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Göttinger Landrat Bernhard Reuter über seine Amtszeit und das, was zu verbessern ist

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Von: Thomas Kopietz

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Porträtaufnahme von Bernhard Reuter. Er trägt ein graues Sakko, ein weißes Hemd und ein rotes Einstecktuch.
Bernhard Reuter redet im Interview mit HNA-Redakteur Thomas Kopietz über seine Amtszeit und das, was zu verbessern ist. © Maik Przyklenk/nh

Der Göttinger Landrat Bernhard Reuter geht in Ruhestand. Marcel Riethig folgt auf ihn. Wir sprachen mit Reuter über sein Arbeitsleben, die Zeit danach, Südniedersachsen und Nordhessen.

Göttingen – Nein, der schlaue Ratgeber im Voraus und die graue Eminenz im Hintergrund, das will Bernhard Reuter nicht sein, wenn Marcel Riethig (SPD) am Montag die Amtsgeschäfte als Landrat übernimmt. Als Chef habe er Riethig gefördert, ihm die Chance gegeben, in eine solche Aufgabe hineinzuwachsen. Er habe sie genutzt und sei eine eigene Persönlichkeit, sagt Reuter.

„Er hat sich als sehr junger Mann in nur wenigen Jahren überraschend gut bewährt“, resümiert der scheidende Landrat. Riethig habe im Dezernat Soziales Akzente gesetzt. So gibt Reuter diesem zum Abschied zwar keine schlauen Ratschläge, aber Vorschlusslorbeeren mit auf den Weg: „Ich bin überzeugt, dass ich mit ihm einen sehr, sehr guten Nachfolger habe.“

Über die Wahl habe er sich auch als Sozialdemokrat sehr gefreut, sagt Reuter und fügt an: „Aber auch das Ergebnis von Marlies Dornieden war sehr respektabel.“ Überhaupt sei es für den „Chef“ sehr erfreulich gewesen, wie fair beide im Wahlkampf miteinander umgegangen seien.

Marcel Riethig freilich sei nun sogleich massiv gefordert: Er muss eine Nachfolgerin für Bärbel Wemheuer vorschlagen – und hat, so ist zu hören, eine Frau im Auge. Da geht es zunächst um Eignung, Leistung und Befähigung, dann auch um Politik“, sagt Reuter, für den sich „große Kreistag-Fraktionen mit einem Dezernenten in der Verwaltungsleitung wiederfinden sollten.

Im Interview mit HNA-Redakteur Thomas Kopietz schaut Bernhard Reuter auf seine Amtszeit zurück.

Wie geht es für Sie nun weiter?

Als Landrat habe ich meine Mission erfüllt. Ich habe auch das Gefühl, nicht mehr so viel für eine gute Fortentwicklung des Landkreises beitragen zu können, wie es mein Anspruch ist.

Sie haben bei der letzten Wahl auch Kraft gelassen.

Ja, ich bin mit 66 nicht mehr so leistungsfähig wie mit 56 - da gibt es ein paar Bremseffekte. Ein „Weiter so“ hätte ich mir zugetraut, aber ein „Nach vorne“ nicht. Ich will das machen, was ich jahrelang vernachlässigt habe: das Kümmern um die Enkelkinder, die Familie, die Pflege von privaten Interessen, mehr Sport und Bewegung - vielleicht wird auch das Cello wieder zum Leben erweckt, da bin ich mir aber noch nicht sicher. Und ich will viel reisen, habe eine Affinität zu Portugal – für mich das schönste Land der Welt. Klar ist: Wir bleiben in Eddigehausen wohnen, werden aber weniger zu Hause sein

Was hätten Sie in Ihrer Karriere gerne bewegt?

Ein Landkreis eine Sparkasse! Die Entwicklung in den Märkten ist so brutal, dass die Beharrungskräfte - wie Lothar Koch in Duderstadt - widerlegt werden. Es wird so kommen, das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche. Vielleicht wird es nicht nur ein Landkreis, eine Sparkasse, sondern ein Wirtschaftsraum, eine Sparkasse. Schauen wir nach Norden: Die Sparkasse Hannover, Hildesheim-Peine-Goslar, Celle-Wolfsburg-Gifhorn, sie alle sind größer als die fünf Sparkassen in Südniedersachsen zusammen. Einzeln sind sie dauerhaft nicht wettbewerbsfähig.

Und was noch?

Die Zuständigkeiten zwischen Landkreis und Stadt Göttingen müssen stärker und besser geregelt werden. Im Großraum Hannover gibt es ein gut funktionierendes Vorbild, ohne Grundsatzstreitigkeiten zwischen Region und Stadt Hannover. Jeder weiß, was er zu tun hat. Es gibt keine Mischzuständigkeiten: Lokales regelt die Stadt, regionales die Region. Keinem hier bei uns fällt ein Zacken aus der Krone, wenn er in eine funktionierende Region schaut und sagt: Wir machen das hier genau so. Es bedarf auch keines Regionsgesetzes, das lässt sich alles im Rahmen des Kommunalverfassungsgesetzes regeln. Es wäre auch anmaßend zu sagen, wir wären eine Region – vergleichbar mit Hannover. Ein Regionspräsident hat dort übrigens die exakt gleichen Befugnisse wie ein Landrat in einem Landkreis – und die Regionsversammlung die eines Kreistages.

Manches greift noch nicht effektiv ineinander, wie der ÖPNV, oder?

Im Öffentlichen Nahverkehr leben wir nach wie vor in zwei Welten, das ist nicht zufriedenstellend, ähnliches gilt für das Gesundheitsamt und den Bereich Wirtschaftsförderung. Unternehmen ist es egal, ob sie in Weende, Bovenden oder Nörten-Hardenberg sind. Man muss das als einen Wirtschaftsraum mit einer Wirtschaftsförderung leben. Wir sind immer noch ein wenig kleinteilig und provinziell. Das ist auch historisch zu erklären. Südniedersachsen war zersplittert – bis zum Wiener Kongress hatten wir ein Dutzend Teritorialfürsten – einer regierte ein Königreich von der Burg Plesse aus, was nicht mal so groß war wie heute die Gemeinde.

Das wäre aber auch ein Karriereziel gewesen – noch mal König sein

(lacht) das habe ich manchmal auch gedacht. Nein, keiner ist davor gefeit, Hybris zu entwickeln. Als Landrat sollte man immer seine Grenzen kennen. Wenn er sie nicht kennt, bekommt er sie aufgezeigt.

War die Fusion wirklich notwendig, mancher Bürger ist weiter dagegen?

Der Altkreis Göttingen hätte auch ohne die Fusion weitermachen können – wenn auch nicht so gut, denn die 80 Millionen Euro Entschuldungshilfe hätte es so nicht gegeben. Für den Altkreis Osterode war die Fusion zwingend notwendig. Bis 2009 glaubte ich noch, durch interkommunale Zusammenarbeit die Probleme, beispielsweise durch die demografische Entwicklung, lösen zu können. Aber Negativ-Erfahrungen haben mich eines Besseren belehrt. Eine interkommunale Zusammenarbeit funktioniert nur, wenn jeder Partner zu jedem Zeitpunkt davon profitiert. Das ist fast nicht zu schaffen, so kann es nicht funktionieren.

Northeim wollte nicht mitmachen..

Das ist nicht an uns gescheitert, Northeim ist ausgestiegen. Ehrlich gesagt, in der Rückschau bin ich froh. Eine Dreierfusion wäre von der Sache her richtig gewesen, hätte aber die Komplexität eines Fusionsprozesses deutlich verkompliziert, der auch so schon schwierig genug war. Man muss dazusagen: Das war die erste freiwillige Kreisfusion, die es je im Land gegeben hat. Da gab es keine Blaupause, aber wir konnten deshalb auch alles selbst steuern. Das ist uns gut gelungen.

Wo steht der Kreis heute - intern, aber auch in der Betrachtung der Menschen?

Wir sind einer der einwohnerstärksten Landkreise in Niedersachsen. Wir sind finanziell leistungsfähig - auch dank der Fusion und Entschuldung. Und die Fusion hat ausgestrahlt: Das Kirchturmdenken ist zurückgegangen - in der gesamten Region. Wir haben eine andere Kooperationskultur in Südniedersachsen, nicht nur unter den Kommunen, auch mit den Hochschulen, der Wirtschaft. Die Südniedersachsenstiftung als Klammer ist enorm wichtig geworden. Wer es mir nicht glaubt, der kann es dem Institut der Deutschen Wirtschaft glauben: In einer Studie aus dem Jahr 2020 wird Göttingen als Aufsteigerregion gelistet.

Was haben Kassel und Nordhessen, was Göttingen und Südniedersachsen nicht haben?

Ich bin in Kassel geboren, habe 18 Jahre dort gelebt, Abitur gemacht. Nun, wir haben nicht VW und Baunatal. Nordhessen hat die gleichen Probleme wie Südniedersachsen und bei der jetzigen Parteikonstellation das Pech, in Wiesbaden nicht so gut vorzukommen, wie wir in Hannover und Niedersachsen. Wir haben beide eine Randlage und sind eher strukturschwach mit ähnlichen Stärken – unheimlich schöne Landschaften und dazu bodenständigen Menschen. Nordhessen und Südniedersachsen aber werden nie eine Region sein, und nie ganz vorn sein.

Wird es eine junge Region sein können?

Wenn junge Menschen hier bleiben wollen, dann brauchen sie und wir Jobs dafür. Ich will auch nicht, dass die Dörfer verfallen. Die Region muss also vorankommen, und wir brauchen neue Gewerbeflächen. Zur Einordnung: Nur 2,5 Prozent der Fläche im Landkreis sind Gewerbeflächen – das ist weit unter Durchschnitt. So brauchen wir auch das gemeinsame Gewerbegebiet, das vor meiner Haustür liegt - zwischen Bovenden und Angerstein. Wir kommen nicht weiter, wenn jeder denkt: Ja gerne, aber nicht vor meiner Haustür.

Werden Sie ihre Kontakte, Erfahrung weiter einbringen, sich engagieren?

Es gibt Leute, die danach fragen. Ich werde auch etwas tun, verrate aber immer noch nicht, was es sein wird.

In bestimmten Bereichen könnte man ihre Fähigkeiten als Vermittler gebrauchen, so im Tourismus.

Ja, das stimmt. Aber das werde ich alles mit Marcel Riethig abstimmen. Meine Legitimation endet am 31. Oktober – und ich dränge mich nicht auf. Es darf auf keinen Fall sein, dass ich ihm im Wege stehe. Er muss nun selbst seine Kontakte aufbauen, bis hin zur Landesregierung.

(Thomas Kopietz)

Zur Person

Bernhard Reuter (67), geboren in Kassel, wo er auch sein Abitur machte. Danach studierte er zunächst Sozialwissenschaften und Lehramt und arbeitete als Pädagoge, zuletzt bis 1999 als Leiter der Orientierungsstufe Leinebergschule in Göttingen. Er sattelte noch ein Jura-Studium auf, auch mit dem Ziel, den Oberkreisdirektor in Osterode zu beerben: Reuter war zwölf Jahre Landrat in Osterode, wurde 2011 zum Landrat in Göttingen gewählt, 2016 dann im Großkreises Göttingen. Er engagierte sichim Landkreistag. Reuter ist verheiratet und hat vier Kinder, lebt in der Gemeinde Bovenden bei Göttingen. Zu seinen Hobbies zählt er neben der Politik, das Reisen und die Kultur. 

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