Schlechte Aussichten für Wohnprojekt „Weitblick“ in Rosdorf bei Göttingen

Wie geht es mit dem beispielhaften Wohnprojekt „Weitblick“ in Rosdorf bei Göttingen weiter? Die Aussichten sind düster.
Rosdorf – Ein von den Betroffenen herbeigesehntes Wohnprojekt für mehrfach schwerstbehinderte Menschen droht zu scheitern. Und das, obwohl das Gebäude auf dem Gelände der ehemaligen Anne-Frank-Schule in Rosdorf bei Göttingen bereits fertig gebaut und einzugsbereit ist.
Karsten Wißmann ist verzweifelt. „Wir sind am Limit und es gibt keinen Plan B“, sagt der Vater, bei dessen inzwischen erwachsenen Tochter im Kleinkindalter das Rett-Syndrom diagnostiziert wurde und der sich seither mit seiner Frau Beate rund um die Uhr um die schwerst Mehrfachbehinderte kümmert.
Das Wohnprojekt „Haus Weitblick“ sollte Erleichterung verschaffen und die Sorgen, die sich die Wißmanns um die Zukunft ihrer Tochter machen, zumindest abschwächen. Jetzt aber droht das ganze Projekt wegen der fehlenden Finanzierung der Unterbringungskosten durch das Landessozialamt zu scheitern.
Gebaut wurde das dreistöckige Haus, das 35 mehrfach schwerstbehinderten jungen Menschen ein Zuhause bieten soll, in unmittelbarer Nachbarschaft zur vor einem knappen Jahr neu eröffneten Seniorenpflegeeinrichtung „Haus Mühlengrund“. Der Betreiber beider Einrichtungen, die Medem Care GmbH aus Wiesbaden, war dabei der Idee einer 2012 gegründeten Rosdorfer Elterninitiative gefolgt, die für ihre mehrfach behinderten Kinder eine geeignete Unterkunft suchte. „Dieses besondere Konzept bringt Senioren und Menschen mit einer Beeinträchtigung zusammen und dient als wegweisendes Pilot-Projekt für künftige Einrichtungen der Medem-Gruppe“, hatte deren Inhaberin und Geschäftsführerin Hella Kroll noch bei der Eröffnung der Seniorenwohnanlage betont.
Das Problem: Lange Verzögerungen bei der Planung und beim Bau – unter anderem durch die anfängliche Ablehnung des Bauantrages und die zwischenzeitliche Nutzung der ehemaligen Anne-Frank-Schule als Flüchtlingsunterkunft – sorgten dafür, dass die tatsächlich Projektumsetzung in die Zeit der Baukostenexplosion fiel und der geplante Kostenrahmen nicht mehr zu halten war.
„Beim Landessozialamt hat man uns gesagt, es gebe in Niedersachsen genug freie Wohnplätze für unsere Kinder“
Karsten Wißmann, Vater
Einen Antrag auf Übernahme der Mehrkosten, die sich dadurch bei jedem potenziellen Bewohner auf rund 400 Euro monatlich belaufen, lehnte das Landessozialamt bislang ab. Hinzu kommt, dass die Richtlinien bei den Wohnplätzen für behinderte Menschen einen Flächenbedarf von durchschnittlich 45 Quadratmetern vorsehen, jedem Bewohner im „Haus Weitblick“ aber rund fünf Quadratmeter mehr zur Verfügung stehen.
„Die dadurch begründete Ablehnung einer Übernahme der Unterkunftskosten haben wir vom Landessozialamt bislang nur mündlich erhalten“, sagt Karsten Wißmann. „Die sitzen uns aus und wollen so verhindern, dass wir gegen einen negativen Bescheid klagen“, schimpft er. Als Folge der ganzen Misere habe das Haus Weitblick derzeit gerade einmal fünf Bewohner anstatt wie geplant 35. Viel zu wenige für den Betreiber, um auch nur annähernd die Kosten decken zu können. Und auch viel zu wenig, um zusätzliches Pflegepersonal einzustellen. Das ganze Projekt steht damit auf der Kippe.
„Die integrative Idee der Einrichtung ist, dass in sieben Wohngruppen jeweils zwei Rollstuhlfahrer wohnen, die von drei Selbstläufern im täglichen Leben unterstützt werden“, sagt Wißmann. Auch das sei derzeit natürlich hinfällig.

„Beim Landessozialamt hat man uns gesagt, es gebe in Niedersachsen genug freie Wohnplätze für unsere Kinder“, so der verzweifelte Vater. „Wir wollen für unsere Kinder aber mehr als nur satt und sauber“, sagt er. Außerdem käme für alle Beteiligten „niemals infrage, unser Kind irgendwo hinzugeben, wo es hunderte Kilometer weit weg ist von seinen Eltern und von seinen Freunden“.
Was die Situation gerade für die Betroffenen bedeutet, kann man sich kaum ausmalen. „Viele der jungen Menschen haben sich so sehr darauf gefreut und können jetzt gar nicht verstehen, dass nichts passiert“, sagt Karsten Wißmann. Das wiederum stelle eine zusätzliche Belastung für die Eltern dar, die ohnehin schon seit Jahren auf dem Zahnfleisch gehen würden. Deshalb wäre es aus seiner Sicht auch „eine echte Katastrophe“ für alle Beteiligten, wenn dieses Projekt tatsächlich scheitern sollte. (Per Schröter)