Hann. Münden: Schuss um Schuss wächst der Mast für die neue Stromtrasse

Stück für Stück wachsen die Strommasten in der Region Hann. Münden. Ein Tag auf der Baustelle der Höchstspannungsleitung in Lippoldshausen
Hann. Münden – Ganz langsam und vorsichtig hebt ein Autokran ein mehrere Meter hohes Stahlskelett in den blauen Himmel über Lippoldshausen (Hann. Münden). Wie Bergsteiger hängen in über fünfzig Metern Höhe vier Monteure am Mast und warten, dass sie das Bauteil in Empfang nehmen und montieren können.
Hann. Münden: Baustelle bei Lippoldshausen
„Was Sie hier sehen, ist ein Schuss“, erklärt Dr. Marco Bräuer von der Firma Tennet. Als Schuss bezeichnen die Freileitungsbauer die senkrecht aufeinander gesetzten Teile des Mastes. Die horizontal angebauten Stahlkonstruktionen werden Traversen genannt. Etwa anderthalb Tage brauchen die Mitarbeiter der Firma C-Team, um den 70 Meter hohen Mast mit der Nummer C079 an der Autobahn bei Lippoldshausen zu montieren, berichtet Bauleiter Magnus Wiesmann.
Die Schüsse und Traversen werden dafür unten auf dem Baufeld aus einzelnen Stahlstreben vormontiert. Ein großer Kran hebt die Teile an, während ein weiterer Kran die großen Elemente stabilisiert. Die Monteure im Mast bringen Schüsse und Traversen in Position und verschrauben diese mit einem Drehmomentschlüssel.
So wächst der Mast Stück für Stück – oder korrekter Schuss um Schuss in die Höhe. Die Arbeiter haben in großen Behältern alles an Werkzeug dabei, was sie brauchen. Sie kommen aus Deutschland, Portugal oder Polen. „Arbeitssprache ist aber Deutsch“, sagt Bauleiter Wiesmann. In jeder Gruppe müsse mindestens einer die deutsche Sprache beherrschen. Freileitungsbau ist eben international und Fachkräfte rar.
Masten für die neue Stromtrasse Wahle-Mecklar
Die Monteure am Boden, die Kranführer und der Kolonnenführer auf dem Mast kommunizieren per Funk. Eine Vierermannschaft ist den Großteil des Arbeitstages von 7.30 Uhr bis etwa 16 Uhr auf dem Mast. Es gibt aber eine ausgedehnte Mittagspause. Da sie in großer Höhe unter oft widrigen Bedingungen arbeiten, bekommen sie eine Steigzulage.
Sicherheit wird bei dieser gefährlichen Arbeit groß geschrieben: Alle Arbeiter haben eine Sicherheitsunterweisung erhalten. Subunternehmer werden ebenfalls eingewiesen und über die Besonderheiten der Baustelle informiert. Helme, Sicherheitsschuhe und Warnwesten sind Pflicht. „Alles hier ist genau vorgeplant“, sagt Bauleiter Wiesmann. Der Stahl wird aus einem Lager in Kassel hergefahren, in Collis angeliefert, montiert und dann der Mast gestockt. „Das ist wie ein Baukasten, ähnlich Fischertechnik-Spielzeug für Kinder“, sagt Wiesmann.
Rund um die Mastbaustelle ist eine sogenannte Dropzone eingerichtet. In diesem Bereich muss mit herunterfallenden Gegenständen, etwa Schraubbolzen, gerechnet werden.
Mit der reinen Montage des Mastes ist es aber noch nicht getan: „Jede Schraube wird noch einmal kontrolliert und gegebenenfalls nachgezogen“, betont Wiesmann. Außerdem würden die Bleche, an denen Schüsse und Traversen verschraubt sind, noch in der Farbe des Mastes nachgestrichen, ebenso wie kleinere Farbabplatzer nach der Montage. „Wir liefern hier schließlich neuwertige Ware ab“, sagt der Bauleiter. Wenn er einmal steht, soll der Mast Jahrzehnte lang halten. Das gelinge mit regelmäßigen Wartungsarbeiten.
Masten im Raum Hann. Münden stammen aus dem Jahr 1928
Dass gut gebaute und kontrollierte Freileitungsmasten lange halten, zeigt auch die alte 220-kV-Leitung, die derzeit zurückgebaut wird. „Diese Masten stammen noch aus dem Jahr 1928“, erklärt Bräuer.
Der Bau der neuen 380-kV-Leitung zwischen Wahle und Mecklar sei für die Energiewende wichtig, um Strom aus dem windenergiereichen Norden nach Süden zu transportieren, aber auch um die regionale Versorgung zu sichern. Mit dem Anschluss an regionale Umspannwerke sei die Leitung auch eine Art Upgrade für die Region, im Gegensatz zum Südlink, die einmal als reine Transportleitung nach Bayern und Baden-Württemberg fungieren werde. „Der Strombedarf wird infolge der Energiewende, dem Betrieb von Wärmepumpen und Elektroautos weiter wachsen. Dafür ist der Netzausbau unverzichtbar“, so Bräuer.
Vorseilflug via Hubschrauber
Zwischen Sandershausen und Göttingen und von Göttingen bis Einbeck läuft die neue Leitung auf der Trasse der alten. Für den Rückbau ist diese abgeschaltet worden. Der Bahnstrom wird über provisorische Masten geführt. Später soll er über die Leiterseile unter der untersten Traverse fließen.
Wenn Mast C079 steht, ist in den nächsten Tagen ein Vorseilflug mit dem Helikopter über die Autobahn geplant. Die Schutzgerüste und Netze sind dem aufmerksamen Autofahrer sicher nicht entgangen. Aber das ist eine andere Geschichte. (Thomas Schlenz)