„[...] Es war in den 70er Jahren. Studenten aus der nahen Universitätsstadt Göttingen standen samstags hinter Büchertischen, auf denen rote Bücher und anderes Klassenkämpferisches auslagen, riefen Parolen aus einer Zeitung unter die Passanten, sprachen die Vorbeigehenden an.
Das hatte die Kleinstadt, obwohl seit Langem sozialdemokratisch regiert, noch nicht erlebt. Heftige Diskussionen entspannen sich, gerieten auch zu Schreiereien unter den Beteiligten. Die im Auftrag der Partei in alten Käfern angereisten jungen Revolutionäre waren geschult in den Grundlagen des wissenschaftlichen Sozialismus. Es fehlte ihnen allerdings die in solchen Situationen nötige Standhaftigkeit; die gab ihnen Klaus (Name vom Autor geändert), der es als ortsansässiger Nichtakademiker verstand, nur diejenigen anzusprechen, die empfänglich für die Botschaften waren – und das waren gar nicht wenige.
Bei diesen wöchentlichen Auftritten sollte es nicht bleiben. Es galt, vom Denken zum Handeln zu kommen, diese Maxime stand doch schon in der 11. Feuerbachthese. Seit zwei Jahren hatte sich in Person von drei Obenstudienräten am kleinstädtischen Gymnasium ein Geist ausgebreitet, der von der Gruppe schnell als faschistisch oder zumindest faschistoid gebrandmarkt wurde und den es zu bekämpfen galt. Klaus, der die studentischen „Genossen“ einzuschwören hatte und sich in vielen Aktionen als unersättlicher Draufgänger dieser verkopften Avantgarde erwiesen hatte, war klar, dass etwas Spektakuläres zu geschehen hatte. Er fasste das Ergebnis in dem Satz zusammen. Das machen wir dicht.
Noch in der Nacht wurden alle Vorbereitungen getroffen und Arbeiten erledigt, die das Gelingen dieser antifaschistischen Manifestation garantieren sollte. Es gab Schmieresteher, diejenigen, die den Fluchtweg bereithielten, die Arbeiter nahe am Objekt. Und als am kommenden Morgen die 1000 Schüler und ihre Lehrerinnen und Lehrer die Treppen zum Schulgebäude emporstiegen, staunten sie. Kein Blick fiel mehr in die Klassenzimmer, die Büros, die Lehrerzimmer; überall nur Plakate – Plakate und Parolen, mit denen alle Glasflächen beklebt waren,, Rot auf Glas auf Braun.
Nur wenige stellten eine Verbindung zum Geschehen an der Schule her. Aber dafür war ja der Samstag am Stand da. Und es war Leidenschaft, die pure Leidenschaft.“ (Thomas Schlenz)