrund: Problemfälle der Göttinger Universität
2012 verlor die Universität ihren Exzellenz-Status. Der Versuch, in der Amtszeit der früheren Uni-Präsidentin Ulrike Beisiegel die „Exzellenz“ zurückzuholen, scheiterte. Übrig blieb aus fünf Projekten nur ein kräftig geförderter Exzellenz-Cluster. Damals gab es Kritik an der Bewerbungsstrategie und der ausgewählten Cluster.
Die Kritik an Beisiegel, die zudem mit ihrem Projekt „Forum Wissen“ der Uni – trotz millionenschwerer Förderung besonders aus Berlin – eine finanzielle Bürde auferlegte, wuchs. Schließlich ging sie vor Ablauf ihrer Amtszeit 2019. Das Auswahlverfahren mit Ergebnis Sascha Spoun scheiterte wegen Formfehlern, was der Uni einen Imageschaden bescherte. Interimspräsident Reinhard Jahn, ein unauffälliger wie klar denkender Mann, glättete die Wogen. Nach einem erneuten Auswahlverfahren startete Metin Tolan im April 2021 – unter schwierigen Bedingungen und striktem Sparzwang, bei gleichzeitiger Ansage, erneut eine teure Exzellenz-Bewerbung anzustreben. (tko)