Ukraine-Krieg: Göttinger Forscher Bandelow zur Angst vor Kriegseskalation

Angst vor Ausweitung des Ukrainekrieges haben viele Menschen in Deutschland. Der Göttinger Forscher Borwin Bandelow hat sich genau damit jetzt auseinandergesetzt.
Göttingen – Die Diskussion und Deutschlandtrend-Umfrage zu der – von deutlich über 40 Prozent der Befragten abgelehnten – Kampfpanzer-Leopard-Lieferung an die Ukraine zeigen: Viele Menschen in Deutschland fürchten weiterhin eine Eskalation und Ausweitung des Ukraine-Krieges durch Russland auf andere europäische Staaten.
Der renommierte Göttinger Angstforscher Borwin Bandelow kann diese Bedenken, ja Befürchtungen verstehen. Und er sagt in Bezug auf das Handeln und die Psyche Wladimir Putins: „Das macht auch mir aus psychiatrischer Sicht Angst.“
Göttinger Angstforscher Borwin Bandelow: Viele Menschen befürchten weiterhin Kriegs-Eskalation
Bandelow hält die Angst vieler Menschen vor einer Eskalation des Krieges in der Ukraine und einem Übergreifen auf Deutschland für verständlich und berechtigt. Vielen Menschen und auch ihm selbst scheine die deutsche Politik in einem „furchtbaren Dilemma“ zu stecken, sagt Bandelow. Wie sich die Bundesregierung auch entscheide – für oder gegen Waffenlieferungen – die Bedrohung durch Russland bleibe bestehen.

Ein klares Bild zeichnet Bandelow auch bezüglich der Psyche des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Aus psychiatrischer Sicht ist dieser offensichtlich ein „maligner“, also ein böser Narzisst. „Er würde, wenn er untergeht, am liebsten das ganze Volk mitnehmen.“
Es sei unvorstellbar, dass ein solcher Mensch sich freiwillig zurückzieht und Fehler eingesteht. „Das wird nicht passieren. Und das macht auch mir als Psychiater Angst.“ Auch Sendungen im russischen Staatsfernsehen, in denen offen über Atombombenabwürfe auf Berlin oder Paris spekuliert werde, ängstigten die Menschen und auch ihn selbst.
„Die Menschen wollen ehrliche und offene Diskussionen hören.
Die Deutschen und die Europäer würden vermutlich noch Monate und Jahre mit dieser Angst leben müssen. Der Psychiater Borwon Bandelow erinnerte daran, dass viele Bürger auch während des Kalten Krieges mit der Sowjetunion lange Zeit Angst vor einem Atombombenabwurf hatten.
Ein Rezept für einen guten Umgang mit dieser Angst hat Bandelow nicht. „Wir müssen sie wohl aushalten.“ Allerdings trete bereits nach wenigen Wochen ein gewisser Gewöhnungseffekt ein. Das betreffe auch die Menschen in der Ukraine selbst, die trotz Bombenalarm und ständiger Bedrohung vielfach ihr Alltagsleben wieder aufgenommen hätten.
Er halte es für keine gute Idee, sich von Nachrichten aus dem Krieg abzuschotten, betonte Bandelow. Studien belegten, dass viele und detaillierte Informationen den Menschen eher helfen, mit ihrer Angst zu leben.
Angstforscher Bandelow: Auch im Krieg gibt es einen „Gewöhnungseffekt“
Deshalb könne auch eine an den Tatsachen orientierte und auch kontroverse Medienberichterstattung eher zur Angstbewältigung beitragen, als dass sie Ängste schüre. „Die Menschen wollen ehrliche und offene Diskussionen hören.“
Oft werde behauptet, dass sich vor allem alte Menschen, die noch den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, vor einem erneuten Krieg fürchten. Dafür gebe es jedoch keine Belege. Ängste nähmen im Alter eher ab. „Da kommt uns ein biologischer Aspekt zu Hilfe“, erläuterte der Experte.
Die Strukturen im Gehirn, die für das Angstempfinden zuständig seien, nutzten sich im Laufe des Lebens ab. „Das macht das Alter erträglicher.“ Umfragen hätten gezeigt, dass sich sowohl während der Corona-Pandemie als auch jetzt während des Ukrainekrieges vor allem die 30- bis 40-Jährigen fürchteten.
Sollte sich die Kriegslage durch die Panzerlieferung zugunsten der Ukraine verändern, dann könne das Folgen haben, sagte der Politikwissenschaftler Gerhard Mangott von der Uni Innsbruck gegenüber dem Bayerischen Rundfunk (BR).
Das wiederum könne Ängste schüren und verstärken: Er gibt zu bedenken, dass ein Erfolg für die ukrainische Gegenoffensive durch die Lieferung westlicher Kampfpanzer und zusätzlicher Munition sehr viel wahrscheinlicher wird.
„Dadurch könnte eine Situation entstehen, wo Russland sich vor einer desaströsen Kriegsniederlage sieht und dann auch – das ist eine Möglichkeit, keine Wahrscheinlichkeit – zu taktischen Nuklearwaffen greift. Das heißt, sobald man diese Panzer geliefert hat, haben man nicht mehr die völlige Kontrolle über die Eskalationsrisiken. (tko/epd)