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Unberechtigtes Strafverfahren gegen Gedenkstättenleiter

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Von: Andreas Arens

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Ein Gedenkstein vor der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. Eine dortige Ausstellung zu Verbrechen der Wehrmacht sorgte für eine Anzeige gegen den ehemaligen Leiter der Stiftung Niedersächsischer Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner.
Ein Gedenkstein vor der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. Eine dortige Ausstellung zu Verbrechen der Wehrmacht sorgte für eine Anzeige gegen den ehemaligen Leiter der Stiftung Niedersächsischer Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner. © Holger Hollemann/dpa

Als „skandalös“ und „absurd“ beschreibt der Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin (Grüne) ein inzwischen eingestelltes Ermittlungsverfahren gegen den früheren Leiter der Niedersächsischen Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner.

Göttingen – Was war passiert? Ausgangspunkt war eine bei der Göttinger Staatsanwaltschaft eingegangene Strafanzeige, in der Wagner vorgeworfen worden war, „ehrenrührige Tatsachen zum Nachteil der Wehrmachtssoldaten“ zu verbreiten. Der Anzeigeerstatter nahm dabei offenbar Bezug auf den wissenschaftlichen Begleitband „Aufrüstung, Krieg und Verbrechen“, das im Göttinger Wallstein-Verlag erschienen ist.

Das Buch begleitet eine Ausstellung der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen zur Rolle der Wehrmacht während des Nationalsozialismus. Bis zu seinem kürzlich erfolgten Wechsel nach Thüringen war der gebürtige Göttinger Wagner Leiter der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, zu der auch Bergen-Belsen gehört.

Strafverfahren gegen Historiker

Die Staatsanwaltschaft Göttingen leitete auf Grundlage der Anzeige ein Ermittlungsverfahren gegen Wagner ein. Nach Angaben des Historikers sei ihm das am Montag postalisch mitgeteilt worden. Wagner machte den Vorgang am Dienstag über Twitter öffentlich. Es sei bemerkenswert, dass die Behörde die Anzeige nicht sofort als gegenstandslos zurückgewiesen habe. Die Beteiligung an Kriegsverbrechen sei spätestens seit Ende der zweiten Wehrmachtsausstellung und der sie begleitenden Debatte „State of the Art“ in der Wissenschaft, so Wagner.

Durch den Tweet wurde der Göttinger Oberstaatsanwalt Andreas Buick auf den Vorgang aufmerksam. Er habe ihn sich vorlegen lassen und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass nichts Strafbares vorliege, erklärte Buick. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens sei Wagner daraufhin mitgeteilt worden.

Gegenüber unserer Zeitung räumte der Oberstaatsanwalt einen Fehler seiner Behörde ein. „Das ist nicht bilderbuchmäßig abgelaufen“, sagte Buick am Donnerstag. Normalerweise müsse vor Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens geprüft werden, ob ein Straftatbestand vorliegen könnte oder eben nicht. „Das hat der zuständige Kollege nicht so getan, wie es das Gesetz vorsieht.“ Das sei aber kein böser Wille gewesen. Bei genauer Betrachtung des Vorgangs seien beide Staatsanwälte zu dem Ergebnis gekommen, das kein Straftatbestand vorliege, so Buick.

Diskursverschiebung nach rechts?

Für Wagner ist der Vorgang nicht nur ein persönliches Ärgernis. Er sieht ihn als Beleg für eine „Diskursverschiebung nach rechts“, sagte der Historiker in Erfurt. Das zeige auch das Verhalten des Stadtrates im niedersächsischen Bergen in jüngster Vergangenheit. Mit Bürgermeisterin Claudia Dettmar-Müller (parteilos) hatte Wagner eine Erklärung zum Weltfriedenstag erarbeitet. Darin ist auch „von Verbrechen der Wehrmacht und der SS vor unserer Haustür“ die Rede. Die Mehrheit im Stadtrat hat aber bereits zweimal die Zustimmung verweigert. „Und das explizit unter Verweis auf die Wehrmacht“, sagte Wagner. Er hoffe auf ein Einlenken der Stadträte, „alles andere wäre geschichtsvergessen.“

Ähnlich beurteilt auch der Bundestagsabgeordnete Trittin den Fall. In einer Erklärung betonte der ehemalige Bundesumweltminister: „Wir dürfen nicht zulassen, dass der verbrecherische Teil der deutschen Geschichte in Frage gestellt wird. Wir müssen als Gesellschaft und jeder einzeln klar Position beziehen gegen Relativierungen von Seiten der Rechten.“ (ana/epd)

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