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Preisträger Wikelski und der Kurztripp der Stockenten nach Petersburg

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Von: Thomas Kopietz

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Preisverleihung: Prof. Herbert Jäckle (rechts) überreichte zum Literaturherbst-Auftakt die „Science Communication Medal 2019“ an Prof. Martin Wikelski. Foto: Jan Vetter

Göttingen – Martin Wikelski hat zum Literaturherbst-Auftakt die Science-Communication-Medaille der Göttinger Max-Planck-Institute erhalten. Der Professor und Direktor des MPI für Ornithologie in Radolfzell beeindruckte nach der Verleihung durch dessen Freund Prof. Herbert Jäckle mit seinem spannenden „Internet der Tiere.“

Hinter dem plakativen Titel öffnete sich ein fantastisches, einzigartiges und weltumpannendes Projekt mit einem ebenfalls plakativen Kürzel: ICARUS. Es steht für ein weltumspannendes satellitengestütztes System zur Beobachtung und Ortung von Tieren – die Palette reicht von Schildkröten über Weiße Haie bis zu kleineren Spezies wie Singvögel, Fledermäuse, Nachtfalter oder noch winzigeren Insekten. Sie alle werden mit unterschiedlich großen und schweren Sendern bestückt. Die leichtesten sind momentan fünf Gramm schwer und sollen weiter erleichtert werden: „Ein Gramm“ gibt Wikelski als Entwicklungsziel an. Damit könnten auch Bienen oder Fliegen den solar befeuerten Mini-Computer auf ihren Rücken tragen.

Tiere verstehen lernen

Doch warum all der Aufwand? „Wir wollen Wanderungen der Tiere erkennen, aber auch die Interaktion der Tiere untereinander erkennen und verstehen lernen.“ Wie erfährt ein anderer Zugvogel vom Nachbarn, wann der Start zum großen Formationszug über mehrere tausend Kilometer beginnt, damit er diesen nicht verpasst?

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Sprach über das Internet der Tiere: Prof. Dr. Martin Wikelski berichtete über ein weltumspannendes System zur Beobachtung und Ortung von Tieren. © Jan Vetter

Auch auf diese Frage möchte der begeisterte Biologe und Ornithologe Wikelski eine Antwort erhalten. Letztlich geht es um noch Größeres: Wikelski und Co. wollen mehr über die Tiere auf der Welt herausfinden, Gewohnheiten, Fähigkeiten, von denen man heute zwar oft schon weiß, sie aber nicht erklären und oft nicht deuten kann.

Tipps von „Experten“

Beobachtungen vor Ort genügen oft nicht. „Da heißt es dann, die Vögel oder die Schildkröten sind mal kurz nicht zu sehen, das ist normal“, erzählt Wikelski und wartet mit erstaunlichen Erkenntnissen auf: Stattdessen sind sie mal eben tausende Kilometer geflogen oder zwei Schildkröten auf den Galapagos Inseln sind an verschiedenen Punkten zur selben Zeit los gewandert und haben sich nach einer Tour um einen Vulkankrater am Meer getroffen. Wikelski erzählt das begeistert. Da steht ein Wissenschaftler in der bis auf den letzten Platz gefüllten Paulinerkirche, dem die Arbeit einen Riesenspaß bereitet und der obendrein noch alles wunderbar vermitteln kann.

Daten an die ISS

Als Projektleiter steht er aber keineswegs über allem: Wikelski fasst gerne und überall auf der Welt mit an, wie die Fotos bestätigen: Er fängt Giraffen und Nachtfalter mit ein, setzt die Sender, sucht Wissenschaftler, die bei ICARUS mitmachen wollen – und hört auf sizilianische Bauern, wenn es darum geht die Tiere zu finden, die beste Vorboten für einen anstehenden Ätna-Ausbruch sein könnten. Ja, auch Naturkatastrophen, Wetterphänomene, Ernteausfälle und die Ausbreitung von Krankheiten, sollen so entschlüsselt werden.

Humboldts Traum

Wikelski ist auch dabei, wenn mit dem Start einer russischen Sojus-Träger-Rakete vom Raumfahrtbahnhof Baikonur das Modul für die Verarbeitung und Weiterleitung der von den Tieren an die Raumstation ISS gesendeten Signale auf die Reise geht.

Video: Das Projekt ICARUS

Das Netzwerk für die größte je da gewesene Tierbeobachtung, wie sie sich ein Alexander von Humboldt erträumt hätte, ist riesig, die bewundernde Nachfrage von Moderator Herbert Jäckle an Martin Wikelski, wie man das alles aufbauen und zusammenhalten könne folglich zwangsläufig. Die Antwort des erzählenden Forschers ist bescheiden und einfach: Überall auf der Welt lassen sich Helfer und Wissenschaftler auch in Mega-Rechenzentren von ICARUS begeistern. Das Internet der Tiere nimmt so Gestalt an. Man wird davon und von Martin Wikelski noch viel hören.

800 Arten

Vielleicht auch von den Gedanken zum Datenschutz in dem bislang sehr offenen System, denn die Bewegungsdaten der Tiere, die in der Garchinger Movebank landen, könnten nicht nur positive Folgen haben. „Wir denken auch darüber nach“, sagt Wikelski. 800 Arten sind bis jetzt besendert. Es werden viele weitere folgen. Und faszinierende Erkenntnisse wie der Kurz-Urlaub eines Stockentenpärchens, das aus dem Rheinland nach St.Petersburg geflogen ist. Dabei waren die Beiden nur mal eben für einige Tage nicht in ihrem Heim-Gewässer gesehen worden.

Was sie in St. Petersburg wollten, außer die wunderbare Stadt von oben anschauen, auch das wäre noch zu klären. Fragen werden bleiben – trotz ICARUS – und das ist gut so. Fazit: Ein starker Auftakt der Wissenschaftsreihe im Göttinger Literaturherbst, mit einem Wissenschaftler, der auch ein sympathischer PR-Experte ist.

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