Göttinger Institut für Demokratieforschung
Wissenschaftler untersuchen Demokratieverständnis von Grundschülern
Göttingen. „Dass jeder seine Meinung sagt“, bedeutet Demokratie für Benedikt (6). Lotta (7) sagt: „Demokratie ist, dass die Menschen entscheiden.“
Was Kinder über Demokratie denken, welche Rolle sie in ihrem Leben spielt und wie man demokratisches Handeln lernen kann, ist Gegenstand eines Projektes des Göttinger Instituts für Demokratieforschung.
Bislang gebe es dazu kaum Arbeiten der Politikwissenschaft, sagt Johannes Melchert, der mit sechs Kollegen am Projekt „Göttinger Kinderdemokratie“ arbeitet. Die Zurückhaltung der Forschung hat vielleicht damit zu tun, dass Erwachsene vermuten, Politik sei nichts für Kinder. Ein Vorurteil, sagt Melchert. „Kinder sind durchaus in der Lage, sich eine Meinung zu bilden und sie zu artikulieren.“
Diese Erfahrung machen die Göttinger Wissenschaftler immer wieder während ihres Demokratie-Planspiels mit Grundschülern. Denn neben der Forschung ist die politische Bildung Ziel des Projekts „Kinderdemokratie“. Gestartet sei man mit dem Gedanken, dass der politische Meinungsstreit in unserer Gesellschaft keinen Wert mehr hat, sagt Melchert. Stattdessen wird vermehrt nach Expertenrat gerufen oder gefordert, dass die da oben (Politiker) eine vernünftige Lösung finden sollen.
Im Spiel „Eine neue Straße für Felddorf“ lassen die Wissenschaftler Dritt- oder Viertklässler in die Rolle von Kommunalpolitikern schlüpfen, um den Umgang mit widerstreitenden Meinungen zu lernen.
Harte Verhandlungen
Die Interessen von vier Parteien prallen aufeinander: Eltern wollen eine Umgehungsstraße, die Wirtschaft will den Verkehr in der Stadt halten, Bauern wollen keine Straße durch ihre Felder, Umweltschützer keine durch den Wald. „Die Kinder verhandeln knallhart“, so Melchert. Von Planspiel zu Planspiel variert der Konflikt. Es gab schon Demos und Parteispaltungen, Koalitionen und Kompromisse, aber auch Kampfabstimmungen. Melchert: „Unvereinbare Positionen finden Kinder spannend, sie sind in der Lage unterschiedliche Interessen zu begreifen und damit umzugehen.“
Grundschüler sind auch durchaus an politischen Themen wie der drohenden Schwimmbad-Schließung oder Atomenergie interessiert und bereit sich zu engagieren, haben die Forscher festgestellt. Bislang nutzen dies aber nur wenige Kommunen. Eine Ausnahme ist Saalfeld (Thüringen), wo es einen gewählten Kinder- und Jugendausschuss gibt, dem Beschlussvolagen der Stadtverwaltung vorgelegt werden.
Schulen und Gemeinden müssten Formen finden, um Kinder auf das demokratische Leben vorzubereiten, sagt Melchert. „Man muss Demokratie lernen. Das ist wie beim Fahrradfahren. Mit 16 Jahren ist es fast zu spät.“
Von Kornelia Schmidt-Hagemeyer