1. Startseite
  2. Lokales
  3. Hann. Münden
  4. Hann. Münden

Zugfahrt in den Tod: Das Schicksal von Frieda Wertheim aus Hann. Münden

Erstellt:

Kommentare

Ein von Frieda Wertheim ist nicht überliefert. In diesem Haus lebte Frieda Hartung von 1916 bis 1937 mit ihren Kindern. Der in Kanada lebenden Enkeltochter von Frieda Wertheim waren bei ihrem Besuch in Münden, noch Ansichtskarten von diesem Haus bekannt, die Frieda an ihren Sohn Richard schickte.
Ein Foto von Frieda Wertheim ist nicht überliefert. In diesem Haus lebte Frieda Hartung von 1916 bis 1937 mit ihren Kindern. Der in Kanada lebenden Enkeltochter von Frieda Wertheim waren bei ihrem Besuch in Münden noch Ansichtskarten von diesem Haus bekannt, die Frieda an ihren Sohn Richard schickte. (Repro) © Repro: Stefan Schäfer

Am Freitag, 27.01.2023, wird der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus begangen. Auch in Münden fielen Menschen dem NS-Staat zum Opfer. Zum Beispiel Frieda Wertheim

Hann. Münden – Nach einer tagelangen Zugfahrt in drangvoller Enge eines Güterwagens erreicht ein Zug vollgestopft mit Menschen die Laderampe eines Gleisanschlusses in Sobibor.

Wer dort heute steht, fühlt sich hier im Nirgendwo. Kiefernwäldchen wechseln sich mit Wiesen und Feldern ab. Wir befinden uns heute im Osten Polens, nur wenige Kilometer vom Fluss Bug entfernt, der Polen und Weißrussland trennt. Ein friedlich daliegendes grüngestrichenes Haus im Stil eines Forsthauses verströmt freundliche Bodenständigkeit.

Erinnerungsorte in Polen: Heute kam mehr aufzufinden

Am 11. Juni 1943 war der Ort der Vorhof zur Hölle. Waggontüren wurden aufgerissen, scharfe Kommandos gebrüllt. Die Umzäunung, in die die Menschen hineingetrieben wurden, war mit Reisig vor neugierigen Blicken in das Lager getarnt. Links ein bodenständiges Musterdorf der Lagerverwaltung, rechts Baracken und geradeaus ein flaches, unscheinbares Gebäude hinter einem sich immer mehr verengenden Gang.

Auf dem großen Platz war sämtliches Gepäck abzulegen, sich vollständig auszuziehen, um anschließend in das „Duschbad“, jenem Flachbau am gegenüberliegenden Ende über die „Himmelsstraße“ einzutreten, aus dem lebend niemand herauskommen sollte. Je enger er gefüllt war, desto schneller wirkte das nun aus Motoren hineingeblasene Kohlenmonoxid.

Unterdessen wurde am Sammelplatz die letzte Habe sortiert, nebst der Haare, die den Todgeweihten abgeschoren wurden. Unter den Augen weniger SS-Angehöriger kontrollierten Wachmannschaften, die aus ehemaligen Soldaten der Sowjetarmee rekrutiert wurden, das tödliche Handwerk. Jüdische Funktionshäftlinge wurden brüllend und unter Schlägen zur Arbeit angetrieben. Die Gaskammer hatte einen rückwärtigen Zugang, aus dem die Toten herausgeschafft wurden, um ab Sommer 1942 auf offenen Feuerstätten verbrannt zu werden. Rauchfahnen und Gestank raubten den meisten Angekommenen jegliche Illusion über das kommende Schicksal. Frieda Wertheim erfuhr bei ihrer Ankunft im Lager wohl genau das Gleiche wie rund 180 000 Mitleidende, schnell, gnadenlos und effektiv in den Tod befördert zu werden.

Frieda Wertheim: In hann. Münden 1877 geboren

Sie wurde am 5. Oktober 1877 als Frieda Meyer geboren. Sie war das zehnte von zwölf Kindern des Kaufmannes Meyer Jacob Meyer und Rebecca, der ein erfolgreiches Handelshaus an der heutigen Marktstraße 18 in Hann. Münden betrieb.

Bereits mit 14 Jahren wurde sie vom Elternhaus in die Fremde in Stellung als Haustochter geschickt und lebte in Hamburg und Warburg. 1904 heiratete sie in Hann. Münden den Lehrer Adolf Wertheim, dessen Bruder Theodor ebenfalls als Lehrer in Münden wirkte. Sie zog zu ihrem Mann nach Neustadt/Kirchhain und wurde mit Hildegard und Richard zweifache Mutter. 1916 ein Schicksalsschlag: Ehemann Adolf starb mit gerade einmal 45 Jahren.

Sie ließ ihren Mann auf dem jüdischen Friedhof am Vogelsang bestatten und lebte von nun an als Witwe mit den beiden Kindern und der Stieftochter Alice an der Langen Straße 29. Stieftochter Alice machte eine Lehre im Labor des jüdischen Professors Falck an der Forstlichen Hochschule, heiratete und ließ sich in Köln nieder.

Tochter Hildegard lernte einen Holländer kennen, heiratete und zog in die Niederlande. Bereits 1933 emigrierte Sohn Richard, mittlerweile in Uslar lebend, nach Argentinien. 1937 zog Frieda Wertheim zu ihrer Tochter nach Köln und entschloss sich, schließlich unter dem Druck des NS-Staates nach Amsterdam in die Niederlande zu emigrieren.

Emigration in die Niederlande und Ermordung im KZ

Ab Mai 1940 besetzte die Wehrmacht die Niederlande. Mit ihr folgte der Terror. Ab Juli 1942 fuhren mehr als 100 Züge vom Sammellager Westerbork in den Niederlanden mit mehr als 107 000 Menschen direkt in die Lager des Ostens. Wenn sich die Schiebetüren der Güterwagen in den Niederlanden schlossen, war es meist der Weg in den Tod. Ihm entkamen nur rund 5000 Menschen. (Stefan Schäfer)

In Hann. Münden wurde die jüdische Familie Madelong entrechtet, verfolgt und am Ende ermordet. Ein Zeuge Jehovas aus Benterode, der in Kassel als Polizist arbeitete, wurde auch vom NS-Staat verfolgt. Er überlebte die Haft im KZ. Am 27.01 wird der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus begangen

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen und Leser,
wir bitten um Verständnis, dass es im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf unserem Portal unter diesem Artikel keine Kommentarfunktion gibt. Bei einzelnen Themen behält sich die Redaktion vor, die Kommentarmöglichkeiten einzuschränken.
Die Redaktion